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Eine Universität der Mehrsprachigkeit

Das Sprachenzentrum der Freien Universität feiert in diesem Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen, sie ist ein Herzstück gelebter Sprachenvielfalt in Dahlem – einer Diversität, die in der Forschung von Weltsprachen wie Arabisch oder Spanisch bis hin zu

24.05.2023

Als noch vom Band gelernt wurde: Das Sprachenzentrum in den 1980er-Jahren.

Als noch vom Band gelernt wurde: Das Sprachenzentrum in den 1980er-Jahren.
Bildquelle: Foto: Reinhard Friedrich / Freie Universität, Universitätsarchiv, Foto-S, RF/ 0191-07 (li.) RF / 0191-08

Ende der 1950er-Jahre schloss Dr. Wolfgang Mackiewicz sein Abitur mit einer Eins in Englisch ab. Doch als der heutige Honorarprofessor für Englische Philologie wenig später zum ersten Mal auf einen Muttersprachler traf, verstand er kein Wort. „Sprachen“, erinnert er sich rund ein halbes Jahrhundert später, „lernte man damals wie Latein, mit viel Übersetzen und Grammatikübungen, aber nicht als Kommunikationsmittel.“ Die sogenannte „Kommunikative Wende“ hielt erst in den 1970er-Jahren Einzug in die Sprachvermittlung. Statt um stures Pauken ging es um spielerisches Üben und Anwendung der Sprache in verschiedenen Kontexten, auch im Alltag.

Prof. Dr. Wolfgang Mackiewicz, Mitbegründer des ­Sprachenzentrums, fädelte mehrere Kooperationen mit europäischen Hochschulen ein.

Prof. Dr. Wolfgang Mackiewicz, Mitbegründer des ­Sprachenzentrums, fädelte mehrere Kooperationen mit europäischen Hochschulen ein.
Bildquelle: Inge Kundel-Saro

Es sind diese Grundsätze, die sich Mackiewicz und sein Kollege Harald Preuss zu Herzen nehmen, als sie 1973 das Sprachenzentrum (das damals „Sprachlabor“ hieß) der Freien Universität gründen – und es über vier Jahrzehnte zu einer der größten und wichtigsten Institutionen seiner Art ausbauen. „Das Sprachenzentrum nahm zahlreiche fremdsprachendidaktische Entwicklungen vorweg“, betont Dr. Ruth Tobias, Sprachlehrerin und heutige Direktorin des Sprachenzentrums. „Im Vordergrund stand von Anfang an die Anwendungs- und Handlungsorientierung, ein Konzept, das heute europäische Standards entscheidend prägt.“ 

Harald Preuss machte zusammen mit Wolfgang Mackiewicz aus dem Sprachenzentrum eine der größten und wichtigsten Institutionen seiner Art.

Harald Preuss machte zusammen mit Wolfgang Mackiewicz aus dem Sprachenzentrum eine der größten und wichtigsten Institutionen seiner Art.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

In diesem Jahr feiert das Sprachenzentrum der Freien Universität sein fünfzigjähriges Jubiläum. Generationen von Studierenden aus dem In- und Ausland haben hier Sprachen aus aller Welt gelernt, ebenso wie zahlreiche internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Heute unterrichten dort rund 40 festangestellte Lehrkräfte. Hinzu kommen noch einmal doppelt so viele Honorarkräfte. Rund 1000 Semesterwochenstunden Sprachlehre kommen so zusammen, verteilt auf dreizehn verschiedene Sprachen. „Es begann im Wintersemester 1973/74 mit Englisch und Französisch“, erzählt Tobias. „Dann kamen rasch Italienisch, Russisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache hinzu.“ In den 2000er-Jahren wurde das Angebot zusätzlich um die Sprachen Arabisch, Japanisch, Portugiesisch, Türkisch, Niederländisch, Persisch und Polnisch ergänzt. 

