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Therapieformen (H. - W. Rückert)

Psychotherapie

Wenn Sie mit dem Studium beginnen, sind Sie zwar schon erwachsen, aber natürlich entwickelt sich Ihre Persönlichkeit während des Studiums weiter, wobei dieser Prozeß der sogenannten Spätadoleszenz häufig genug durch Krisen geprägt und störanfällig ist. Diese Krisen sind unvermeidbar und letztlich positiv, wenn sie adäquat bewältigt werden. Wenn nicht, dann stellt sich Leiden ein. Um nicht in Ängsten und Selbstzweifeln stecken zu bleiben, können Sie unsere Psychologische Beratung in Anspruch nehmen. Manchmal reichen jedoch einige Beratungsgespräche nicht aus, sondern eine psychotherapeutische Behandlung ist erforderlich. Über einige wesentliche Aspekte informieren wir im Folgenden.

Es gibt verschiedene psychotherapeutische Behandlungsmethoden, die von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt sind und für die somit Kosten einer Behandlung übernommen werden, wenn eine krankhafte Störung vorliegt. Sowohl Verhaltenstherapie als auch psychoanalytisch orientierte Psychotherapie kommen in Frage. Wenn Sie in einer gesetzlichen Krankenkasse Mitglied sind, dann gelten für Sie die "Psychotherapie-Richtlinien", die genau regeln, wie Sie an eine Behandlung kommen und für wieviele Sitzungen die Kasse die Therapiekosten trägt.

Wenn Sie privat versichert sind, ist das anders. Hier hilft nur der Blick in den Versicherungsvertrag bzw. der Anruf beim jeweiligen Versicherungsunternehmen, da Sie (oder Ihre Eltern, wenn Sie bei denen mitversichert sind, beispielsweise als Beamtenkind) höchst unterschiedliche Konditionen abgeschlossen haben können. Üblich ist es, dass die private Krankenversicherung zumindestens für 30 Sitzungen pro Jahr die Kosten übernimmt. Auch hier werden in der Regel nur die beiden oben erwähnten Psychotherapieverfahren zugelassen

Verhaltenstherapie

Die Grundannahme der Verhaltenstherapie ist es, daß Menschen gelernt haben, auf bestimmte innere und äußere Situationen mit gestörtem (nicht angepaßten und womöglich selbstschädigenden) Verhalten zu reagieren. Das gestörte innere oder äußere Verhalten kann durch Um- oder Neulernen reduziert oder beseitigt und neues Verhalten kann erlernt und eingeübt werden. In einer Verhaltenstherapie werden zunächst einmal gegenwärtige Störungen so genau wie möglich auf der Ebene von Gedanken, Gefühlen und konkretem Verhalten beschrieben. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für Veränderungen, bei denen die Beseitigung von Symptomen ganz obenan stehen. Verhaltenstherapie hilft nachweislich besonders gut bei Störungen, die in einer abgrenzbaren Symptomatik bestehen. Wenn Sie beispielsweise unter Panikattacken oder phobischen Ängsten leiden, so daß Sie nicht mit der U-Bahn zur Universität fahren können, dann strebt die Verhaltenstherapie eine möglichst direkte Veränderung an. Ihr Therapeut/Ihre Therapeutin hilft Ihnen dabei, genau das zu tun, wovor Sie Angst haben. Sie oder er wird gegebenenfalls so lange mit Ihnen U-Bahn fahren, bis Ihre Angst verschwunden ist (sogenannte "Expositionsbehandlung"). Parallel zur Konfrontation mit Ihren Ängsten oder Zwängen werden neue, geeignetere Verhaltensweisen eingeübt. Von einer Verhaltenstherapie profitieren Sie dann am meisten, wenn Sie sich auf die Bekämpfung Ihrer Symptome konzentrieren wollen und zu einem aktiven Vorgehen bereit sind. Je diffuser und damit auch schwerer beschreibbar die Störungen in Ihrem Erleben und Verhalten sind, desto weniger wird eine Verhaltenstherapie Ihnen helfen können.

