Produktive Pathologie: Professionelle Patienten und die Kommodifizierung von Krankheiten in Ägypten
Dieses Projekt untersucht das wachsende Phänomen der professionellen Patienten in Ägypten. Es beschreibt die Kommodifizierung von Krankheit und dessen Einfluss auf die Lehre. Aufgrund von zunehmender Armut und Arbeitslosigkeit haben einige Patienten den Biovalue ihrer Krankheiten erkannt und vermarkten Wissen darüber an medizinischen Hochschulen. Insbesondere Patienten aus benachteiligten sozio-ökonomischen Schichten erhalten ihre Krankheit und vermarkten das Wissen über sie in medizinischen Einrichtungen. Dies führt in Folge zur Entstehung neuer biosozialer Patientengruppen. Das Projekt basiert auf einer langfristigen Feldforschung mit unterschiedlichen quantitativen Methoden. Das Projekt trägt zur theoretischen Debatte über marginalisierte Gruppen, der Beziehung von Staat und Bürger, Biosozialität und der Kommodifizierung von Krankheit und die Identifizierung mit ihr bei. Es bereichert diese Debatten zudem mit Wissen über ein regional bedeutsames, bisher noch nicht untersuchtes Phänomen im muslimisch-arabischen Kontext.
Die Ergebnisse der ersten Forschungsphase zeigen, dass den Patienten die Inwertsetzung ihrer Krankheit soziales und ökonomisches Kapital gibt. Durch diese Kommodifizierung erhalten die Patienten nicht nur ein Instrument zur Wiederherstellung ihrer sozialen Position, sondern auch zur Verwaltung der Krankheit. Die Ergebnisse zeigen, dass:
1) ethische Fragen durch Ärzte außer Acht gelassen werden. Assistenzärzte sehen mit sich gezwungen, mit professionellen Patienten zusammenzuarbeiten, weil ihre Vorgesetzten diese für ihre Studierenden brauchen.
2) Dieses Phänomen ist das Ergebnis struktureller Gewalt in medizinischen Einrichtungen, die den Bedürfnissen seiner normalen Patienten nicht gerecht werden, sodass diese nicht der Lehre zur Verfügung stehen, was dann wieder den Krankheitsmarkt stärkt. Bei der Kommodifizierung von Krankheit wird diese zum Retter und Begleiter, die den Patienten hilft, die Krankheit zu verwalten, sodass deren soziales Wohl über dem körperlichen Wohlbefinden steht.
3) Die Vermarktung der Krankheit befähigt die Patienten, unabhängig zu werden, Armut zu überwinden und die Verantwortung für ihre Familien zu übernehmen. Dennoch haftet Krankheit immer ein Stigma an. Einige männliche Patienten verbergen ihre Aktivitäten um die Krankheit, während weibliche Patienten sie eher offenlegen und Nachbarn anwerben, um ihren Ruf zu schützen.
4) Biosozialitäten entstehen aus der Arbeit mit der Krankheit. Sie bieten ihren Mitgliedern ein Gefühl von Sicherheit und Gemeinschaft.
Von diesen Ergebnissen ausgehend, soll in der nächsten Phase Krankheit als eine Form von Widerstand im Alltag untersucht werden, in der Gender eine wichtige Rolle spielt. So gehören die Patienten einer subtilen stillen Bewerbung an, um Rechte dem Staat gegenüber an beanspruchen und ihre Position innerhalb der Familie wieder herzustellen. Durch den Fokus auf Gender soll untersucht werden, wie
1) Frauen an die Arbeit mit der Krankheit angehen und eine Identität über die Krankheit annehmen mit der Intention, ihre Sippe, die sie nach einer Scheidung oder dem Tod des Ehemannes vernachlässigt, zu beschämen.
2) Männer leisten stummen Widerstand gegen die Vernachlässigung des Staates, indem sie Recht auf Dienstleistungen in medizinischen Einrichtungen durch Vermarktung der Krankheit beanspruchen, womit sie Zugang zu medizinischer Versorgung haben, die ihnen sonst verwehrt ist.
- Gefördert von: Deutsche Forschungsgemeinschaft
- Projektlaufzeit: 01.01.2016 - 30.06.2021 / 01.10.2018 - 28.02.2022
- Wissenschaftlicher Koordinator des Projekts: Prof. Dr. Hansjörg Dilger
- Projektpartner: American University Kairo