Dr. Ruth Tobias, Leiterin des Sprachenzentrums: „Wir leben Mehrsprachigkeit im Alltag, sowohl in Bezug auf unsere Fremdsprachenkompetenz als auch auf die Herkunftssprachen der Studierenden und die tägliche Arbeit im Kollegium.“

Dr. Ruth Tobias, Leiterin des Sprachenzentrums: „Wir leben Mehrsprachigkeit im Alltag, sowohl in Bezug auf unsere Fremdsprachenkompetenz als auch auf die Herkunftssprachen der Studierenden und die tägliche Arbeit im Kollegium.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Studierende aller Fächer haben die Möglichkeit, im Rahmen der Allgemeinen Berufsvorbereitung ihres Bachelorstudiums Kurse in der Sprache ihrer Wahl zu belegen. Internationale Studierende und Lehrende können kostenfrei Deutschkurse besuchen. Eine Besonderheit des Sprachenzentrums der Freien Universität ist zudem, dass hier die Fremdsprachenausbildung für eine Reihe von Studiengängen aus den Philologien und Kulturwissenschaften stattfindet. „Angehende Islamwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler lernen bei uns etwa Arabisch oder Türkisch“, sagt Tobias. „Zukünftige Romanisten lernen Portugiesisch oder Italienisch.“ 

Kooperationen mit Universitäten in ganz Europa

Die Freie Universität verfügt so mit dem Sprachenzentrum über eine bewährte Institution, in der die Kompetenzen für Fremdsprachenunterricht zentral unter einem Dach versammelt sind. Darüber hinaus steht es für internationale Vernetzung. Bereits in den frühen 1980er-Jahren nutzte Gründer Mackiewicz seine guten Kontakte zum British Council, um ein Austauschprogramm mit fünf britischen Universitäten zu organisieren. Als die Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft 1987 die Einführung des Erasmus-Austauschprogramms beschlossen, wurde es zu Beginn folgerichtig am Sprachenzentrum angesiedelt. Bereits im ersten Jahr fädelte Mackiewicz Kooperationen mit Hochschulen in Padua, Thessaloniki, Amsterdam, Grenoble, Dundee und Paris ein. Heute gilt der Gründer des Sprachenzentrums auch als „Geburtshelfer“ des Erasmus-Programms an der Freien Universität. Seit Ruth Tobias die Leitung des Hauses im Jahr 2011 von der Doppelspitze Wolfgang Mackiewicz und Harald Preuss übernommen hat, führt sie die internationale Strategie fort. Jüngst etablierte sie etwa ein Partnerprogramm mit der Hebrew University in Jerusalem. „Wir kooperieren mit Hochschulen in ganz Europa, ebenso wie mit führenden Kulturinstitutionen und Botschaften“, betont Tobias. „Wir verstehen uns als ein Zentrum europäischer Sprachenpolitik.“ 

Eines der bislang größten Projekte von Tobias war ein umfassender Leitbildprozess. Über ein Jahr lang kamen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. „Das vorherige Leitbild des Sprachenzentrums war 20 Jahre alt. Wir wollten daher neu klären, wer wir sind und wofür wir stehen“, sagt Tobias. „Und wir wollten das als Bottom-Up-Prozess gestalten, in dem alle ihre Stimme haben.“ Das neue Leitbild erschien pünktlich zum fünfzigjährigen Jubiläum unter der Überschrift „Miteinander mehrsprachig vernetzt“. Die Einrichtung verpflichtet sich dort nicht nur dem Ziel, kulturell kompetente, mehrsprachige und weltoffene Studierende auszubilden und studentische Mobilität und Internationalisierung zu fördern, sondern klärt auch ihr Selbstverständnis als Ort der gesellschaftlichen Diversität. „Wir leben Mehrsprachigkeit im Alltag“, betont Tobias, „sowohl in Bezug auf unsere Fremdsprachenkompetenz als auch auf die Herkunftssprachen der Studierenden und die tägliche Arbeit im Kollegium.“ Nicht nur das Sprachenzentrum habe sich in den vergangenen 50 Jahren verändert, sondern auch die Studierenden. „Viele von ihnen kommen nicht mehr nur mit einer einzigen Erstsprache zu uns. Sie sprechen schon von Haus aus zwei, vielleicht sogar drei Sprachen.“ Eine derartige kulturelle Vielfalt sei ein Schatz, den es zu pflegen gelte. „Diese jungen Menschen haben ganz andere Möglichkeiten mit Sprache umzugehen“, hebt Tobias hervor. „Die unglaubliche Bereicherung durch die Mehrsprachigkeit sollten wir als Gesellschaft noch mehr würdigen.“ 

