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Forschung für eine sich wandelnde Welt

In der Exzellenzstrategie wurden fünf Anträge der Freien Universität zum Vollantrag aufgefordert: Die designierten Sprecherinnen und Sprecher erklären, womit sie sich befassen und wie es weitergeht

20.10.2017

„MATH+ heißt: Mathematik kann mehr!“, sagt Günter M. Ziegler, Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, begeistert über den Antrag, den er gemeinsam mit zwei Kollegen von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin – Michael Hintermüller und Martin Skutella – im Februar bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einreichen wird: „Da wirkt die gesamte Berliner Mathematik zusammen von der Theorie bis zur Anwendung.“

MATH+“ baut dabei auf das MATHEON und die Berlin Mathematical School auf, thematisch wird jedoch das Spektrum erweitert – auf durchaus überraschende Weise: „Wir wollen zeigen, dass mathematische Theorie in den Geistes- und Sozialwissenschaften neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.“ Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur aus der Mathematik und Informatik, sondern auch aus Fächern wie Archäologie und Quantenphysik seien mit „Begeisterung und Elan“ dabei. Vor allen Beteiligten und den drei Sprechern liege nun eine arbeitsreiche Zeit, „ein kommunikativer und kreativer Prozess“: „Das Projekt ist für die Berliner Mathematik, ja auch für den Wissenschaftsstandort Berlin, entscheidend wichtig“, sagt Ziegler, „und dieser Verantwortung stellen wir uns.“

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Ebenfalls ein ganz neues Projekt ist der Antrag „Temporal Communities – Doing Literature in a Global Perspective“: Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler wollen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen – etwa der Theaterwissenschaft oder der Kunstgeschichte – ein neues Verständnis von Literatur entwickeln: „Lange Zeit war es selbstverständlich, Literaturgeschichte in klassische Kategorien wie Nation oder Epoche einzuteilen. Wir wollen stattdessen zeigen, wie Literatur sich ihre eigenen Wege sucht und wie sie unsere traditionell gezogenen Grenzen zwischen Kulturen oder Sprachräumen überwindet oder in komplexen Verflechtungen in Frage stellt“, sagt Anita Traninger. Die Professorin für Romanistik ist designierte Sprecherin des Projekts – gemeinsam mit dem Anglistikprofessor Andrew James Johnston.

„Besonders wichtig ist uns der Zeitaspekt“, sagt Johnston. „Wenn Literatur die Grenzen von Nationen, Kulturen oder geschichtlichen Perioden durchkreuzt, dann hat dies immer auch Auswirkungen auf die damit verbundenen Vorstellungen von Zeit und Geschichtlichkeit.“ Die Beziehungen, die Literatur mit anderer Literatur, aber auch mit anderen Medien und Künsten eingeht, könnten sich dabei über Tausende von Jahren erstrecken.

Das Projekt ist an der Freien Universität angesiedelt, geplant sind Kooperationen mit Literaturhäusern und anderen Kultur- und Forschungseinrichtungen sowohl in der Region als auch weltweit, erzählt Anita Traninger: „Andrew James Johnston und ich sind viel unterwegs und viel in Gesprächen, um mit unseren lokalen, nationalen und internationalen Partnerinnen und Partnern die Details unserer Zusammenarbeit zu planen und festzulegen. Es ist eine schöne und sehr intensive Arbeit, die wir in den nächsten Monaten vor uns haben.“

Wie und warum sich Gesellschaften verändern, damit wollen sich Altertumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler von Topoi von Januar 2019 an beschäftigen. Der Neuantrag „Topoi – Stability and Instability in Ancient Civilizations“, kurz „Topoi – [in]Stability“, ist eine thematische Weiterentwicklung des seit 2007 erfolgreichen Exzellenzclusters „Topoi”, in dessen Zentrum in den vergangenen Jahren die Begriffe „Raum“ und „Wissen“ standen. Wichtige Vorarbeiten für das neue Thema seien in dieser Zeit entstanden, sagt Monika Trümper, Professorin für Klassische Archäologie an der Freien Universität Berlin. Wie auch der bestehende Exzellenzcluster wird der neue Antrag von Freien Universität und der Humboldt-Universität gemeinsam getragen.

