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Forschung für weniger Tierversuche

Land Berlin finanziert Professur an der Freien Universität zur Entwicklung von Alternativmethoden in Wissenschaft und Lehre

18.01.2016

Aus Hautzellen züchten die Wissenschaftler Hautmodelle, an denen neue Anti-Krebswirkstoffe und andere Medikamente getestet werden können.

Eine Möglichkeit, Tierversuche zu ersetzen: Aus Hautzellen züchten Wissenschaftler Hautmodelle, an denen neue Anti-Krebswirkstoffe und andere Medikamente getestet werden können.
Bildquelle: Christian Zoschke

An der Freien Universität Berlin wird Berlins erste Universitätsprofessur zur Erforschung von Alternativen für Tierversuche eingerichtet. Ziel ist es, Krankheitsmodelle auf der Basis menschlicher Gewebezellen und daraus rekonstruierter menschlicher Organe zu entwickeln.

Diese Modelle könnten in der Grundlagen- und Pharmaforschung eingesetzt werden, beispielsweise um die Wirksamkeit von Arzneistoffen oder die Auswirkungen von Umweltgiften auf den menschlichen Organismus zu testen. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz fördert die neue Professur mit einer Anschubfinanzierung von 400 000 Euro. Die neue Professur soll im Jahr 2016 besetzt werden. Die Vorbereitungen für das Berufungsverfahren laufen.

Untersuchungen an Zellkulturen und Simulationen von Zellvorgängen am Computer ergänzen oder ersetzen schon heute vielfach Tierversuche in der toxikologischen Prüfung. Derzeit werden rund 46 Prozent aller Versuchstiere – meistens Mäuse und Ratten – in der Grundlagenforschung und weitere 18 Prozent in der Entwicklung von Arzneistoffen eingesetzt. Es handelt sich dabei häufig um Tiere, in deren Erbgut ein menschliches Gen eingeschleust wurde, das eine bestimmte Erkrankung auslöst, oder in deren Erbgut ein Gen ausgeschaltet wird, um auf diese Weise eine Erkrankung hervorzurufen.

Genetische Veränderungen ebenso wie krankmachende Defekte aufgrund von Umwelteinflüssen lassen sich aber auch in isolierten menschlichen Zellen erzeugen beziehungsweise simulieren. Aus diesen Zellen können dann in der Zellkultur verschiedene Gewebetypen und Organe rekonstruiert werden. Die vom Land Berlin eingerichtete Professur soll die Entwicklung solcher Krankheitsmodelle – basierend auf rekonstruierten menschlichen Organen – vorantreiben und helfen, die Zahl der Tierversuche zu verringern.

Die Professur ist eingebettet in den Berlin-Brandenburger Forschungsverbund BB3R. Die 3R stehen für die englischen Begriffe Reduction, Refinement und Replacement und umfassen Forschungen, mit denen Tierversuche reduziert, schonender gestaltet oder sogar ganz ersetzt werden sollen. Ziel des Verbundes ist es, regionale Kompetenzen auf diesen Gebieten zu bündeln, systematische Forschung zu Ersatzmethoden voranzutreiben, diese in der Forschung zu etablieren und Nachwuchswissenschaftler im Einsatz von alternativen Testverfahren und tierschonenden Arbeitstechniken zu qualifizieren. So gehört zu dem Verbund auch ein Graduiertenkolleg.

Mit der neuen Professur werde nicht nur die wissenschaftliche Arbeit des Verbundes vorangetrieben, sondern auch das Lehrangebot für die Doktoranden bereichert und damit die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiet tierschonender Forschung gewährleistet, sagte Pharmakologin Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin und Sprecherin von BB3R: „Das Land Berlin stärkt damit die Nachhaltigkeit dieses für Berlin wesentlichen Forschungsgebietes.“

Finanziert wird die Professur von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, die auch für Belange des Tierschutzes in Berlin zuständig ist. „Im Koalitionsvertrag steht, dass wir uns für die Verringerung von Tierversuchen einsetzen. Diesen Auftrag füllen wir jetzt mit Leben – im wahrsten Sinne des Wortes“, sagte Senator Thomas Heilmann. „Um Tierversuche verringern zu können, brauchen wir mehr Forschung zu den Alternativen. Deshalb ist die neue Professur ein großer Erfolg. Ich danke vor allem den Abgeordneten Alexander Herrmann und Daniel Buchholz für ihre tatkräftige Unterstützung; ohne sie hätten wir das Geld nicht zur Verfügung stellen können. Und ich danke dem Berliner Tierschutzbeauftragten Professor Horst Spielmann, der nicht erst seit seinem Amtsantritt ein engagierter Kämpfer für diese Professur ist.“

