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Olympische Sommerspiele: Forschung zur Geschichte des Hafens von Rio de Janeiro

News vom 09.06.2016

Wunderbare Wertschöpfung

Der Soziologe Sérgio Costa und der Rechtssoziologe Guilherme Leite Gonçalves haben die wechselvolle Geschichte des Hafens von Rio de Janeiro erforscht.

Ziel des Forschungsvorhabens sei es ursprünglich gewesen, Formen der Kapitalakkumulation seit der Kolonialzeit und ihre Metamorphosen zu untersuchen, berichtet Costa: „Wir haben dann bald festgestellt, dass der Hafen von Rio dafür ein wunderbarer Untersuchungsgegenstand ist, denn hier kann man vom Merkantilismus bis hin zum Finanzkapitalismus die unterschiedlichen Phasen der Kapitalakkumulation in den vergangenen 300 bis 400 Jahren sehr deutlich beobachten.“

Costa und Leite Gonçalves knüpfen an die Marx’sche Tradition und ihre Fortführungen bis in die zeitgenössische Stadtsoziologie hinein an und analysieren vor allem in Auseinandersetzung mit dem Werk des Geographen und Sozialtheoretikers David Harvey die wechselvolle Geschichte des Hafenviertels als Gegenstand immer neuer Enteignung und Aneignung: Das hatte auch der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes, deutlich illustriert, als er bei der Beschreibung des „Porto Maravilha“ sagte, es handele sich um eine gigantische „Wiederbelebung“ und „Wiederaufwertung“ eines Ortes, an dem bloß noch „demografische Leere“ und Niedergang herrschten.

Costa und Leite Gonçalves beschreiben dieses diskursive Umdeuten eines Orts zum Nicht-Ort und zur Leere als einen wiederkehrenden Prozess, wodurch sich seit dem 17. Jahrhundert immer neue Projekte der Einverleibung begründen ließen. So lassen sich an der Geschichte des Hafens von Rio und des umliegenden Viertels zentrale Aspekte der Geschichte Brasiliens genau wie der des portugiesischen Kolonialreiches ablesen.

Das beginnt damit, dass Rio zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert der weltweit größte Umschlagplatz des transatlantischen Sklavenhandels war: Rund zwei Millionen Menschen aus Afrika wurden dorthin verschleppt und als Sklaven verkauft. Am Ende des 19. Jahrhunderts schließlich entsteht um den Hafen die erste Favela Rio de Janeiros. In der Region siedeln sich ebenfalls zahlreiche Afrobrasilianer an, die durch die Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1888 befreit wurden. Dort erfinden sie schließlich die Sambamusik und pflegen die brasilianische Kampfkunst Capoeira: Also das, womit sich Rio unter anderem während der Sommerspiele der Welt präsentieren wird.