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Gefährliche Entzündung

Neurowissenschaftler untersuchen den Zusammenhang zwischen der Alzheimer-Erkrankung und dem Verhalten körpereigener Abwehrzellen

23.02.2015

Hoffnung in Sicht: Seitdem bekannt ist, dass Entzündungsstoffe möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung der Alzheimer- Erkrankung spielen, verfolgenWissenschaftler der Charité einen neuen Therapieansatz.

Hoffnung in Sicht: Seitdem bekannt ist, dass Entzündungsstoffe möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung der Alzheimer- Erkrankung spielen, verfolgen Wissenschaftler der Charité einen neuen Therapieansatz.
Bildquelle: iStockphoto/JJRD

Rund eine Millionen Deutsche leiden derzeit nach Zahlen der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft an einer Alzheimer-Erkrankung. Und es werden immer mehr. Denn mit dem demografischen Wandel wächst auch die Zahl derjenigen, die Gefahr laufen, an Alzheimer zu erkranken.

Die Krankheit ist eine spezielle Form von Demenz, bei der das Nervengewebe der Betroffenen systematisch zerstört wird. In der Folge sind Patienten immer weniger in der Lage, selbstständig ihren Alltag zu bestreiten. Sie haben Orientierungs- und Gedächtnisstörungen, erkennen zum Teil sogar ihre nächsten Angehörigen nicht mehr.

An der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich von Freier Universität und Humboldt-Universität, versuchen Neurowissenschaftler dem Entstehungsmechanismen der Krankheit auf die Spur zu kommen. Ihre These: Bei der Alzheimer- Erkrankung kommt den Immunzellen des Gehirns eine Schlüsselrolle zu. An den Forschungen sind Wissenschaftler aus dem Exzellenzcluster NeuroCure und dem transregionalen Sonderforschungsbereich TRR43 mit der Universitätsmedizin Göttingen beteiligt.

„Vor einigen Jahren wurde man in der Forschungsgemeinde noch belächelt, wenn man behauptete, dass Alzheimer etwas mit Entzündung zu tun hat“, sagt Professor Frank Heppner. Der Mediziner leitet die Neuropathologie der Charité in Berlin-Mitte und ist überzeugt, dass die Alzheimer-Erkrankung mit Entzündungsprozessen im Gehirn in Zusammenhang steht. „Lange brachte man nur die Multiple Sklerose mit Entzündungsreaktionen im Gehirn in Verbindung. Heute wissen wir, dass chronische, manchmal nur subtile Entzündungsprozesse höchstwahrscheinlich bei den meisten neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle spielen“, so Heppner.

Zu den neurodegenerativen Erkrankungen zählt neben Alzheimer auch die Parkinson-Erkrankung – Krankheiten also, bei denen Nervenzellen zerstört werden. Wird Nervengewebe beschädigt, beginnen Patienten zum Beispiel zu zittern oder können bestimmte Körperteile nicht mehr bewegen. Was die Krankheitsursachen sind, ist nicht immer klar, Prozesse, an denen körpereigene Immunzellen beteiligt sind, spielen wohl stets eine Rolle. „Die Neuroimmunologie ist ein spannendes neues Arbeitsfeld“, sagt Heppner.

Im Rahmen verschiedener Arbeitsgruppen beschäftigen sich die Wissenschaftler der Charité mit entzündlichen Prozessen bei unterschiedlichen Erkrankungen des Gehirns. Sie wollen die Entstehungsmechanismen besser verstehen und hoffen, Gemeinsamkeiten zwischen den Krankheiten zu finden.

Bei Alzheimer-Patienten arbeitet die „Polizei des Gehirns“ fehlerhaft

Entzündungen unterscheiden sich von Organ zu Organ: Denn ebenso wie sich etwa eine Leberzelle und eine Gehirnzelle stark voneinander unterscheiden, so unterschiedlich sind auch die Entzündungsreaktionen in den verschiedenen Gewebstypen und Organen. „Zerstörte Leberzellen wachsen wieder nach. Im Gehirn ist das anders, die Zellen regenerieren sich nur in einem sehr geringen Ausmaß“, erklärt Professor Frank Heppner. Deshalb sei es wichtig, dass Immunzellen im Gehirn anders, nämlich behutsam vorgehen.

Die vorsichtigen Agenten des Gehirns sind spezialisierte Fresszellen, die sogenannten Mikroglia. Wie kleine Kraken sitzen sie überall im Gehirn und tasten permanent nach potenziellen Krankheitserregern. „Die Mikroglia sind sozusagen die Polizei des Gehirns“, sagt Heppner. Wie wichtig die Fresszellen sind, illustriert bereits ihre schiere Menge: Acht bis fünfzehn Prozent der Gehirnmasse besteht aus Mikroglia. Doch was, wenn diese sich nicht so verhalten, wie sie sollten? „Unsere Forschung liefert deutliche Hinweise dafür, dass das Verhalten der Mikroglia maßgeblich mit der Alzheimer-Erkrankung in Zusammenhang steht“, sagt Heppner.

Im Gehirn von Menschen mit Alzheimer werden bestimmte Eiweiße in großen Mengen hergestellt und lagern sich teilweise als Klümpchen ab. Diese sollten eigentlich von den Mikroglia abgebaut werden. Im Versuch mit Mäusen zeigte sich allerdings, dass die Fresszellen nicht adäquat auf die störenden Eiweiße reagieren. „Das Alzheimer-Milieu ist offenbar schlecht für die Mikroglia. Sie bauen die Eiweiße nicht ab, sondern beginnen, Entzündungsstoffe, sogenannte Interleukine, zu produzieren“, sagt Heppner.

Die Charité-Wissenschaftler vermuten, dass sich diese Entzündungsstoffe negativ auf den Verlauf der Erkrankung auswirken. In Versuchen mit Alzheimer-Mäusen blockierte Heppners Arbeitsgruppe die Entzündungsstoffe. Das Ergebnis: Die so behandelten Mäuse waren deutlich gesünder als diejenigen, bei denen die Interleukine nicht blockiert worden waren.

Diesen Therapieansatz wollen die Wissenschaftler nun auch am Menschen verfolgen. „Es gibt bereits ein Medikament, das spezifisch gegen diese Entzündungsstoffe wirkt. Wir hoffen, es bald im Rahmen einer klinischen Studie an Alzheimerpatienten testen zu können“, sagt Heppner.

Der Neurowissenschaftler warnt jedoch vor allzu großem Optimismus. „Wenn jemand bereits an Alzheimer in einem späten Stadium erkrankt ist, sind die Veränderungen nicht rückgängig zu machen.“ Dennoch hofft Heppner, dass es ihm und seinen Kollegen gelingen wird, die Entzündung im Gehirn von Alzheimerpatienten zu blockieren und den Patienten somit ein paar Jahre möglichst demenzfreier Lebenszeit zu schenken. „Heilen können wir Alzheimer nicht. Aber den Krankheitsverlauf zu verzögern – das halte ich für absolut realistisch.“

Weitere Informationen

Frank Heppner, Professor und Leiter der Neuropathologie der Charité in Berlin-Mitte, E-Mail: frank.heppner@charite.de