Psychoanalytisch orientierte Psychotherapie

Die psychoanalytisch begründeten Therapieformen (die "große" Psychoanalyse und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) sind der Auffassung, daß hinter Symptomen bewußte und/oder unbewußte Konflikte stehen. Im Laufe der Entwicklung von der Geburt bis zur Adoleszenz werden bewußte und unbewußte Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster verinnerlicht, die ursprünglich der Anpassung an die familiäre Umwelt dienen, in die Sie hineingeboren wurden und auf die Sie existentiell angewiesen waren. Wir alle haben dabei in vielfältiger Weise Freiheiten und Hemmungen, Einstellungen und Abwehrvorgänge gegen Unerwünschtes erworben. Das Ergebnis dieser Lernprozesse ist zum einen unsere "Hardware", unsere Persönlichkeitsstruktur, als relativ unveränderbares Gerüst unseres seelischen Lebens; zum anderen unsere "Software", die Programme, mit denen wir unser Leben gestalten. Beide wirken komplex zusammen. Wenn unsere Programme in anderen Umwelten als der unserer Herkunftsfamilie nicht mehr funktionieren oder die Bedürfnisse unseres gereiften Organismus nicht (mehr) erfüllen können, entstehen Konflikte. An diesen Konflikten setzt die Behandlung an.

In den psychoanalytische begründeten Therapien geht es darum, die lebensgeschichtliche Entwicklung eines Menschen nachzuvollziehen. Dabei lernt man die wichtigsten Konfliktbereiche kennen und die Mischung von Wünschen, Impulsen und der Abwehr gegen beide, die das Auftreten von Störungen bedingen. Diese Störungen können angesehen werden als Probleme in den Beziehungen, die jemand zu sich selbst oder zu bestimmten Teilen seiner Person (Gedanken, Gefühlen, Impulsen, Verhaltensweisen) hat bzw. auch als Probleme der Beziehung zu anderen Menschen. Sie werden in der therapeutischen Beziehung wiederbelebt und für den Patienten erfahr- und verstehbarbar, mit der Möglichkeit, dank der Bewältigungsfertigkeiten einer erwachsenen Person und unter dem Schutz des Therapeuten oder der Therapeutin Lösungen zu finden für bewußte oder bisher unbewußte Konflikte.

Analytische Psychotherapie ("große" Psychoanalyse) hat das Ziel, bestimmte Elemente Ihrer Persönlichkeitsstruktur zu verändern und Besserung oder Heilung durch weitreichende Veränderungen Ihres Erlebens und Verhaltens herbeizuführen. In dieser Form der Psychotherapie machen Sie sehr intensive Erfahrungen im Umgang mit Ihren Gedanken und Gefühlen. Im klassischen Rahmen liegen Sie dabei auf der sprichwörtlichen Couch. In der sogenannten "tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie" stehen aktuelle Konflikte im Vordergrund, die mit einer klar eingegrenzten Zielsetzung im Gespräch geklärt werden sollen.

Wenn Sie - wie im obigen Beispiel - Ängste vor U-Bahn-Fahrten zur Universität haben, aber auch in anderen Lebensbereichen Störungen auftreten und diese Hintergründe in persönlichen Problemen oder solchen der Partnerschaft haben, wird eher tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Therapie in Frage kommen. Ihre Symptome werden im Hinblick auf ihre symbolische Bedeutung betrachtet werden, als Ausdruck von Feindseligkeit, gelernter Hilflosigkeit, einem Schrei nach Aufmerksamkeit oder in ihrer Funktion als neurotischer Selbstschutz.

