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Auf der Suche nach Unsterblichkeit

Studierende der Vorderasiatischen Altertumskunde widmen König Gilgamesch eine Ausstellung

Was für ein Mann! Welch eine Geschichte. Hätte es damals Boulevardmedien gegeben, sie hätten täglich über den Draufgänger Gilgamesch berichtet. Auf zwölf in Keilschrift beschriebenen Tontafeln hat das Epos über den mesopotamischen König als ältestes literarisches Werk der Menschheit überdauert. Gilgamesch hat – glaubt man der fast 5000 Jahre alten Überlieferung – das Leben eines Ausnahmeherrschers geführt. Unnachgiebig soll er die Arbeitskraft seiner Untertanen ausgebeutet und sein Recht auf die erste Nacht mit den frisch getrauten Bräuten seines Reiches gründlich ausgenutzt haben, bevor er nach abenteuerlichen Reisen und von schmerzlichen Erfahrungen geläutert seinem Ruf als treu sorgender Landesherr alle Ehre machte.

Der „heldenhafte junge Mann“, wie Gilgamesch im Akkadischen heißt, hat um 2750 v. Chr. gelebt, zu einer Zeit als Uruk, das heutige Warka, eine der mächtigsten Städte Mesopotamiens war. Nach Gilgameschs Tod entwickelten sich die Berichte zu einem Mythos biblischen Ausmaßes, in dem selbst die Sintflut nur eine kleine Anekdote ist. Das Epos erzählt vom Ringen mit den Naturgewalten, der Macht des Eros ebenso wie dem Wunsch des Menschen, sein Schicksal zu ergründen und dem gleichzeitigen Erschrecken vor der eigenen Endlichkeit. Seit der ersten vollständigen Übersetzung des Epos 1891 greifen Künstler das Werk als literarische Vorlage in Theaterstücken und Opern auf oder verewigen den König in Malerei und Bildhauerei. Selbst die Avantgarde des Fantasy Comics bezieht sich auf die Vorlage aus dem Zweistromland: „Helden sind unerlässlich, seit Gilgamesch und Enkidu auszogen, um das Ungeheuer Chumbaba zu besiegen“, schrieben die Organisatoren des Erlanger Comic-Panoramas über die uralte Inspirationsquelle. Studierende der Vorderasiatischen Altertumskunde unter Leitung von Dominik Bonatz widmen dem reichen Stoff des Epos und seiner überaus spannenden Entstehungsgeschichte nun bis zum 9. Juni eine Ausstellung in der Urania. „Wir können zeigen, warum uns das Epos nach Tausenden von Jahren noch immer fasziniert“, verspricht er. Die Ausstellungsmacher wollen „Brücken schlagen zwischen dem Stoff, so wir er heute aufgenommen wird und der Welt, die dieses Epos hervorgebracht hat“, beschreibt Bonatz das Konzept der Ausstellung. Den Blick der modernen Kunst liefert dabei die saarländische Künstlerin Christel Bak-Stalter. In ihren Leinwandbildern setzt sie sich mit dem Epos auseinander.

Die Helden des Epos sind Gilgamesch, ein Drittel Mensch, zwei Drittel Gott und sein Gefährte Enkidu, ehemals Tiermensch, den die Götter als Gegenspieler Gilgameschs geschaffen haben. Eine Prostituierte verführt Enkidu. Die Beischlafszene ist so drastisch wie poetisch: „Ihren Busen machte die Schamkat frei, Tat auf ihren Schoß, er nahm ihre Fülle, Sie scheute sich nicht, nahm hin seinen Atemstoß, Entbreit' ihr Gewand, dass auf ihr er sich bettete, Schaffte ihm, dem Wildmenschen, das Werk des Weibes – Sein Liebesspiel raunte er über ihr. Sechs Tage und sieben Nächte war Enkidu auf, Dass er die Schamkat beschlief.“ Aus dem Wilden wird ein Mensch, der die Liebespriesterin nach Uruk begleitet, um Gilgamesch herauszufordern. Das Kräftemessen endet unentschieden, der König bietet dem Unbekannten die Freundschaft an. Besessen von der Vorstellung ewigen Ruhm zu ernten, nehmen sie den Kampf gegen die gefürchtetsten Gegner ihrer Welt auf. Sie töten das Wesen Chumbaba, den Wächter des Zedernwaldes im Libanon, worauf die Göttin Ischtar Gilgamesch einen Heiratsantrag macht. Doch der Held verhöhnt die Göttin und muss es mit dem Himmelsstier aufnehmen, den er mit Enkidus Hilfe besiegt. Die Götter sind entsetzt und beschließen Enkidus Tod. Dessen Sterben stürzt Gilgamesch in tiefe Verzweiflung. Nach Enkidus Tod sucht Gilgamesch das ewige Leben auf einer Reise an die Enden der Welt. Er gelangt zu Utnapischtim, dem einzigen Überlebenden der Sintflut. Unsterblichkeit sei den Menschen nicht vergönnt, lässt Utnapischtim den weit Gereisten wissen. Gilgamesch kehrt in seine Heimat zurück, wo er dafür sorgt, dass sein Ruhm die Zeiten überdauert: Er lässt die mächtigste Mauer des Alten Orients errichten, die seiner Stadt Schutz vor Angreifern bietet und deren Reichtum sichert.

