Springe direkt zu Inhalt

Zweierlei Weihnachten

Die Kommerzialisierung des Festes verdrängt immer mehr dessen religiösen Hintergrund

22.12.2008

Schokoladenweihnachtsmänner sind nicht zwingend notwendig, um Weihnachten im christlichen Sinne zu feiern

Schokoladenweihnachtsmänner sind nicht zwingend notwendig, um Weihnachten im christlichen Sinne zu feiern
Bildquelle: fotolia

In die Zeit des Advents oder, wenn man will, in die Vorweihnachtszeit fällt die Klage über den Verlust des ursprünglichen Sinns des Weihnachtsfestes. Manch einer kritisiert die Unzeitigkeit des Feierns – Betriebsweihnachtsfeiern finden wegen Jahresabschlüssen schon mal im November statt, Weihnachtsmärkte öffnen schon zu Totensonntag und Feiertagsgebäck gibt es bereits im Spätsommer.

Viele missbilligen die Kommerzialisierung der Adventszeit und der Feiertage, wohlwissend, dass „das Weihnachtsgeschäft“ längst ein wichtiger Indikator für die Volkswirtschaft und Werbung nun einmal notwendig ist. Man beanstandet das Verschwinden von alten Riten und Bräuchen, das gemeinsame Feiern im Familienkreis, liedersingend unter dem Weihnachtsbaum. Da fehlt nicht viel, und das Wort von der „Krise des Weihnachtsfestes“ macht die Runde. Die sich um den Sinn und das Weihnachtsfest Sorgenden kommen aus Feuilleton und Kirchen, bisweilen melden sich sogar mahnende Stimmen aus dem Einzelhandel. Und Loriots Epigonen amüsieren sich mehr oder weniger gelungen über den Stress der deutschen Weihnacht.

Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass hier verschiedene Dinge miteinander in eins gesetzt werden. Die Entwicklung des Weihnachtsfestes seit dem 19. Jahrhundert hat dazu geführt, dass wir es längst mit zwei Ausformungen des Festes zu tun haben: einem christlich begründeten und gefeierten und einem säkularen Fest, das sich in seiner heutigen Gestalt nicht zuletzt der bürgerlichen Familie verdankt. Damit soll nicht gesagt sein, dass es außer dem Termin, dem 25. und 26. Dezember – der 24. selbst ist kein Feiertag – keine Gemeinsamkeiten mehr gibt. Vielmehr finden sich in der Gestaltung des Feierns durchaus Elemente, die bei beiden vorkommen. Einerseits sind auch Kirchen mit dem Adventskranz geschmückt, oder es stehen Weihnachtsbäume im Kirchenraum. Andererseits kann der Besuch einer Christmette auch im Rahmen der säkularisierten Feier ästhetische Bedürfnisse befriedigen und ähnlich dem Bach''schen Weihnachtsoratorium zu einer gehobenen Stimmung beitragen. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer fürchten diese „Weihnachtschristen“, nicht etwa, weil sie unwillkommen wären, sondern weil sie an die Gestaltung von Gottesdienst und Predigt ungleich höhere Ansprüche stellen. Die ernst gemeinte Frage, nicht unähnlich der nach einer Restaurant-Empfehlung, in welcher Kirche zu Weihnachten Besonderes geboten würde, erreicht die kirchlich Verantwortlichen bisweilen schon zu Beginn des Advents.

So gewiss Weihnachten ein Hochfest ist, an dem die Liturgie die Feierlichkeit des Tages abbilden soll, so gewiss ist eben auch, dass an diesem Tag wie an jedem anderen Gottesdienst gefeiert wird in Erinnerung an Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi. Das christliche Weihnachtsfest ist kein Kindergeburtstag, sondern die Feier der Menschwerdung des Wortes Gottes. Ein Krippenspiel kann schön, anrührend und erbaulich sein, nur ist es nicht wesentlich für die Feier dieses glaubensbegründenden Ereignisses. Selbst die immer wieder gestellte Frage, ob Jesus wirklich in der Nacht des 24. Dezembers geboren wurde, ist völlig belanglos. Denn was Christinnen und Christen an diesem Fest feiern, ist der Zuspruch und die Zumutung des Evangeliums, dass das Kind in der Krippe Grund ihres Glaubens ist. Um dieses Fest zu feiern, bedarf es keines Weihnachtsbaumes, keiner Knabenchöre und auch keines Krippenspiels. All das ist schönes, aber nicht notwendiges Beiwerk. Um das Fest zu feiern, bedarf es nur des Satzes aus dem Lukas-Evangelium: „Denn euch ist heute in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Es mag eine Krise der Verkündigung der Botschaft von Weihnachten geben, eine Krise dieses Festes gibt es sicherlich nicht.