Humanistische Therapieverfahren

Die humanistischen Therapieverfahren haben sich aus der Psychoanalyse heraus entwickelt. Sie teilen daher auch viele Sichtweisen, so die Konzepte von Konflikt, Abwehr und Wiederbelebung der Konflikte in der Therapie, unterscheiden sich aber hinsichtlich der Bewertung vergangener Erfahrungen und des Vorgehens bei der Behandlung. In der Gesprächspsychotherapie (auch Klienten- oder Personenzentrierte Gesprächspsychotherapie) stehen Ihre Sichtweisen im "Hier und Jetzt" im Vordergrund. Die Äußerungen des Therapeuten/der Therapeutin vermitteln Ihnen einfühlsame Nähe zu Ihrem Erleben und sollen Ihnen helfen, nicht wahrgenommene Aspekte Ihrer selbst und/oder von Situationen zu integrieren. Damit wird gefördert, daß Sie sich möglichst uneingeschränkt akzeptieren. In der Gestalttherapie werden bestimmte Übungen durchgeführt, die Gefühle aktivieren sollen, über die dann anschließend gesprochen wird. Dabei geht es unter anderem darum, dass Sie Ihre aktuell erlebten Bedürfnisse und Wünsche ohne Zögern und Unbehagen zum Ausdruck bringen und nach Möglichkeit auch befriedigen. Damit sollen persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung gefördert werden. Auch im Psychodrama spielen Handlungen eine große Rolle: Hier werden konflikthafte Situationen in der Therapiegruppe wie im Theater mit verteilten Rollen durchgespielt und danach durchgesprochen. Ziel ist dabei die Förderung von Spontaneität, Aktivität und Beziehungsfähigkeit. Paar- und Familientherapie behandeln nicht die einzelne Person, sondern die Beziehungssysteme von Menschen, indem die wichtigsten Partner mit in die Therapie integriert werden. Auch hier wird nicht nur gesprochen,. sondern häufig werden auch Übungen durchgeführt und Hausaufgaben aufgetragen. Für alle humanistischen Therapieverfahren gilt allerdings, dass zur Zeit (Stand Juli 2000) die Kosten von den Krankenkassen nicht übernommen werden.

Einzeltherapie, Gruppentherapie

Die Richtlinien der Krankenkassen sehen vor, daß Behandlungen in Verhaltenstherapie und psychoanalytisch orientierter Psychotherapie sowohl als Einzel- wie auch als Gruppentherapie möglich sind. Von einer Gruppe können Sie vor allem dann sehr profitieren, wenn Störungen im Umgang mit anderen Menschen im Vordergrund Ihrer Erkrankung stehen. Gruppen bestehen in der Regel aus ca. 8-12 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, die sich zumeist einmal in der Woche für eineinhalb Stunden treffen, über einen Zeitraum von 1-2 Jahren.

Wie lange dauert eine Therapie?

Verhaltenstherapie wird meistens mit einer Sitzung von 50 Minuten Dauer pro Woche durchgeführt oder mit mehreren 20 minütigen Behandlungseinheiten. Die gesamte Behandlung dauert als Langzeittherapie ca. ein Jahr. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wird zumeist mit einer 50-minütigen Sitzung pro Woche als Langzeitbehandlung für einen Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren durchgeführt. Analytische Psychotherapie ("große" Psychoanalyse) wird als Langzeitbehandlung mit einer hohen Intensität von 2-3 Sitzungen pro Woche über eine Dauer von bis zu drei Jahren durchgeführt.

Wie finde ich die richtige Psychotherapeutin/den richtigen Psychotherapeuten?

Zunächst einmal gilt: Richtig ist, wer qualifiziert ist. Die Qualifikation derjenigen Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die mit den Krankenkassen abrechnen dürfen, ist gesetzlich festgelegt worden. Andere sollten zumindestens die gleiche Qualifikation durch Ausbildung nachweisen können. Dabei wird es sich dann immer um Psychologinnen/Psychologen bzw. Ärztinnen/Ärzte handeln. Sie können sich nach qualifizierten Behandlern/Behandlerinnen bei Beratungsstellen, Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung erkundigen. Bitte beachten Sie auch folgendes: Die jeweiligen Berufsordnungen verbieten es allen seriösen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten, für ihre Dienstleistungen zu werben. Daher sind Anzeigen in den "Psycho"-Rubriken von Stadtmagazinen mit Vorsicht zu genießen.

