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„Wir haben nichts Besseres als Europa!“

Neue Diskussionsreihe „Wissenschaft trifft Politik“ / Kooperation von Freier Universität, "Tagesspiegel" und Schwarzkopf Stiftung

01.03.2013

V.l.n.r.: Florian Kranefuß, Prof. Christian Calliess, Prof. Paul Nolte, Michael Roth, Sahra Wagenknecht, Gerd Appenzeller, André Schmitz-Schwarzkopf, Stephan-Andreas Casdorff, Prof. Peter-André Alt.

V.l.n.r.: Florian Kranefuß, Prof. Christian Calliess, Prof. Paul Nolte, Michael Roth, Sahra Wagenknecht, Gerd Appenzeller, André Schmitz-Schwarzkopf, Stephan-Andreas Casdorff, Prof. Peter-André Alt.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Die stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknecht, kritisierte die starke Wirtschaftslobby in der EU, die mächtiger sei als auf nationaler Ebene.

Die stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknecht, kritisierte die starke Wirtschaftslobby in der EU, die mächtiger sei als auf nationaler Ebene.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Europarechtler Professor Christian Calliess erinnerte an die Entwicklung des als Montanunion gestarteten Wirtschaftsverbunds im Nachkriegseuropa zur politischen Union heute mit gemeinsamem Rechts-, Währungs- und Wirtschaftsraum.

Europarechtler Professor Christian Calliess erinnerte an die Entwicklung des als Montanunion gestarteten Wirtschaftsverbunds im Nachkriegseuropa zur politischen Union heute mit gemeinsamem Rechts-, Währungs- und Wirtschaftsraum.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Michael Roth, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, bezeichnete Europa als „zivilisatorisches Projekt“.

Michael Roth, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, bezeichnete Europa als „zivilisatorisches Projekt“.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Professor Paul Nolte, Historiker an der Freien Universität, warb mit Blick auf die noch junge Geschichte Europas um deren Anerkennung – und um Geduld.

Professor Paul Nolte, Historiker an der Freien Universität, warb mit Blick auf die noch junge Geschichte Europas um deren Anerkennung – und um Geduld.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Im Rahmen der neuen Diskussionsreihe „Wissenschaft trifft Politik“ debattieren Wissenschaftlern der Freien Universität mit Politikern im „Tagesspiegel“-Gebäude.

Im Rahmen der neuen Diskussionsreihe „Wissenschaft trifft Politik“ debattieren Wissenschaftlern der Freien Universität mit Politikern im „Tagesspiegel“-Gebäude.
Bildquelle: Kai-Uwe Heinrich, Tagesspiegel

Es ist wie alles eine Frage der Perspektive: Während es für die einen ein „Demokratieabbau-Projekt“ ist, ist es für die anderen ein „Demokratie-ermöglichungs-Projekt“. Was Europa genau ist, das sahen Sahra Wagenknecht von der LINKEN, der SPD-Abgeordnete Michael Roth, der Europarechtler Professor Christian Calliess und der Historiker Professor Paul Nolte von der Freien Universität erwartungsgemäß unterschiedlich. Doch in einem waren sich die Podiumsteilnehmer der Auftaktveranstaltung der neuen Diskussionsreihe „Wissenschaft trifft Politik“ einig: Zu Europa gibt es keine Alternative.

Die von der Freien Universität Berlin angeregte und mit dem „Tagesspiegel“ und der „Schwarzkopf Stiftung Junges Europa“ gemeinsam veranstaltete Diskussionsreihe hätte bei ihrem Auftakt nicht aktueller sein können: Schließlich hatte der Titel „Ist Europa noch zu retten?“ durch die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck, vor allem aber durch den Ausgang der Wahl in Italien an Brisanz gewonnen. Und so ging es auch am Dienstagabend, als Wissenschaft und Politik in diesem Rahmen erstmals aufeinandertrafen, um nicht weniger als die Frage, was Europa im Innersten zusammenhält.

„Europa muss politisch erklärt werden“

Europarechtler Professor Christian Calliess erinnerte an die Entwicklung vom als Montanunion gestarteten Wirtschaftsverbund im Nachkriegseuropa hin zur politischen Union mit gemeinsamem Rechts-, Währungs- und Wirtschaftsraum. Europa habe mit seinem demokratisch regulierten Binnenmarkt vollbracht, „was wir uns für die globalisierte Welt wünschen“, sagte Calliess: „Einen Markt, der politisch flankiert werden kann.“ Allerdings habe das seinen Preis, denn auf europäischer Ebene würden immer wieder auch einmal Entscheidungen getroffen, die nationalen Interessen entgegenstünden. Das liege auch daran, dass Europa kompliziert sei: „Europa ist nicht Bionade, es handelt sich hier nicht um einen Selbstläufer, Europa muss politisch erklärt werden“, sagte Calliess. Es stelle sich daher immer wieder die demokratisch zu beantwortende Frage, wie europäisch wir regiert werden wollten.

