„Ein Mann der ersten Stunde und der ersten Reihe“
Lesung aus den Erinnerungen des Gründungsstudenten Professor Helmut Coper / Diskussion mit Gesine Schwan, Günter Baron, Winfried Fluck, Klaus Heinrich und Paul Nolte
02.02.2015
Schnell wurde klar: Das Clubhaus war zu klein für das große Interesse. Deshalb waren die etwa 180 Zuhörerinnen und Zuhörer von der Zehlendorfer Goethestraße in den Henry-Ford-Bau umgeleitet worden. Ein passender Ort, um an den 2013 verstorbenen Medizinprofessor Helmut Coper zu erinnern, Gründungsstudent der Freien Universität und „Matrikelnummer 2“. Denn nur einen Steinwurf entfernt, in der Dahlemer Boltzmannstraße 3, steht das erste Gebäude der Hochschule. An deren Gründung im Dezember 1948 ist der damalige Student Helmut Coper maßgeblich beteiligt gewesen – ein „Mann der ersten Stunde und der ersten Reihe“, wie ihn der stellvertretende Kanzler Matthias Dannenberg in seinem Grußwort vorstellte. Es wurde ein besonderer Abend, an dem ein Mann und (s)eine Universität im Mittelpunkt standen.
Helmut Coper und S. Karol Kubicki hatten kurzerhand eine Münze geworfen, damals, im November 1948, als es darum ging, wer von beiden sich als erster an der neu gegründeten Freien Universität einschreiben durfte. Gewonnen hat Kubicki, von da an „Matrikelnummer 1“. Seitdem hat er die Münzwurf-Geschichte viele Male erzählen müssen. 67 Jahre später erinnerte sich der heute 87-jährige Medizinprofessor, der am vergangenen Donnerstagabend im Publikum saß, in einem auf der Leinwand gezeigten Kurzfilm an seinen Kommilitonen: „Helmut war unser Bedenkenträger, immer fragend, immer mit einem klaren Ziel“, sagt Kubicki. „Er hat tausendmal überlegt, ob er gerecht ist. Er war ein sehr feiner Mann.“
Biografie
Das Bild Helmut Copers – zunächst des Kindes, dann des Studenten und ersten Asta-Vorsitzenden der Freien Universität, schließlich des Professors für Neuropsychopharmakologie am Universitätsklinikum Steglitz – setzte sich im Laufe des Abends zusammen, im Publikum Copers Ehefrau, Tochter und Enkelin. Geschichtsprofessor Paul Nolte, der die Podiumsrunde im Henry-Ford-Bau moderierte und souverän und kenntnisreich durch den Abend führte, skizzierte seine Biografie:
Im Dezember 1925 in Frankfurt am Main als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Tod der Mutter 1944, die der Familie als Nichtjüdin einen gewissen Schutz vor den Nazis verschafft hatte, Verhaftung und Verschleppung des Vaters. Helmut Coper musste die Schule verlassen und Zwangsarbeit leisten, aber er überlebte den Krieg. Anfang 1946 legte er in Berlin das Abitur ab und begann, an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität und späteren Humboldt-Universität zu Berlin Medizin zu studieren.
Das Wunder von Dahlem
Dort erlebte er die kommunistische Indoktrination durch die sowjetische Militäradministration, gegen die er sich – nach den leidvollen Erfahrungen im Nationalsozialismus – mit anderen Studenten auflehnte. Nach dem Ausschluss dreier Kommilitonen mündete der studentische Protest in der Forderung nach einer freien Universität im Westteil Berlins. Mit Unterstützung der Amerikaner und von Berliner Politikern gelang „das Wunder“, wie Coper in seinen Erinnerungen schreibt, die im vergangenen Jahr im Verlag BibSpider erschienen sind und aus denen der Schauspieler Wolfgang Unterzaucher las: die Gründung der Freien Universität Berlin. Sie wurde ihm Aufgabe und Lebensmittelpunkt: „Die Universität war unser Zuhause“, schreibt Coper. „Alles haben wir hier besprochen.“
Coper habe „für die Idee einer Universität gebrannt“, erzählte Klaus Heinrich, ebenfalls Gründungsstudent, auf dem Podium. Der spätere Professor für Religionsphilosophie in Dahlem würde die Geschichte der Universität noch vor ihrer eigentlichen Entstehung beginnen lassen: 1945, mit dem Kriegsende und der Sehnsucht einer jungen Generation nach einem freien Leben, nach Ausbildung und gesellschaftlichem Aufbau: „Wir waren nach dem Krieg wie neu geboren“, beschrieb Heinrich die Aufbruchstimmung. Mit Coper hätte er eine „Universitätsutopie“ geteilt: Eine Gemeinschaft aus Lehrenden und Lernenden, die „streitend, ohne sich zu streiten“, trotz ideologischer Gegensätze miteinander ins Gespräch kommt.