Der Germanist Dr. Japhet Johnstone verantwortet das „Zentrale Übersetzungsbüro“ der Freien Universität.

Der Germanist Dr. Japhet Johnstone verantwortet das „Zentrale Übersetzungsbüro“ der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Mehrsprachigkeit wird an der Freien Universität außerdem über das Sprachenzentrum hinaus gefördert. Um ihrer internationalen Rolle gerecht zu werden, sind nahezu sämtliche Dokumente der Fachbereiche und zentralen Einrichtungen heute auch auf Englisch verfügbar. Vor vier Jahren wurde hierfür eigens das „Zentrale Übersetzungsbüro“ eingerichtet, angesiedelt an der Stabsstelle Kommunikation und Marketing. Aufgebaut hat das Büro der amerikanische Germanist Dr. Japhet ­Johnstone. „Wir stärken die Freie Universität als internationale Netzwerkuniversität“, betont er, „und sorgen gleichzeitig für mehr Diversität und Offenheit unter Studierenden.“ Mittlerweile sind im Übersetzungsbüro fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Sie übersetzen Publikationen der Freien Universität vom Deutschen ins Englische. Die Bandbreite reicht dabei vom Grußwort des Präsidenten bis hin zu Prüfungsordnungen und Verwaltungsformularen.

Eine der wichtigsten Aufgaben ist zudem die Auseinandersetzung mit der Terminologie. Wie soll man etwa „Hochschulrahmengesetz“ übersetzen, „Institutsratsvorsitzender“ oder „Betriebliches Eingliederungsmanagement“? „Die Sprache an deutschen Universitäten und Verwaltungen hat zahlreiche Eigenheiten, für die es oft keine eindeutige englischsprachige Entsprechung gibt“, unterstreicht ­Johnstone. „Wir klären solche Fälle und legen in Abstimmung mit relevanten Abteilungen einheitliche Lösungen fest.“ Das Zentrale Übersetzungsbüro ist damit eine wichtige universitätsinterne Spracheinrichtung. „Verwaltungstexte und Studienprüfungsordnungen zu übersetzen macht vielleicht nicht immer Spaß“, sagt Johnstone. „Aber uns motiviert, dass wir wissen: Damit erleichtern wir Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen den Zugang zu universitärer Ausbildung erheblich.“ 

Der Sinologe Dr. Andreas Guder hat einen der ­bundesweit ersten Studiengänge aufgebaut, in dem sich Chinesisch auf Lehramt studieren lässt.

Der Sinologe Dr. Andreas Guder hat einen der ­bundesweit ersten Studiengänge aufgebaut, in dem sich Chinesisch auf Lehramt studieren lässt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Natürlich spielen Sprachen an der Freien Universität auch in der Forschung eine zentrale Rolle. In „Rostlaube“, „Silberlaube“ und „Holzlaube“, wo die Geistes-, Sprach- und Kulturwissenschaften beheimatet sind, arbeiten unzählige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Sprachen aus allen Regionen der Welt. Ein Fachmann für das Chinesische ist Dr. Andreas Guder. Der Sinologe lehrt in der „Holzlaube“ seit 2019 als Professor für Didaktik des Chinesischen sowie Sprache und Literatur Chinas am Institut für Chinastudien. Dort hat er einen der bundesweit ersten Studiengänge aufgebaut, in dem sich Chinesisch auf Lehramt studieren lässt. „Chinesisch ist für uns eine sehr schwierige Sprache“, betont er. „Man muss sich darauf einstellen, langsamer Fortschritte zu erzielen als bei Englisch oder Französisch.“ Trotzdem plädiert er dafür, die Herausforderung anzunehmen. Wer eine Sprache erlerne, die sich sowohl in ihren linguistischen Eigenschaften als auch in ihren kulturellen Gepflogenheiten und ihrem Schriftsystem gänzlich anders gestalte, der lerne die Welt und sich selbst auf ganz neue Weise kennen. Man erfahre in gewisser Weise die Relativität unserer europäischen Weltsicht.

