Pflanzenforschung, tief verwurzelt in Dahlem
Zwischen historischen Backsteinbauten und alten Apfelbäumen forschen Thomas Schmülling und sein Team an Pflanzen, die dem Klimawandel trotzen können. Ein Institutsrundgang im Zeichen von Corona – mit Maske und Abstand.
20.08.2020
Professor Thomas Schmülling trägt Mundschutz, hält Abstand und spricht die Begrüßungsformel des Jahres 2020: „Ich gebe Ihnen mal lieber nicht die Hand.“ Den Händedruck ersetzt ein Hygienespender, am schwarzen Brett dominieren Aushänge zu Maskenpflicht und Abstandsregeln. Fast bedauernd merkt Schmülling an, dass auf den Gängen und in den Laboren weniger los ist als sonst: Um die Hygieneregeln einzuhalten, wird in zwei Schichten gearbeitet.
Die Corona-Pandemie hat hier – in der Angewandten Genetik des Instituts für Biologie im Albrecht-Thaer-Weg – einiges durcheinandergebracht. Der ländlich-idyllischen Umgebung konnte sie aber nichts anhaben – schon gar nicht dem alten Backsteingebäude, errichtet 1922 als Teil der Preußischen Landwirtschaftlichen Hochschule und gewissermaßen die Keimzelle des heutigen Instituts. Dahinter liegen Blumenwiesen, Apfelbäume mit alten Sorten, Gewächshäuser, ein Kartoffelacker und ein Ziegengehege. Auch zwei Füchse sollen hier leben. Auf der Privatstraße, die zum Institut führt, bringen Eltern ihren Kindern am Wochenende das Radfahren bei.
Vor knapp 100 Jahren forschte man hier an Erbsen, Kräutern oder Roggen und züchtete neue Getreide- und Gemüsesorten. Die von ihm geleitete Arbeitsgruppe „Molekulare Entwicklungsbiologie der Pflanzen“ verändert das Erbgut von Getreide nicht mehr per Kreuzung, sondern mit der Genschere. Das Laborgebäude voller Zentrifugen, Kühlräume und Sterilbänke mit Luftfiltern sticht architektonisch ein wenig heraus. Unter dem Dach hat Schmülling sein Büro, im Keller wurzeln Pflanzen in Lichtschränken auf künstlichen Nährböden, Klimaanlagen dröhnen und halten ein Konfokalmikroskop auf Betriebstemperatur, das in Pflanzengewebe mikrometerdünne Schichten sichtbar machen kann.
Die Pandemie hinterlässt ihre Spuren
Gegenüber in den Gewächshäusern, die nach Charles Darwin oder Carl Correns benannt sind, hat die Pandemie Spuren hinterlassen: Mancherorts stapeln sich leere Petrischalen und Anzuchttöpfe. „Bitte nicht mehr gießen“, mahnt ein Schild. Während des Lockdown sind Versuchspflanzen eingegangen, Forschungsprojekte wurden um Monate zurückgeworfen.
Ganz ausgestorben sind die Gewächshäuser aber nicht: In Dutzenden Töpfchen gedeiht Ackerschmalwand, eine weiß blühende, mit dem Raps verwandte heimische Feldblume. Schmülling nennt sie begeistert bei ihrem wissenschaftlichen Namen: „Das Genom von Arabidopsis besteht aus über 27.000 Genen – mehr als beim Menschen“, sagt er.
Gerste gegen Dürre widerstandsfähiger machen
Ein Gewächshaus weiter strecken sich Gerstenhalme einer Wärmelampe entgegen. Gerste und Ackerschmalwand waren jüngst die Protagonistinnen eines Forschungsprojekts, mit dem Schmüllings Arbeitsgruppe die Gerste widerstandsfähiger gegen Dürre machen wollte. Zentraler Hebel des Versuchs – und auch sonst zentraler Forschungsgegenstand am Institut – war das Hormon Cytokinin, das das Wachstum von Pflanzen antreiben, aber eben auch bremsen kann. Die Bremse ist einerseits sinnvoll, weil sie verhindert, dass eine Pflanze immer weiterwächst und sich verausgabt. Bei Dürre aber könnte die Pflanze zusätzliche und längere Wurzeln brauchen, um mehr Wasser aus tieferen Bodenschichten zu ziehen.
Längere, breitere und dichtere Wurzeln
Um mehr Wurzelwachstum zu erreichen, müsste die Hormonbremse abgeschaltet werden, folgerte Schmüllings Team. Das nötige Werkzeug fand man in der Ackerschmalwand. Sie kann dank einer Gensequenz ein Enzym produzieren, das Cytokinin abbaut. Zusätzlich lieh sich das Forschungsteam beim Genom von Reispflanzen einen „Promotor“ aus – eine Art Genschalter, der sicherstellen soll, dass das Enzym nur in den Wurzeln arbeitete.
Die Methode funktionierte. Die manipulierte Gerste entwickelte längere, breitere und dichtere Wurzeln. Blätter, Stiel und Samen dagegen entwickelten sich wie gewöhnlich – fast: In den Körnern steckten deutlich mehr wichtige Spurenelemente als gewöhnlich. Die Pflanzen hatten also deutlich mehr aus dem Boden herausholen können. Besonders bedeutsam war ein erhöhter Gehalt an Zink, an dem es weltweit in der menschlichen Ernährung mangelt.
