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Das Austauschgedächtnis der Freien Universität

Nach mehr als 40 Jahren geht Günter Schepker, Leiter des heutigen „Büros für Internationale Studierendenmobilität“, in diesem Herbst in den Ruhestand.

04.06.2018

Eigentlich wollte Günter Schepker Lehrer werden: Studienrat für Geschichte. Doch es kommt anders, er wird vom studentischen Mitarbeiter zum Leiter des heutigen „Büros für Internationale Studierendenmobilität“

Eigentlich wollte Günter Schepker Lehrer werden: Studienrat für Geschichte. Doch es kommt anders, er wird vom studentischen Mitarbeiter zum Leiter des heutigen „Büros für Internationale Studierendenmobilität“
Bildquelle: Miriam Klingl

Günter Schepker ist das Austausch-Gedächtnis der Freien Universität. Wer in den vergangenen vier Jahrzehnten für ein oder zwei Semester ins Ausland wollte, hatte zwangsläufig mit ihm zu tun. Zu seinen Aufgaben zählte es, Partnerschaften mit Universitäten weltweit zu knüpfen und zu pflegen, um den im Jahr 1951 gestarteten internationalen Direktaustausch zwischen der Freien Universität und anderen Hochschulen dauerhaft zu ermöglichen. Drei Wandregalmeter in seinem Dahlemer Büro sind gefüllt mit gelben Ordnern – ein Ordner pro Partneruniversität. So gut geknüpft war das Direktaustausch-Netz nicht immer. In seiner Anfangszeit in den achtziger Jahren war Günter Schepker zunächst damit beschäftigt, das „beschädigte“ Bild der Freien Universität wieder aufzubessern: Selbstorganisierte Seminare von Studierenden und eine damit verbundene laxe Schein-Politik von Dozentinnen und Dozenten seien der Grund gewesen, dass zahlreiche Partneruniversitäten ihre Verträge gekündigt hätten.

Andererseits war die Freie Universität während der Insellage Berlins als einzige Volluniversität im Westteil der Stadt ein interessantes Ziel für ausländische Studierende. Diesen Sonderstatus verlor sie nach der Wende. „Wir waren nicht mehr cool und sexy“, sagt Günter Schepker – der damals wiederum kämpfen musste, diesmal um Studierende. Mit viel Mühe etablierte er neue Austauschprogramme, fand neue Partner. Das Erasmus-Programm, 1987 europaweit eingeführt, bot eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten, im europäischen Ausland zu studieren. Während ein Erasmus-Stipendium jedoch nur einen Teil der monatlichen Ausgaben während eines Auslandsemesters deckt, ermöglicht der großzügig geförderte Direktaustausch auch Studierenden mit geringerem Einkommen einen Auslandsaufenthalt. Ein wichtiger Aspekt, denn gerade die hohen Kosten zählen zu den ausschlaggebenden Gründen gegen einen Auslandsaufenthalt. Nach den bewegten achtziger und neunziger Jahren, in denen sich die Hochschullandschaft bundesweit, vor allem aber in Berlin, neu strukturiert hatte, kann sich Günter Schepker die Partneruniversitäten für den Direktaustausch heute aussuchen.

Das hat auch mit dem Exzellenzstatus der Freien Universität zu tun. Während mancher Student Rankings eher distanziert bis kritisch betrachtet, haben sie Günter Schepker Türen geöffnet: „In den ersten zehn Jahren musste ich immer sagen: ‚Bitte kündigt ihr uns nicht auch noch‘. Heute sind wir weltweit nachgefragt.“ 2008, nach 30-jährigem Einsatz hatte Schepker schließlich alle Universitäten zurückgewonnen, die als Partner in den achtziger Jahren verloren gegangen waren. „Ich bin ja Historiker“, sagt er spitzbübisch. „Natürlich habe ich die Universitäten bei der Gelegenheit daran erinnert, dass sie ihren Vertrag damals gekündigt hatten.“ Nicht nur das Interesse potenzieller Partner hat sich über die Jahre gewandelt, auch die Studierenden neigen phasenweise zu jeweils anderen Ländern. Günter Schepker war als Austauschstudent zu einer Zeit in den USA, als deren Bild durch den Watergate-Skandal und den Vietnam-Krieg auch negativ besetzt war. „Man sagte besser nur guten Freunden, dass man sich für die USA interessiert.“

Heute sei die Situation ähnlich, der Deutsche Akademische Austauschdienst verzeichnet einen 25-prozentigen Rückgang bei der Nachfrage nach einem Studium an einer amerikanischen Universität. Am beliebtesten bei den Studierenden sei im Moment das libanesische Beirut. Das Interesse an der Region sei in den vergangenen zwei Jahren extrem gewachsen, auch weil Beirut einer der wenigen verbliebenen Orte in der arabischen Welt sei, an dem man noch in politisch gemäßigter Umgebung studieren könne. Außerdem sehr beliebt: Singapur, auch Korea ist wieder in, China dagegen fast schon wieder out. Was sich im Laufe der Jahre ebenfalls gewandelt hat, ist die Anzahl der ins Ausland gehenden Studierenden: Vor 30 Jahren lud Günter Schepker die 25 sogenannten Outgoings zum Vorbereitungsseminar in sein Wohnzimmer ein. Heute ist die Gruppe auf 250 angewachsen und trifft sich im Clubhaus der Freien Universität. Grundsätzlich seien Studierende sehr viel mobiler geworden.

Günter Schepker spricht von „meinen Studierenden“, die er über die vergangenen 40 Jahre begleitet hat.

Günter Schepker spricht von „meinen Studierenden“, die er über die vergangenen 40 Jahre begleitet hat.
Bildquelle: Miriam Klingl

Sein eigenes Auslandsjahr, 1975, sei für ihn eine positive, bereichernde Erfahrung gewesen, sagt Schepker: „Ich habe in diesem Jahr ein anderes Amerika kennengelernt.“ Bevor er in die USA gegangen sei, habe er mit dem Land in erster Linie die coolen Biker aus „Easy Rider“, dicke Polizisten und Rassismus verbunden. „Vor Ort habe ich gelernt: All diese Dinge gibt es – aber gleichzeitig habe ich noch nie so engagierte Gewerkschaftsarbeiter erlebt. Darauf wäre ich nie gekommen.“

Durch die Bologna-Reform, mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge, sei die Nachfrage nach einem Direktaustausch zunächst stark gesunken, sagt Schepker. Studierende hätten Sorge gehabt, dass im Ausland erworbene Leistungen nicht anerkannt würden und sie wertvolle Studienzeit verlieren könnten. „Unsinn“, sagt Günter Schepker, „gerade wenn man ein Semester oder ein Jahr im Ausland studiert, hat man bessere Chancen auf einen Job.“

Günter Schepker spricht von „meinen Studierenden“, wenn er sich auf die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Direktaustauschs bezieht, die er über die Jahre begleitet hat. Der enge Kontakt zu Studierenden, aber auch zu seinen Kolleginnen und Kollegen an ausländischen Universitäten machten seinen Beruf so erfüllend: „Ich wüsste keinen besseren Job.“ Bereit für den Ruhestand fühlt Günter Schepker sich nicht, am liebsten würde er noch zehn Jahre weitermachen. „Meine Arbeit hier ist ja eigentlich ein Jungbrunnen.“

In Zukunft möchte er sich bei der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität engagieren, um noch mehr Studierenden Stipendien zu ermöglichen. Ohne sein eigenes Stipendium damals wäre er nie in die USA gegangen – und wäre vermutlich nicht in seinem Beruf gelandet.