Kritik an mächtiger Wirtschaftslobby in der EU

Michael Roth, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, bezeichnete Europa als „zivilisatorisches Projekt“. Damit es gelinge und die derzeitige Vertrauenskrise – „die schlimmste aller möglichen Krisen“ – überwunden werden könne, müsse vor allem das europäische Parlament gestärkt werden. Die stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknecht, kritisierte die starke Wirtschaftslobby in der EU, die mächtiger sei als auf nationaler Ebene. Sie plädierte für „ein anderes Europa“, in dem die Banken reguliert und Mindeststeuersätze festgelegt seien.

„Ein Sondermodell ohne Vorbild“

Professor Paul Nolte, Historiker an der Freien Universität, warb mit Blick auf die noch junge Geschichte Europas um Anerkennung – und um Geduld: Dass sich Nationen, die noch vor wenigen Jahrzehnten Kriege gegeneinander führten oder „Spielball“ verschiedener Mächte gewesen seien wie unser Nachbarland Polen, nun zu einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Union ohne Grenzen zusammengeschlossen hätten, sei ein Sondermodell, für das es kein Vorbild gebe. Die Europäische Union habe befriedenden Charakter, sie schütze und ermögliche die demokratische Verfassung seiner Mitgliedstaaten, sagte Nolte und entgegnete Sahra Wagenknecht: „Europa ist ein ‚Demokratieermöglichungs-Projekt‘.“ Nolte warnte davor, die aktuellen Entwicklungen überzubewerten. Zwar sei Europa – wenn man das Bild bemühen wolle – in der Midlife-Crisis, einige südeuropäische Länder steckten vielleicht noch in der Pubertät: „Aber Europa ist kein Mantel, den wir uns nur umgelegt haben“, sagte Nolte, „es steckt uns längst in den Genen.“

Anknüpfen an politische Diskussionen an der Freien Universität

Mit der Diskussionsreihe „Wissenschaft trifft Politik“ will die Freie Universität Berlin an ihre lange Tradition als politisches Diskussionsforum anknüpfen: „Es ist der Freien Universität aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte ein besonderes Anliegen, die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft durch diese Reihe zu unterstreichen und vor großem Publikum Diskussionen über politisch wichtige Themen auszutragen“, sagte der Präsident der Freien Universität, Professor Peter-André Alt.

„Die Freie Universität als Stätte der Exzellenz und die Schwarzkopf Stiftung als Brücke der Jugend nach Europa – das sind Partner im Geiste des Tagesspiegels“, sagte Stephan-Andreas Casdorff, Tagesspiegel-Chefredakteur. „Der ist hier Medium und Faktor in einem: Medium zur Wertevermittlung, zu dem, was Wissen schafft, und Faktor der Erklärung von Meinungen und Meinungsströmen. Das ist politisch wie gesellschaftlich interessant, und gemeinsam machen wir es relevant.“

Auch die Schwarzkopf-Stiftung freut sich über die Kooperation: „Uns ist es ein wichtiges Anliegen, jungen Menschen Europa in seinen vielfältigen Facetten näher zu bringen und gemeinsam über unser Europa der Zukunft zu diskutieren“, sagte André Schmitz-Schwarzkopf, Vorstandsvorsitzender der Schwarzkopf-Stiftung. „Wissenschaft trifft Politik“ biete eine Plattform für die kritische Auseinandersetzung und den konstruktiven Diskurs zwischen Theorie und Praxis. „Die Auftaktveranstaltung war ein schöner Erfolg: Theorie und Praxis zeigten spannende Konflikte, Ideen und Lösungsvorschläge für europäische Politik auf.“

Selbstverständliches Europa für junge Menschen

Dass das Europa-Thema zündete, zeigte auch der große Zuspruch junger Zuhörer: Etwa ein Drittel des Publikums waren Schülerinnen, Schüler und Studierende. Für sie gehört Europa zum Alltag und ist selbstverständlich. Auf die Frage, ob Europa noch zu retten sei, antwortete der 26-jährige Philipp Stiel: „Ja, denn die meisten Menschen wollen Europa.“

„Wissenschaft trifft Politik“

Die nächste Veranstaltung in der Reihe „Wissenschaft trifft Politik“ beschäftigt sich mit den Folgen des Arabischen Frühlings. Sie ist für Juni geplant.