Grundlagenforschung mit Blick auf mögliche Anwendungen
Schmülling glaubt, dass sich das Prinzip auch auf andere Nutzpflanzen übertragen lässt. Eswarayya Ramireddy, ein ehemaliger Mitarbeiter des Forschungsteams, der die Experimente mit Gerste durchführte, macht in Indien bereits ähnliche Versuche mit Reis und Mais. Für Thomas Schmülling sind solche Forschungsergebnisse „ein wichtiger Seitenzweig dessen, was wir hier machen“. Ihn interessiert seit jeher die Grundlagenforschung, aber immer hält er dabei die mögliche Anwendung der Ergebnisse im Blick.
Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Thomas Schmülling im Bergischen Land, Chemie und Physik waren seine Leistungskurse. „Biologie komischerweise nicht“, sagt er. „Dadurch war aber später im Biologiestudium alles noch spannend und neu für mich.“ Nach Zivildienst im Altersheim, einem Au- Pair-Aufenthalt in Paris und Praktika im Biolandbau stand für ihn fest: Die Forschung interessierte ihn mehr als die Praxis. „Mich fasziniert, wie Leben funktioniert, wie sich Zellen entwickeln und miteinander kommunizieren.“
Und so studierte er Biologie in Köln und ein Semester lang in Clermont-Ferrand. Er war in einer Umweltgruppe namens „Katalyse“ aktiv und schrieb mit an Bestsellern wie „Was wir alles schlucken“ über Chemie in Lebensmitteln. Sein Diplom legte er ab mit einer Arbeit über Wasserstoff- Entwicklung bei Blaualgen, anschließend verfasste er am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln eine mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis ausgezeichnete Doktorarbeit über das Bodenbakterium Agrobacterium rhizogenes und seinen Einfluss auf das Pflanzenwachstum. „Das war der Beginn der Arbeit, die ich heute noch mache“, sagt er.
Bis kurz nach der Jahrtausendwende arbeitete er anschließend als Hochschulassistent in Tübingen, wo er sich auch habilitierte und ein Gründungsmitglied des dortigen Zentrums für Molekularbiologie der Pflanzen war. Ein Forschungsschwerpunkt damals wie heute: Cytokinin.
Gewaltige Entwicklungssprünge in der Genetik
In jener Zeit zeichneten sich gewaltige Entwicklungssprünge in der Genetik ab: Schottische Forscher klonten Schaf Dolly, DNA-Analysen wurden zum Standardwerkzeug der Kriminaltechnik, und das FAZ-Feuilleton druckte auf vollen sechs Seiten das frisch entschlüsselte menschliche Genom ab. 2001 stieß Schmülling zu den Molekularbiologen der Freien Universität und trieb dort die Gründung des „Dahlem Centre of Plant Sciences“ voran. Im DCPS fanden 2009 die verschiedenen Richtungen der Pflanzenbiologie der Freien Universität sowie der Botanische Garten zusammen.
Auch in Berlin betrieb – und betreibt – Schmülling hauptsächlich Grundlagenforschung: Wann und wie „entscheidet“ eine Pflanze zu blühen, wie viel Energie investiert sie in Wurzeln, Blätter oder Samen? Wie reagiert sie auf Stress, zum Beispiel auf Kälte oder einen veränderten Tag-Nacht-Rhythmus? Welche genetisch eingeschriebenen Antwortprogramme spult sie dann ab? Kann sie sich an den Stress „erinnern“ – und wenn ja, wie lange? Gibt sie die Erfahrung an ihre Samen weiter oder sogar an andere Pflanzen in der Nachbarschaft?
„Die Pflanze kann nicht weglaufen und muss sich mit den Umweltbedingungen vor Ort auseinandersetzen“, sagt Schmülling. Das könne einer der Gründe sein, warum Pflanzen trotz ihres relativ einfachen Körperbaus ein umfangreiches Genom in sich tragen. Unter der künstlichen Sonne des Gewächshauses dreht Schmülling einen Anzuchttopf mit Gerste in der Hand und schaut hinaus auf das Feld. Zwei Studenten der Humboldt-Universität harken eine Bienenweide. Nahezu alle Außenflächen hat die Freie Universität dem Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt- Universität zur Nutzung überlassen.
Freilandversuche sind in Deutschland heftig umstritten
Denn für Freilandversuche nutzt Schmüllings Forschungsteam das Gelände nicht – sie sind in Deutschland heftig umstritten, genehmigt werden sie nur sehr selten. Mit der gentechnisch veränderten Gerste wich sein Team nach Tschechien aus. „Es herrscht Enttäuschung in der wissenschaftlichen Community, dass die Hürden hierzulande so hoch geworden sind“, sagt er. „Deutschland war mal führend auf diesem Gebiet.“ Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen betrachtet er als „eine von mehreren Optionen“, um großen Menschheitsproblemen etwas entgegenzusetzen – von der Mangelernährung bis zum Klimawandel.
Schmülling freut sich, dass es ihm und seinem Team gelungen ist, aus der Grundlagenforschung eine Perspektive für die praktische Anwendung zu entwickeln. „Unsere Arbeiten sind ein wichtiger Beitrag, aber wir stehen noch am Anfang“, sagt er und lässt sich auf einer Bank am Feldrand nieder. Er sieht sich primär als Entwicklungsbiologe in der Grundlagenforschung und als Hochschullehrer. „Ich bin Forscher und ein neugieriger Mensch. Wenn Pflanzen durch unsere Arbeit besser mit Trockenheit zurechtkommen oder mehr Ertrag liefern, ist das hervorragend. Das Hauptziel unserer Forschung bleibt aber das Verstehen der biologischen Grundlagen.“