„Freiheit spielte in vielen Kontexten eine Rolle“
Wie sehr die Atmosphäre an der neu gegründeten Hochschule die erste und nachfolgende Generation prägte, machten auch die Erinnerungen der weiteren Podiumsteilnehmer deutlich: Als Gesine Schwan zum Wintersemester 1962/63 als Studentin nach Dahlem kam, war das Klima politisch aufgeladen: In einer Urabstimmung im Februar 1963 wurde der Jurastudent Eberhard Diepgen – späterer Regierender Bürgermeister – wegen seiner Burschenschaftszugehörigkeit als AStA-Vorsitzender der Universität abgewählt: mit einer aus heutiger Sicht unvorstellbaren studentischen Beteiligung von 75 bis 80 Prozent. Das „Thema Freiheit“, sagte die ehemalige Professorin für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut, habe damals nicht nur in Bezug auf den Ost-West-Konflikt und die Teilung Deutschlands und Berlins eine Rolle gespielt, sondern auch in dem Streben nach Befreiung aus Traditionen und gesellschaftlichen Zwängen.
Er sei durchaus „mit politischem Bewusstsein“ von Würzburg nach Berlin gekommen, erzählte Günter Baron, langjähriger stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität. Als er 1964 sein Referendariat in der Universitätsbibliothek antrat – die in den ersten Jahren betont provisorisch „Bibliotheksleitstelle“ hieß – sei er noch auf Gründungsstudenten getroffen. Die Bibliothek habe für ihren Aufbau Geschenke aus aller Welt erhalten, mit dem Jahresetat von 35.000 bis 50.000 DM habe man ganze Bibliotheken ankaufen können. Manche Bücher seien „auf abenteuerlichen Wegen“ aus dem Ostsektor nach Dahlem gekommen, erzählte Baron.
Für Amerikanistikprofessor Winfried Fluck – seit 1963 Student an der Freien Universität – blieb die Gründungsgeschichte immer präsent: „Die Idee der selbstverwalteten Universität ging ja darauf zurück.“ Gleich in seinem ersten Semester erlebte Fluck, wie Geschichte geschrieben wird: Er war Augenzeuge des Besuchs des US-Präsidenten John F. Kennedy in Berlin und hörte seine historischen Reden in Dahlem und Schöneberg.
Zeitzeugen im Publikum
Die Beiträge der Podiumsteilnehmer wurden durch Erinnerungen und Anekdoten aus dem Publikum ergänzt. Auch sie Zeugnisse großer Verbundenheit mit der Freien Universität. Er habe sein Leben lang von dem Studium in Dahlem profitiert, erzählte ein Zuhörer, der an der Freien Universität Volkswirtschaft studiert hatte: „Ich bin meinen Professoren dankbar für die Theorienvielfalt, die sie gelehrt haben.“
Die siebziger Jahre seien nicht nur „chaotisch“ gewesen, sagte ein Neurologe aus dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin der Charité und wollte damit ein gängiges Urteil korrigieren. Es sei eine Zeit der Suche nach neuen Wegen gewesen: „Wir wollten auch als junge Mediziner mehr Demokratie.“ Daraus sei ein neues Verhältnis von Arzt und Patient entstanden, „auf Augenhöhe“.
Ingo Peschel, heute Physikprofessor an der Freien Universität, erinnert sich an die damals für Erstsemester obligatorische Studienberatung – von Studenten für Studenten: „Ich wusste von Anfang an, dass die Freie Universität eine besondere Uni ist.“
Ungehobene Zeugnisse
Dass noch längst nicht alle Geschichten erzählt sind und mancher Zeitzeuge nicht ausreichend gehört worden ist, wurde deutlich, wenn Klaus Heinrich sprach. Mit seinem klugen Blick auf die damaligen und heutigen Verhältnisse, seinem wachen Geist und seinem Mut zu nachdenklichen Pausen ließ er den Hörsaal ganz still werden.
Immer wieder kam der 87-Jährige auf Helmut Coper zurück, auf dessen Ideale und die Anfänge der Freien Universität: Damals habe es noch keine „totale Ökonomisierung des Denkens“ gegeben, und „Gegner waren keine Feinde“. Heinrich plädierte für mehr „gegnerische Gespräche“ und sieht in mangelhafter Kommunikation die Ursache von Konflikten. Die Hauptaufgabe einer Universität sei es, „gegen große gesellschaftliche Verdrängungen anzugehen“. Das sei eine Übersetzungsaufgabe – und die Daseinsberechtigung einer Universität. Damals wie heute.