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Gender Studies in der Kurdologie

1998 erhielt die Kurdistan-AG des Allgemeinen Studierenden Ausschusses der Freien Universität den Margherita-von-Brentano-Preis für die „Förderung von Gender Studies in kurdologischer Forschung und Lehre“: Die AG hatte unter anderem 1996 die erste wissenschaftliche Ringveranstaltung zu „Geschlechterverhältnissen in Kurdistan“ durchgeführt; die Beiträge sind inzwischen in dem Sammelband „Kurdische Frauen und das Bild der kurdischen Frau“ im LIT-Verlag veröffentlicht worden.

In der Kurdologie als einer Disziplin, die sich aufgrund ihres Forschungsgegenstandes — einer Ethnie mit einer virulenten Nationalbewegung — der sozialen Konstruktion bzw. Dekonstruktion von Ethnizität und Nation widmet, wurde es bislang weitgehend versäumt, sich der wohl universellsten und wirkungsmächtigsten sozialen Konstruktion, der des Geschlechts, zuzuwenden. Seit Frederik Barth ist bekannt, dass die Konstruktion sozialer Gruppen weniger über die Inhalte als vielmehr über die Grenzziehung geschieht, die Inhalte dabei lediglich wandelbare Marker sind.

Dies gilt für Ethnizität und Nationalismus wie für die Geschlechterdifferenz. Da für die Identität des ego immer auch ein alter notwendig ist, ist in der bipolaren Geschlechterordnung mit ihrer Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen Forschung, die sich Frauen widmet, immer auch Forschung zu Männern: In dem Moment etwa, in dem die Frau als ‘Schutzbedürftige’ entworfen wird, entsteht das korrespondierende Bild des Mannes als Beschützer.

Stellvertretend für die Kurdistan-AG wurden Prof. Dr. Ute Luig, Zonya Dengi, S,ukriya Dogan und Siamend Hajo ausgezeichnet. Mit Siamend Hajo erhielt so zum ersten Mal ein Mann den Margherita-von- Brentano-Preis – auch das ein Beitrag zur Dekonstruktion üblicher Geschlechterrollen. Das mit der Auszeichnung verbundene Preisgeld wurde von der Kurdistan-AG beziehungsweise ihrer ‘Nachfolgeorganisation’, der Berliner Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie genutzt, um vom 23. bis zum 25. September 2000 in Katzow, Mecklenburg Vorpommern, einen „Research-in-Progress-Workshop on Kurdish Gender Studies“ durchzuführen.

Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen aus den USA, Australien, Europa und Asien hatten die Möglichkeit, ihre Forschungsvorhaben, Forschungsergebnisse und Forschungsprobleme mit Experten und Expertinnen aus den Bereichen Migrationsforschung, Kurdologie/Kurdische Studien und Gender Studies zu diskutieren. Die Einladung von zahlreichen Referenten und Referentinnen aus dem Ausland war auch deshalb möglich, weil zusätzlich zu dem Preisgeld noch weitere Mittel aus dem „Förderprogramm Frauenforschung“ der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen eingeworben werden konnten.

Im Rahmen des Workshops wurde insbesondere die Notwendigkeit deutlich, empirische Arbeiten zu gender-relevanten Fragestellungen in den Bereichen Kurdische Studien/Kurdologie mit fundierten theoretischen Kenntnissen im Bereich qualitative Sozialforschung sowie Gender Studies zu verbinden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Workshops stehen nach wie vor in engem Kontakt zueinander. Abgesehen davon, dass sie sich regelmäßig über gender-spezifische Veranstaltungen, Publikationen et cetera informieren, planen einige von ihnen derzeit gemeinsam eine Konferenz zu armenisch-kurdischen Beziehungen, ein Thema, das ähnlichen sozialen Sprengstoff aufweist wie die kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Geschlechterstrukturen.

Die Laudatio hielt Dr. Michiel Leezenberg (Kurdologe).