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„Lise Meitner hatte großen Anteil an der Entdeckung“

Gedenkveranstaltung an der Freien Universität zu 75 Jahren Kernspaltung / Interview mit Chemie-Professor Ulrich Abram

17.12.2013

Lise Meitner und Otto Hahn in ihrem Labor im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, 1913.

Lise Meitner und Otto Hahn in ihrem Labor im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, 1913.
Bildquelle: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft

Chemie-Professor Ulrich Abram, Prodekan für Studium und Lehre am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie: „Lise Meitner fand heraus, dass die Kernspaltung physikalisch möglich ist.“

Chemie-Professor Ulrich Abram, Prodekan für Studium und Lehre am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie: „Lise Meitner fand heraus, dass die Kernspaltung physikalisch möglich ist.“
Bildquelle: Jan Hambura

Mit einer Gedenkveranstaltung erinnert der Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität am heutigen Dienstag an die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann am 17. Dezember vor 75 Jahren. Die Veranstaltung beginnt um 15.30 Uhr im Hahn-Meitner-Bau (Thielallee 63, 14195 Berlin), dem Gebäude in dem Otto Hahn und Lise Meitner mehr als zwei Jahrzehnte lang gearbeitet haben. Im Rahmen der Veranstaltung finden wissenschaftliche Vorträge statt zur Geschichte der Entdeckung und den Experimenten, die dazu führten, sowie zur Rolle Lise Meitners. Es besteht die Gelegenheit Originalschauplätze zu besichtigen. Der Hahn-Meitner-Bau beherbergt heute Teile des Instituts für Chemie und Biochemie der Freien Universität. Über die Gedenkveranstaltung sprach Campus.leben mit Professor Ulrich Abram, Prodekan für Studium und Lehre des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin.

Herr Professor Abram, was erwartet die Besucher der heutigen Gedenkveranstaltung „75 Jahre Kernspaltung“?

Eine Reihe von wissenschaftlichen Vorträgen: So wird Dr. Susanne Rehn-Taube vom Deutschen Museum München an die die Geschichte der Entdeckung der Kernspaltung erinnern. Dr. Jens P. Fürste von der Freien Universität referiert über die Wissenschaftsgeschichte am Standort Dahlem und den heutigen Hahn-Meitner-Bau. Mit Marcel Schenke und Patrick Sydow beleuchten zwei Lehramtsstudenten der Freien Universität die Experimente, die zur Entdeckung der Kernspaltung führten; sie sprechen auch über Lise Meitners Rolle. In einer kleinen Ausstellung werden zudem Exponate aus dem Umfeld der Entdeckung gezeigt. Mit Herrn Professor Gerhard Ertl vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft hat zudem ein Chemie-Nobelpreisträger seine Teilnahme zugesagt.

Ist die Teilnahme an Ihrer Gedenkveranstaltung für unsere Leser möglich?

Wir haben bereits viele Zusagen. Für einige Interessierte werden sich allerdings sicherlich noch Plätze finden lassen.

Sehen die Räume, in denen Lise Meitner, Otto Hahn und Fritz Straßmann geforscht haben, noch so aus wie vor 1938?

Nein, denn der Hahn-Meitner-Bau wurde vor ein paar Jahren saniert. In dem Original-Labor ist jetzt ein Forschungslabor eines Kollegen untergebracht. Das wollen wir heute von 17.15 Uhr an zeigen. Denn die Räumlichkeiten weisen aus, dass selbst eine alte, historische Forschungsstätte modernen Anforderungen gerecht werden kann. Wir werden auch Ausschnitte aus einem Film der ARD vorführen, der vor 20 Jahren gedreht wurde und die Originalschauplätze in ihrem damaligen Zustand zeigt. Darüber hinaus wird ein Nachbau des Original-Arbeitstischs von Otto Hahn zu sehen sein. Und die Museums-Kuratorin Susanne Rehn-Taube zeigt Original-Filterpapiere, die Otto Hahn benutzt hat.

Seit Jahren wird darüber gestritten, welchen Anteil Lise Meitner bei der Entdeckung der Kernspaltung hatte. Welchen Einfluss hatte Lise Meitner wirklich?

Lise Meitner hatte sicherlich einen großen Anteil an dieser Entdeckung. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie lange Jahre ein wichtiges Mitglied des Dahlemer Forscherteams war und es eigentlich auch nach ihrer erzwungenen Flucht vor den Nationalsozialisten im Sommer 1938 geblieben ist. Die experimentellen Arbeiten, die zur Entdeckung der Kernspaltung führten, wurden von Otto Hahn und Fritz Straßmann vorgenommen; dies gilt auch für die wichtige Schlussfolgerung, derzufolge die mit Neutronen bestrahlten Uranatome zerplatzt sein müssen. Darauf kamen sie mit den Mitteln der analytischen Chemie. Doch bevor sie diese Ergebnisse veröffentlichten, zogen sie ihre ehemalige Mitarbeiterin im schwedischen Exil ins Vertrauen und fragten sie um Rat. Lise Meitner war zunächst ähnlich überrascht von den Befunden und riet in einer ersten Reaktion zur Vorsicht. Über die Weihnachtstage 1938 rechnete sie jedoch mit ihrem Neffen Otto Frisch aus, dass die chemisch gefundene Kernspaltung physikalisch doch möglich ist. Und das war ihr konkreter, bahnbrechender Beitrag. Lise Meitner war ihrerseits so freundschaftlich mit Hahn und Straßmann verbunden, dass sie vor der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Nature“ ihr Manuskript an Hahn und Straßmann schickte. Und Otto Hahn hat dann seinerseits in einer zweiten Publikation im Januar 1939 die Ergebnisse von Lise Meitner zitiert, die sich noch im Druck befanden, und ihr für ihre großen Anteile an der Entdeckung gedankt. Beide sind also fair miteinander umgegangen, und beide haben ihre Anteile. Ich bin mir im Übrigen ganz sicher, dass wir ohne die erzwungene Flucht von Lise Meitner heute die Namen zweier Autoren und einer Autorin auf jenen historischen Publikationen lesen würden, die die Entdeckung der Kernspaltung beschreiben,: Lise Meitner, Otto Hahn und Fritz Straßmann.

Die Fragen stellte Jan Hambura.