Berlins Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft Sandra Scheeres, betonte: „Wir stärken mit der Professur dieses wichtige Forschungsgebiet. Jeder Tierversuch, der vermieden werden kann, muss vermieden werden. Das ist ein dringendes ethisches Gebot. Ich bin der Auffassung, dass dieses Forschungsfeld in Deutschland ausgebaut werden muss. Dafür brauchen wir die Initiative aller Beteiligten aus der universitären wie außeruniversitären Forschung und der Gesundheitswirtschaft.“

Hautmodelle

Zu den wichtigsten Ersatzmethoden für Tierversuche gehören bisher Krankheitsmodelle aus rekonstruiertem menschlichen Hautgewebe, die Wissenschaftler der Freien Universität Berlin um Pharmakologin Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting entwickelt haben. Dabei werden menschliche Hautzellen zunächst in einer Zellkultur stark vermehrt und dann mit speziellen Methoden zu einem Zellverband aufgebaut. Bei Kontakt mit der Luft bildet dieser Zellverband eine Hornschicht aus, die der Oberfläche der menschlichen Haut ähnelt.

An diesem Hautgewebe kann zum Beispiel getestet werden, ob eine Substanz die Haut zerstört oder reizt, ob sie zusammen mit ultravioletter Strahlung toxisch wirkt, ob sie das Erbgut schädigt oder ob sie Allergien auslöst. Untersucht wird auch, ob und in welchem Maße ein Fremdstoff über die Haut in den Körper gelangt und wie dieser in der Haut verstoffwechselt wird.

Durch das gezielte Ausschalten eines Gens und das bewusste Hervorrufen einer Entzündung ist es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darüber hinaus gelungen, ein Modell für einen Gendefekt zu entwickeln, der Neurodermitis oder Schuppenflechte auslösen kann. Darüber hinaus entwickelten sie im Labor an rekonstruierter Haut ein Krankheitsmodell für den hellen Hautkrebs.

Weil die Hautmodelle aus Zellen verschiedener menschlicher Spender „gebaut“ werden, bilden sie auch die genetische Vielfalt der Menschen ab und ermöglichen deshalb Aussagen darüber, wie breit etwa ein getesteter Arzneistoff wirkt. So können bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Arzneimittelentwicklung die besten Substanzen identifiziert und weniger aussichtsreiche von den weiteren Untersuchungen, insbesondere der Testung im Tierversuch ausgeschlossen werden.

Der Forschungsverbund BB3R

Die Berlin-Brandenburger Forschungsplattform „BB3R“ wird seit April 2014 aus Fördermitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Ziel des Verbundes ist es, Tierversuche in der Forschung zu reduzieren, sie schonender zu machen oder sogar ganz zu ersetzen.

An dem Forschungsverbund sind neben der Freien Universität Berlin die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Technische Universität Berlin und die Universität Potsdam beteiligt. Ferner beteiligt ist das Bundesinstitut für Risikobewertung sowie das Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin.

Eingebettet in den Verbund ist auch das Graduiertenkolleg „Innovationen in der 3R-Forschung“. Dort haben Doktoranden im Rahmen ihrer Promotion die Chance, sich systematisch und umfassend auf dem Gebiet der tierschonenden Forschung ausbilden zu lassen und selbst wissenschaftlich zum Thema zu arbeiten. Aus den Bundesmitteln werden zwölf Doktorandenstellen und drei Juniorprofessuren an der Freien Universität Berlin, der Universität Potsdam und der Charité gefördert.

Die Arbeiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Verbundes BB3R wurden bereits mehrfach ausgezeichnet: Junior-Professor Dr. Günther Weindl von der Freien Universität erhielt bereits 2013 den Forschungspreis des Landes Berlin zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche. Die Veterinärmedizinerin Prof. Dr. Christa Thöne-Reineke bekam im Oktober 2015 den Preis des Landes Berlin für Alternativmethoden in der Lehre und Ausbildung. Ausgezeichnet wurde das Konzept der Ringvorlesung „Alternativen zu Tierversuchen in der Forschung, Ausbildung und Lehre“, das sie gemeinsam mit Dr. Vivian Kral und Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting entwickelt hatte.

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