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Feldarbeit in der Arktis

Die Biologiestudentinnen Amelia Keilbach und Marlena Wegner forschen für ihre Bachelorarbeiten in der Wildnis von Spitzbergen

14.06.2022

Forschen im Schnee und bei bis zu minus 35 Grad.

Forschen im Schnee und bei bis zu minus 35 Grad.
Bildquelle: Larissa T. Beumer

Während Marlena Wegner und Amelia Keilbach für das Videointerview vor ihrem Laptop sitzen, zeigt das Außenthermometer minus 15 Grad Celsius. Eine „moderate“ Temperatur für Spitzbergen, wie die beiden sagen. Die Biologiestudentinnen der Freien Universität studieren und forschen seit Juli 2021 Longyearbyen am „University Centre in Svalbard“, dem nördlichsten Universitätsinstitut der Welt.

Komplette Dunkelheit von Oktober bis Februar

„Das Leben hier ist in jeder Hinsicht der absolute Kontrast zu Berlin“, berichtet Wegner. „Longyearbyen ist eine Kleinstadt, in der nur 2000 Menschen leben, aber auch zutrauliche Rentiere.“ Die Temperaturen seien extrem und erreichten im Winter bis zu minus 35 Grad. Es gebe kaum Vegetation, aber „eine unglaubliche Weite, sobald man sich auch nur einen Kilometer von den Häusern entfernt“, erzählt die 23-Jährige. „Als ich zum ersten Mal in der unberührten Wildnis war, habe ich angefangen zu verstehen, wieso Menschen hierherkommen“, fügt die 24-jährige Keilbach hinzu: „Es gibt keinen Handyempfang außerhalb der Stadt und nur ein Straßennetz von wenigen Kilometern. Man ist ganz auf sich gestellt in dieser spektakulären Natur.“ Von Oktober bis Februar herrsche komplette Dunkelheit, aktuell sei Lichtwinter, berichten die beiden, also die Zeit, zu der die Sonne langsam wieder zurückkehre und dann von April bis zum Herbst auch nicht untergehe.

Amelie Keilbach (o.re.) und Marlena Wegner (u.re.) studieren und forschen seit Juli 2021 in Longyearbyen.

Amelie Keilbach (o.re.) und Marlena Wegner (u.re.) studieren und forschen seit Juli 2021 in Longyearbyen.
Bildquelle: Clara Keilbach (links) und Samira Terzenbach (re.)

Mit Gewehr und Leuchtpistole zur Bachelorarbeit

Auf dem nördlichsten bewohnten Archipel Europas befindet sich eine Außenstelle der Universitäten Oslo, Tromsø, Bergen und der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens in Trondheim. Die Hälfte der Studierenden stammt aus Norwegen, die andere aus der ganzen übrigen Welt. Keilbach und Wegner kamen für ein Auslandssemester, geblieben sind sie für ihre Bachelorarbeiten und die dafür erforderlichen vorbereitenden Projekt- und Labortätigkeiten.

Als „wildromantisch“ beschreibt Wegner ihre Geländearbeit auf der Arktisinsel, aber auch als nicht ungefährlich: „Es gibt viele Sicherheitsvorkehrungen, auf die man achten muss“, sagt sie und zählt auf: Die Universität rüstet alle Studierenden und Forschenden mit einem Gewehr und einer Leuchtpistole aus – gegen mögliche Angriffe von Eisbären. Alle müssen zudem immer eine Nachricht hinterlassen, wohin sie außerhalb von Longyearbyen unterwegs sind. Ist jemand am Abend nicht zurück, wird ein Suchtrupp losgeschickt. „Wir hatten Lawinenschutztraining, Schießtraining und mussten die örtliche Waffenlizenz beantragen“, erzählt die Biologiestudentin.

Für ihre Feldforschung sind sie und ihre Kommilitonin aus Sicherheitsgründen auch immer zu zweit in der Gletscherlandschaft unterwegs. Beide haben sich für noch wenig erforschte Themen entschieden und erheben ihre Daten selbst. Marlena Wegner analysiert das Fressverhalten und die Futterwahl von Rentieren. Sie beobachtet Vegetation, Schnee- und Eisbedingungen an beliebten Fressplätzen des Svalbard-Rens. „Ich überprüfe unter anderem mit einer Rammsonde, wie hart der Schnee ist, also wieviel Energie die Tiere brauchen, um an ihre Nahrung zu kommen“, sagt sie. Anhand des Rentierkots könne sie feststellen, wie viele Nährstoffe aufgenommen worden sind.

Amelia Keilbach fokussiert sich auf die Pflanzen und untersucht, wie viele Nährstoffe die Gewächse über den Winter hinweg enthalten. Dazu sieht sie sich wöchentlich dieselben Stellen an, an denen fünf Gattungen wachsen, die häufig von Rentieren gefressen werden: zwei Moosarten, ein Immergrün, ein Gras und eine nur wenige Zentimeter hohe Zwergweide. Sie fragt sich: Wie gut sind die Pflanzen an das Klima angepasst? Wie reagieren sie auf Schmelzeis, das entsteht, wenn getauter Schnee wieder gefriert und sich so eine Eisschicht direkt auf der Vegetation bildet? Beide Bachelorarbeiten stehen also in Zusammenhang mit dem großen Themenkomplex des Klimawandels. Um genaue Daten zu erhalten, geben die Biologiestudentinnen die Pflanzen- und Kotproben in ein Labor zur sogenannten CN-Analyse. Hier wird das Verhältnis von Kohlenstoff und Stickstoff gemessen für Rückschlüsse auf den Nährstoffgehalt der Pflanzen. Die Ernst-Reuter-Gesellschaft fördert diese Messungen und damit auch die Bachelorarbeiten finanziell.

Bereits im Bachelorstudium selbst forschen zu dürfen und dabei ganz eigenständig zu arbeiten, sei sehr spannend, sind sich die angehenden Biologinnen einig. Ihnen sei es auch darum gegangen, das Leben von Forschenden kennenzulernen, die sich bisweilen über längere Zeit hinweg unter extremen Bedingungen aufhalten. So wollen die beiden eine Antwort auf die Frage finden: Kann ich mir das auch für meine eigene weitere Karriere vorstellen?