Während Gerd Graßhoff, Professor für Wissenschaftsgeschichte der Antike, auch im neuen Wettbewerb Sprecher der Humboldt-Universität sein wird, steht an der Freien Universität ein Wechsel an: Monika Trümper wird auf den Prähistoriker Professor Michael Meyer folgen, derzeit Topoi-Sprecher und noch maßgeblich involviert in die Antragsstellung. „Wir schreiben in einem höchst anregenden ‚Triumvirat‘“, erzählt Monika Trümper, „im regen Dialog mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen.“

Neben den beiden Universitäten bleiben auch die vier außeruniversitären Einrichtungen – die Berlin Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Deutsches Archäologisches Institut, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – tragende Säulen des Vorhabens. „Mich faszinieren das anspruchsvolle, zeitlos aktuelle Thema und die Perspektive der enormen disziplinären, institutionellen, chronologischen und geografischen Breite sowie der theoretischen und der methodischen Vielfalt, mit der [in]Stability im Cluster untersucht werden soll, “ so Monika Trümper.

Durch die Frage nach den Gründen für stabile und instabile Phasen von Zivilisationen kann ein eigener Zugriff auf historisches Handeln und seine intendierten und nicht intendierten Konsequenzen entwickelt werden. Mit dabei sind neben Forscherinnen und Forschern aus den zahlreichen Kleinen Fächern im Bereich der Altertumswissenschaften auch erstmals – um bestimmte Fragestellungen lösen zu können – Kolleginnen und Kollegen aus den Natur- und Sozialwissenschaften.

Einem politisch aktuellen Thema wollen sich die an dem Antrag„Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)“ beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern widmen: Im Fokus der geplanten Forschung stehen unter anderem „autoritäre und illiberale Staaten“ und populistische Bewegungen, die liberale Werte hinterfragen.

„Die Auseinandersetzungen um das liberale Ordnungsmodell sollen sowohl in historischer, globaler als auch vergleichender Perspektive untersucht werden“, erklärt Tanja Börzel. Die Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin ist designierte Sprecherin von SCRIPTS, gemeinsam mit Michael Zürn, Direktor der Abteilung „Global Governance” am Wissenschaftszentrum Berlin und Professor an der Freien Universität: „Mir ist besonders wichtig, die systematische Zusammenarbeit zwischen den Sozialwissenschaften und den Regionalstudien weiter zu stärken, die wir bereits erfolgreich praktizieren“, sagt Tanja Börzel. Sie sei stolz, dass es gelungen sei, die sozialwissenschaftliche und regionale Expertise im Berliner Raum mit diesem Antrag zu bündeln. So sind etwa Spezialistinnen und Spezialisten für Osteuropa, Nord- und Südamerika, Asien und arabische Länder beteiligt – gleichzeitig werden auch Forscher und Forscherinnen aus der Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften sowie den Rechtswissenschaften eingebunden.

Auf eine bereits seit zehn Jahren erfolgreiche Zusammenarbeit gründet auch der Antrag „NeuroCure“ der Charité – Universitätsmedizin Berlin, an dem die Freie Universität als Trägerinstitution gemeinsam mit der Humboldt-Universität beteiligt ist. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten daran, Erkenntnisse aus der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung noch stärker als bisher in klinische Studien zu überführen und neue therapeutische sowie diagnostische Ansätze zu entwickeln. Sprecher der Initiative ist Professor Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums der Charité.

Insgesamt wurden in Berlin neun Clusterinitiativen zum Vollantrag aufgefordert – so viele wie an keinem anderen Wissenschaftsstandort in Deutschland. Besonders gut repräsentiert sind in Berlin die Geistes- und Sozialwissenschaften, die bundesweit proportional die wenigsten Anträge im Wettbewerb haben, nämlich nur 19 Prozent, wie die DFG mitteilte (gegenüber 24 Prozent Vorhaben in den Lebenswissenschaften, 26 Prozent in den Ingenieurwissenschaften und 31 Prozent in den Naturwissenschaften). Insgesamt sind nun noch 88 Anträge im Rennen von insgesamt 195 Vorhaben aus allen Bundesländern. Von 2019 an gefördert werden sollen 45 bis 50 Cluster. Die Anträge müssen sich im Frühjahr einem komplexen mehrstufigen Begutachtungsverfahren der DFG stellen, auch die Begehungen finden dann statt. Im September 2018 wird feststehen, welche Cluster tatsächlich gefördert werden.

Das gute Abschneiden der Berliner Universitäten ist auch das richtige Signal für die Leitungen von Freier Universität, Humboldt-Universität, Technischer Universität sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, denn drei erfolgreiche Cluster sind für eine Verbundbewerbung in der zweiten Förderlinie des Wettbewerbs für die Universitäten notwendig.

Weitere Informationen

Projektbeschreibungen aller Berliner Clusterinitiativen sind auf der Internetseite der Berlin University Alliance zu finden, die Projekte der Freien Universität finden sich auch auf den Seiten Internationale Netzwerkuniversität. Hier finden sich auch weiterführende Links zur Exzellenzstrategie, dem Nachfolgewettbewerb der Exzellenzinitiative, die in diesem Monat zu Ende geht.