Diese Mauer ist Stein gewordenes Bindeglied zwischen der sagenhaften Überlieferung des dritten vorchristlichen Jahrtausends und der auf wissenschaftlichen Beweisen fußenden Geschichtsschreibung der Neuzeit. Die Reste dieser einst gigantischen Mauer sind im heutigen Irak zu besichtigen. Deutsche Archäologen gruben hier ab 1912 eine Stadt mit einer über neun Kilometer langen und fast zehn Meter breiten Mauer aus, die mehrere hundert Türme gehabt haben soll. Ohne die Arbeit mehrerer Generationen von Archäologen und Sprachforschern wüssten wir wenig über das Erbe Gilgameschs. Dessen sagenumwobene Geschichte haben Schriftsteller über einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren in unterschiedlichen Regionen Kleinasiens in verschiedenen Sprachen und Schriften niedergeschrieben. Die rund 3000 Verse, die heute bekannt sind, haben Wissenschaftler aus einem riesigen literarischen Puzzle aus Tontafelfragmenten unterschiedlichen Alters zusammengesetzt.

Die Entzifferung der Keilschrift lag erst wenige Jahre zurück als der britische Assyriologe George Smith der Londoner Gesellschaft für Biblische Archäologie Ende 1872 das Bruchstück einer Tontafel vorstellte, das zu einem unbekannten dichterischen Werk gehörte. Gefunden worden war es im Schutt der kurz zuvor entdeckten assyrischen Hauptstadt Ninive. Die Tafeln gehörten zur Bibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal, der im siebten Jahrhundert vor Christus geherrscht hatte. Die Übersetzung des Fragmentes sorgte für Aufregung, barg die Keilschrift-Poesie doch einen Bericht über eine Sintflut, der nur Utnapischtim mit seiner Familie und die Tiere auf einer von Gott in Auftrag gegebenen Arche entkommen waren. Die Parallelen zur Noah-Erzählung der – wesentlich jüngeren – hebräischen Bibel waren frappierend. Fieberhaft suchten Smith und seine Kollegen in den Kisten aus Ninive nach weiteren Tafeln der von ihnen vermuteten „heidnischen Bibel“. Doch das mesopotamische Weltengericht war nur Teil einer größeren Erzählung. Von dessen Protagonisten hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert nie ein Mensch zuvor gehört: Gilgamesch, König von Uruk.

Dabei war das Epos Jahrhunderte lang ein „Bestseller des Alten Orient“ gewesen, wie der Altertumskundler Dominik Bonatz versichert: „Die Geschichte von Gilgamesch kannte jedes Kind.“ In den Schreiberschulen Mesopotamiens zählte er zwischen dem dritten und zweiten Jahrtausend vor Christus zur Pflichtlektüre. Generationen von Schülern, die die sumerische Sprache lernten, ritzten die Verse in den feuchten Ton. Zu der Zeit war der große König bereits fast 800 Jahre tot. Die Unsterblichkeit, nach der er im Epos gesucht hatte, hatte er da längst erreicht: Bei Festen rangen Männer im Wettbewerb miteinander, um an den Kampf zwischen Gilgamesch und Enkidu zu erinnern; im Alltag brachten ihm die Menschen Opfer dar. Er, der die Unterwelt durchquert hatte, war selbst zur Unterweltgottheit geworden. Einer, der Kranke heilen und Verstorbene beschützen konnte.