Chinesisch für das Lehramt

Was das Chinesische so schwer mache, sei nicht die Grammatik, erläutert der Sinologe. Sie sei im Vergleich zu derjenigen europäischer Sprachen sogar außerordentlich leicht. Doch dafür handele es sich beim Chinesischen um eine Tonsprache. „In der Lautstruktur identische Silben können eine völlig andere Bedeutung annehmen, je nachdem in welcher Höhe sie ausgesprochen werden“, sagt Guder. „Dafür muss man erst einmal ein Gehör entwickeln.“ Hinzu komme das Schriftsystem, dass zu den schwierigsten und komplexesten der Welt gehöre. Chinesischunterricht erfordere deshalb eine besonders intensive Form des Spracherwerbs. „Man muss andere Maßstäbe anlegen als bei verwandten Sprachen“, betont Guder. „Wir können nicht davon ausgehen, dass Studierende schon nach einigen Semestern berufsqualifizierendes Wirtschaftschinesisch beherrschen.“ Im Bachelorstudiengang „Chinesische Sprache und Gesellschaft“ erwerben Studierende Kenntnisse in kultur-, sprach- sowie sozialwissenschaftlichen Modulen und lernen Chinesisch über vier Semester mit acht bis zehn Stunden pro Woche. Im kommenden Wintersemester wird die erste Kohorte mit dem „Master of Education“ im Lehramtsstudiengang Chinesisch weitermachen. Nach Abschluss des Studiums qualifizieren sich die Studierenden für das Chinesischlehramt im gesamten Sekundarschulbereich. „In fast jedem Bundesland ist Chinesisch bereits Abiturprüfungsfach“, sagt Guder. „Die Nachfrage nach Lehrkräften mit Chinesisch plus Zweitfach wird zunehmend steigen.“ 

Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Uli Reich kennt sich aus mit wenig gesprochenen Sprachen:  „Es gibt rund 7000 lebendige Sprachen auf der Welt, davon werden mit Abstand die meisten von weniger als zehntausend Menschen gesprochen.“

Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Uli Reich kennt sich aus mit wenig gesprochenen Sprachen: „Es gibt rund 7000 lebendige Sprachen auf der Welt, davon werden mit Abstand die meisten von weniger als zehntausend Menschen gesprochen.“
Bildquelle: privat

Gemessen an der Zahl von etwa einer Milliarde Muttersprachlern ist Chinesisch die am häufigsten gesprochene Sprache der Welt. Doch an der Freien Universität gibt es nicht nur Expertinnen und Experten für diese Weltsprache. Zahlreiche Forschende arbeiten auch zu Sprachen, die nur (noch) wenige tausend Menschen sprechen. Einer von ihnen ist Dr. Uli Reich. „Es gibt rund 7000 lebendige Sprachen auf der Welt“, betont er. „Davon werden mit Abstand die meisten von weniger als zehntausend Menschen gesprochen.“ Reich ist Professor für Romanische Sprachwissenschaft. Ursprünglich bildeten die spanische und die portugiesische Sprache seine Forschungsschwerpunkte. Doch seit vielen Jahren setzt er sich auch mit den indigenen Sprachen Südamerikas auseinander, insbesondere mit Nheengatú, einer Sprache, die nur noch von rund 7000 Menschen gesprochen wird, die größtenteils im Grenzgebiet von Brasilien, Kolumbien und Venezuela leben.  „Vor rund 200 Jahren wurde Nheengatú noch in ganz Brasilien gesprochen“, erzählt Reich. „Doch dann wurde das Verbot der Sprache durch die Portugiesen vom formell schon unabhängigen brasilianischen Kaiserreich im 19. Jahrhundert überall durchgesetzt.“ Das Paradox: Es waren die Europäer selbst, die die Sprache einst in Brasilien verbreitet haben.