Die säkulare Form des Weihnachtsfestes ist – abgesehen vom politischen Missbrauch im vergangenen Jahrhundert – weitgehend bestimmt von den Elementen Familie, Brauchtum und Konsum. Schon in bürgerlichen Familien des 19. Jahrhunderts bildete der Akt der Geschenkübergabe an Familienangehörige und Gesinde einen Höhepunkt des Festes, begleitet von halbprivaten häuslichen Feiern. Dass damals auch in Häusern vieler jüdischer Familien ein Weihnachtsbaum stand – der Publizist und Politiker Theodor Herzl wollte jedenfalls nicht darauf verzichten –, wie heute bei zahlreichen Muslimen, belegt deutlich, dass Weihnachten zu einem Fest ohne religiöse Bezüge werden konnte. Fast könnte man sagen, dass man das Gefühl von Weihnachten feierte, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und freundlicher Gemütlichkeit. Insofern dies heute immer mehr verloren geht oder sein Verlust beklagt wird – die Angst vor der Vereinsamung zum Fest ist beredt –, gibt es dafür zweifelsohne gesellschaftliche Gründe. Wenn sich die Familienstruktur grundlegend ändert, kann diese Entwicklung nicht ohne Folgen für ein explizites Familienfest sein. Lehrer wissen von Kindern zu erzählen, für die Weihnachten zu einer Besuchsreise zu den komplizierten Verästelungen der Patchwork-Familie geworden ist. Dass manche sich diesen Belastungen nicht aussetzen wollen, sondern lieber verreisen, ohne freilich dem weihnachtlichen Brauchtum irgendwo auf dem Erdenrund entgehen zu können, mag man verstehen.

Doch ist damit aufgrund der Geschichte des bürgerlichen Weihnachtsfestes eben auch ein kaum verhülltes Nein zu Familienbanden gesprochen. Weihnachten kann auf recht grausame Weise die Spannungen und Brüche in Familien deutlich machen: Wer nicht in einer glücklichen Familie lebt, wird Weihnachten kaum als beglückend erleben. Die Erwartung an das Fest ist hoch, vielleicht bisweilen zu hoch. Und hier ist wohl auch als ein Element das Weihnachtsbild zu nennen, das die Werbung vermittelt. Wer wollte es Werbeleuten verübeln, dass sie das Bild des Festes mit Geschenken und Harmonie immer wieder neu gestalten? Schwierig wird es da, wo man suggeriert, Harmonie entstehe durch Geschenke, denn da die Kultur des Schenkens auch in eine Krise gekommen ist, wird der Kauf von Präsenten häufig als Belastung erlebt. Die so diagnostizierte Krise zeigt letztlich, dass das Feiern und die Fähigkeit, dieses Feiern zu gestalten, schwer fallen. Dabei könnte es helfen, Feiern als das zu begreifen, was es zunächst ist: eine Unterbrechung des Alltags und Freude an sich und denen, die einem nahe stehen. Das ist wichtiger als alles andere. Und doch: Irgendwie wissen wir darum, dass es schade wäre, wenn es Weihnachten nicht mehr gäbe, keine Bäume, keine Kerzen, keine Geschenke, keine Festessen. Man müsste dem Fest die Chance geben, wieder entdeckt zu werden als gute Zeit. Dann könnte man irgendwann vielleicht wie Hans Christian Andersen sagen: „Wie leide ich vor Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten!“