Erst viel später goss der Dichter Sin-leque-unnini die verschiedenen anonymen altbabylonischen Fassungen, die im zweiten Jahrtausend vor Christus kursierten, in eine einheitliche Form. Dieser in Doppelversen gesetzte Text wurde wahrscheinlich ähnlich wie die Gedichte der Antike einem größeren Publikum laut vorgetragen. Auch in den Königshäusern zwischen Syrien und Kleinasien waren die Abenteuer des Gilgamesch eine beliebte Lektüre. Selbst als die Völker und Kulturen, die die Keilschrift erschaffen hatten, untergingen, lebte das Epos in neuen Sprachen weiter. Archäologische Funde beweisen, dass der sagenhafte König bis ins 3. Jahrhundert unserer Zeit bekannt war. Dann verlor sich die Überlieferung für über fünfzehn Jahrhunderte im Kommen und Gehen der Kulturvölker des Orients. Bis zu den spektakulären Funden in Ninive 1872. Seither arbeiten Generationen von Forschern daran, die fehlenden Teile des Puzzels zu finden, zu übersetzen und zu deuten. Ein Drittel der Verse ist noch unentdeckt.

Von der Anziehungskraft dieser Erzählung zeugt die umfassende Ausstellung in der Urania. „Gilgamesch öffnet Laien und Studieninteressierten die Türen zum Alten Orient“, wirbt Dominik Bonatz um Besucher. Sandra Grabowski ist eine der 25 Ausstellungsmacher. „Es ist faszinierend zu sehen, dass die Menschen vor tausenden Jahren mit den selben Sorgen wie wir heute zu kämpfen hatten“, erklärt die 26-jährige Studentin ihr Engagement. „Man spürt in dem Epos den Menschen, der fühlt wie wir“, ergänzt Dominik Bonatz zustimmend. Grabowski, die als gelernte Grafikerin das Begleitheft zur Ausstellung und die Ausstellungstafeln gestaltet hat, sieht in ihrem Fach alles andere als eine tote Wissenschaft. „Die frühe Geschichte der Menschheit ist hoch interessant“, meint sie. Wer die Vergangenheit kenne, für den erschließe sich die Gegenwart ganz anders. Diese Begeisterung teilt auch ihr Kommilitone Sebastian Hageneuer: „In der Geschichte von Gilgamesch steckt viel mehr Tiefe als ich gedacht hatte.“

In die Tiefe werden Bonatz und seine Kollegen noch lange gehen müssen. Ob bei Grabungen mit dem Spaten oder mit der Lupe in den unbearbeiteten Kisten voller Fundstücke in den Museen der Welt. König Gilgamesch bewahrt noch viele Geheimnisse seiner Odyssee durch Raum und Zeit. Der Altertumsforscher freut sich: „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.“

Prof. Dominik Bonatz ist Mitglied des IZ „Alte Welt“ der FU (siehe Interview).

DIE AUSSTELLUNG

Archäologie einer unsterblichen Gestalt

Die Ausstellung (19. Mai bis 9. Juni) beleuchtet das über 5000 Jahre alte Heldenepos des sagenhaften Königs Gilgamesch. Konzipiert und realisiert wurde sie von Studierenden der Vorderasiatischen Altertumskunde der Freien Universität. Im ersten Teil werden Entstehung, Verbreitung und moderne Rezeption des Epos behandelt, im zweiten Teil führen fünf Kuben in die zentralen Themen des Epos ein: König Gilgamesch/Prostitution,Zedernwald/Uruk, Götter/Mesopotamisches Weltbild, Unsterblichkeit/Dilmun und Sintflut/Unterwelt. Ergänzt wird die Ausstellung durch Bilder von Christel Bak-Stalter.
Der Eintritt ist frei. Besichtigung zu den Öffnungszeiten der Urania: An der Urania 17, 10787 Berlin.

Nähere Informationen: www.fu-berlin.de/vaa

Von Anke Assig