Sprachen bedeuten Diversität

„Die historische Ausgangssprache des Nheengatú, das Tupinambá, wurde nur in der Küstenregion zwischen São Paulo und Bahia gesprochen. Dort wurde die Sprache jedoch von europäischen Missionaren erlernt und im ganzen Land verbreitet.“ Heute sei ihre Verbreitung stark rückläufig, wie die vieler anderer indigener Sprachen Brasiliens. „Viele junge Menschen haben wenig Interesse, die Sprache zu pflegen“, sagt Reich. „Sie sind vollkommen in der portugiesischen Sprache sozialisiert.“ Einige indigene Sprachen stehen in Brasilien kurz vor dem Aussterben. Sie werden teils nur noch von wenigen hundert Leuten gesprochen. Unter der rechtsnationalen Regierung von Jair Bolsonaro haben die indigenen Minderheiten zudem jahrelang unter Diskriminierung gelitten. „Unter dem neuen Präsidenten Lula da Silva wird die kulturelle Autonomie der indigenen Bevölkerung nun wieder gestärkt“, sagt Reich. „Es wird explizit gefördert, kulturelle Angebote in Minderheitensprachen zu schaffen, etwa Musik oder Serien.“ Kleine Sprachen zu pflegen sei von hohem kulturellen Wert, betont Reich. „Jede Sprache ist eine besondere Weise, die Welt wahrzunehmen“, sagt er. „Mit jeder Sprache, die ausstirbt, verlieren wir ein Stück Diversität der menschlichen Lebensform.“ 

Veronika Solopova ist Computerlinguistin: „Die Art, Sprachen zu lernen, wird sich stark ändern, zum Beispiel durch ChatGPT.“  Im Rahmen ihrer Promotion arbeitet sie an einer App, die junge Menschen in der Lehrerausbildung unterstützen soll.

Veronika Solopova ist Computerlinguistin: „Die Art, Sprachen zu lernen, wird sich stark ändern, zum Beispiel durch ChatGPT.“ Im Rahmen ihrer Promotion arbeitet sie an einer App, die junge Menschen in der Lehrerausbildung unterstützen soll.
Bildquelle: privat

Die Sorge vor einem Verlust an sprachlicher Vielfalt stellt sich derzeit auch angesichts wachsender Fortschritte im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI). Die Veröffentlichung des Programms ChatGPT hat eine weltweite Debatte um Stellenwert und Zukunft von Übersetzung und Sprachvermittlung ausgelöst. Wird die Arbeit in Übersetzungsbüros bald von Maschinen erledigt? Werden Menschen in Zukunft noch mühsam Chinesisch lernen, wenn sie über Apps kommunizieren können? „Die Art, Sprachen zu lernen, wird sich stark ändern, zum Beispiel durch ChatGPT, da werden wir uns anpassen“, sagt Veronika Solopova. Die Computerlinguistin ist selbst im KI-Bereich tätig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Dahlem Center for Machine Learning and Robotics“ am Institut für Informatik der Freien Universität. Im Rahmen ihrer Promotion arbeitet sie an der Entwicklung des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „PetraKIP“, einer App, die junge Menschen in der Lehrerausbildung unterstützen soll. „Einige KI-Entwickler denken sicherlich rein mathematisch“, sagt sie. „Inhalte sind für sie zweitrangig, was zählt, ist der Algorithmus.“ Doch Solopova unterstreicht, dass sie nicht nur Programmiererin ist, sondern auch Linguistin. Sie selbst spricht sieben Sprachen. „In Zukunft werden Menschen Sprachen wahrscheinlich weniger als Mittel zum Zweck lernen“, sagt sie, „aber Freude und Leidenschaft an sprachlicher Vielfalt werden immer bleiben.“