Vor und während einer Psychotherapie

Wenn Sie eine/n Psychotherapeutin/en gefunden haben, die/der Ihnen in absehbarer Zeit einen Therapieplatz anbieten kann, werden Sie zunächst ein Vorgespräch führen. Nehmen Sie dabei Ihren ersten Eindruck durchaus ernst: Gefallen Ihnen die Person der Behandlerin/des Behandlers und die Praxis? Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Chemie zwischen Ihnen nicht stimmt, dann sollten Sie lieber weitersuchen. Zwar muss sich keine große Sympathie oder Begeisterung über die Therapeutin oder den Therapeuten einstellen, aber wenn Sie in einer Psychotherapie viele private und intime Dinge offen zur Sprache bringen wollen, dann ist eine Antipathie oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden, gleich am Anfang häufig ein unüberwindliches Handicap. Erkundigen Sie sich nach der Ausbildung des Psychotherapeuten/der Psychotherapeutin und fragen Sie auch danach, welche Behandlungsform sie oder er vorschlägt. Falls Ihnen die vorgeschlagene Behandlungsform nicht zusagt, lassen Sie sich eine/n Psychotherapeutin/en der jeweils anderen Grundorientierungen empfehlen. In diesen Vorgesprächen vor Beginn einer Psychotherapie, von denen Sie jeweils vier bis sieben mit unterschiedlichen Behandlern/Behandlerinnen führen können, geht es auch um die Frage, ob eine Krankheit im Sinne der Krankenkassen-Bestimmungen vorliegt. Wenn ja, dann müssen Sie als Patient/in bei Ihrer Krankenkasse die Übernahme der Kosten für Psychotherapie beantragen. Es gibt die Möglichkeit, zunächst 25 Sitzungen durchzuführen (Kurzzeittherapie), die entweder schon der Behebung der Störungen oder der Überprüfung der Frage dienen sollen, welche Behandlung den meisten Erfolg verspricht. Kommt eine Therapievereinbarung mit einem/r psychologischen Psychotherapeuten/in zustande, dann müssen Sie nach den Vorgesprächen noch zu einem/r Arzt/Ärztin gehen, um eventuell bestehende körperlicher Störungen abklären zu lassen.

Langzeittherapie

Falls eine Kurzzeittherapie nicht ausreicht, muß bei der Kasse die Umwandlung in eine Langzeitthe-rapie beantragt werden. Diese wird in verschiedenen Kontingenten (zwischen 20-80 Sitzungen) bewilligt, sofern noch behandlungsbedürftige Störungen bestehen. Vor Beginn eines neuen Behandlungskontingents muß Ihr/e Psychotherapeut/in über Diagnose und Behandlungsstrategie, den Verlauf der Psychotherapie, Ihre Mitarbeit, die erreichten Wirkungen und die weiterhin geplanten Schritte berichten. Wenn eine Behandlung (noch) notwen-dig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, wird Ihre Kasse auch weiterhin die Kosten tragen. Die Kasse läßt das von Gutachtern beurteilen: Die Unterlagen werden anonymisiert und im verschlosse-nen Umschlag (der Sachbearbeiter der Krankenkasse erfährt nichts über Ihre Erkrankung) einer/einem anderen erfahrenen Psychotherapeutin/en übersandt. Der Gutachter/die Gutachterin empfiehlt der Kasse die Übernahme der Kosten - empirisch jedenfalls in mehr als 90% der Fälle.

Zum Schluß: Entscheidend für den Erfolg jeder Psychotherapie ist Ihre Mitarbeit, ob Sie sich nun in einer Verhaltenstherapie aktiv und direkt darum bemühen, Ihre Ängste zu überwinden und sich den Situationen zu stellen, die Sie sonst stets gemieden haben, oder ob Sie in einer analytischen Psychotherapie mehrmals in der Woche darum ringen, mit größtmöglicher Ehrlichkeit das auszusprechen, was wirklich in Ihnen vorgeht. Wenn Sie sich nicht bemühen, kommt eine psychotherapeutische Behandlung nicht voran. Sie müssen immer wieder auch einmal Durststrecken aushalten, in denen sich nichts zum Besseren zu verändern scheint, und gelegentlich kann sich eine Symptomatik auch einmal verschlimmern. Aber das Durchhalten lohnt sich. Nach einer geglückten psychotherapeutischen Behandlung haben Sie nicht nur Ihre quälenden Symptome verloren, sondern oft auch eine vertiefte Erkenntnis Ihrer selbst und Ihrer Beziehungen zu anderen Menschen gewonnen. Beides wird Ihnen sowohl im privaten wie beruflichen Lebens nützlich sein.

H.-W. Rückert