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Freie Universität Berlin erhält zwei renommierte Förderungen des Europäischen Forschungsrats

ERC Consolidator Grants für Physikerin Prof. Dr. Stephanie Reich und Computerwissenschaftler Prof. Dr. Frank Noé

Nr. 332/2017 vom 28.11.2017

Die Freie Universität Berlin erhält zwei renommierte Förderungen des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC). Ausgewählt wurden die Physikerin Prof. Dr. Stephanie Reich und der Computerwissenschaftler Prof. Dr. Frank Noé, wie der ERC am Dienstag in Brüssel mitteilte. Die Förderung umfasst eine Summe von rund 2,3 Millionen Euro im Fall von Professorin Reich und 2 Millionen Euro im Fall von Professor Noé über fünf Jahre. Frank Noé hatte für die Jahre 2012 bis 2017 bereits einen ERC Starting Grant über 1,4 Millionen Euro eingeworben. Stephanie Reich war dies für die Jahre 2008 bis 2013 mit einem ERC Starting Grant über 1,2 Millionen Euro gelungen. Von den insgesamt 329 am Dienstag in 22 EU-Staaten neu bewilligten Förderungen entfielen 56 auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland und davon zwei auf die Freie Universität Berlin. Der Präsident der Freien Universität, Prof. Dr. Peter-André Alt beglückwünschte Professorin Reich und Professor Noé. Dies sei ein großer Tag für die Freie Universität und alle an den Projekten Beteiligten. Die Auszeichnungen durch den ERC sei „ein großer Erfolg für die Naturwissenschaften des Wissenschaftsstandorts Berlin“.

Zum ERC Grant von Prof. Dr. Stephanie Reich:

Mit der neuen Förderung wird Prof. Dr. Stephanie Reich ein neues Forschungsgebiet entwickeln, bei dem sie die Reaktion von Materialien auf Licht maßschneidern will. Hierzu wird sie zusammen mit ihrem Team neuartige Messmethoden erarbeiten, um die Entwicklung hochempfindlicher Sensoren zu ermöglichen und Schallwellen konzentriert abzustrahlen.

In vielen Materialien gibt es ungeklärte dunkle Zustände, die nicht auf Licht reagieren. Diese dunklen Anregungen sind besonders geeignet, um etwa Daten zu verarbeiten oder parallel in großen Paketen zu verschicken. Sie können aber auch als hochempfindliche Messinstrumente genutzt werden, mit denen sich einzelne Moleküle aufspüren lassen. „Ich möchte Wege finden, um dunkle Zustände im wortwörtlichen Sinne sichtbar zu machen. Sie sollen auf Licht reagieren, sodass wir sie auslesen, schreiben und benutzen können“, sagt Stephanie Reich. Die Experimentalphysikerin und Sprecherin der Fokus Area NanoScale an der Freien Universität Berlin wird das Forschungsprojekt „DarkSERS“ leiten; DarkSERS ist eine Wortschöpfung aus dem englischen Wort für dunkel (dark) und surface-enhanced Raman-scattering (oberflächenverstärkte Ramanstreuung).

Für ihr Ziel will Stephanie Reich spezielles strukturiertes Licht benutzen. „Strukturiert nennen wir Licht, wenn seine Eigenschaften in einem vorgegebenen räumlichen Muster variieren.“ Dabei spricht sie nicht so sehr von der Farbe oder der Helligkeit des Lichts, sondern von seiner Phase und Polarisation. „Licht ist aus physikalischer Sicht vor allem ein sich extrem schnell veränderndes elektrisches Feld. Die Polarisation gibt an, in welcher Richtung das Feld abfällt. Mit solchem aufwändig präparierten Licht werden wir winzige Metallstrukturen beleuchten.“ In diesen Metallen, die nur den zehntausendsten Bruchteil eines Millimeters groß sind, erwartet Stephanie Reich besonders ausgeprägte dunkle Zustände, die unter dem strukturierten Licht sichtbar werden. „Deshalb wollen wir als erstes Metalle für unsere Experimente nutzen, aber das Konzept kann später viel umfassender angewandt werden,“, erläutert die Physikerin.

Stephanie Reich leitet an der Freien Universität Berlin ein weltweit einzigartiges Labor zur optischen Spektroskopie, zur Untersuchung von (Nano-)Materialien mit Licht. Von den möglichen technologischen Anwendungen der dunklen optischen Zustände interessiert sie deshalb besonders die ultra-sensitive Spektroskopie. „Kurioserweise erzeugen die dunklen Zustände extrem starke Lichtsignale, wenn wir Moleküle in ihre Nähe bringen. Zwei (fast) dunkle Dinge erstrahlen plötzlich hell, wenn wir sie miteinander verknüpfen.“ Die Weiterentwicklung dieser Ideen soll dann zu einem sogenannten Phononen-Laser führen. Dabei handelt es sich um ein mechanisches Analogon zum optischen Laser, bei dem nicht Licht, sondern Schallwellen ausgesendet werden.

Für ihre Arbeiten braucht Stephanie Reich die Unterstützung einer Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre speziellen experimentellen Kenntnisse und Ideen einbringen. „In Zukunft kann ich meine Gruppe aus dem ERC Consolidator Grant erweitern, aber auch Kooperationspartner aus der ganzen Welt zu gemeinsamen Forschungsarbeiten einladen“, erläutert sie. Daneben braucht sie spezielle Messinstrumente, von denen einige mithilfe des ERC Grant erstmalig entwickelt und aufgebaut werden. „Besonders gut ist, dass die Focus Area NanoScale einen neuen Forschungsbau für die Freie Universität Berlin eingeworben hat. Wenn wir ab 2020 in dem neuen Gebäude arbeiten können, werden wir ausgezeichnete Bedingungen für unsere Experimente haben.“

Zum ERC Grant von Prof. Dr. Frank Noé:

Mit der erneuten Förderung kann Prof. Dr. Frank Noé seine erfolgreiche Forschung fortführen, in der er Methoden der Mathematik, Physik und Informatik kombiniert, um neue Erkenntnisse über Lebensprozesse zu erarbeiten. Das Ziel des neuen ERC-Projekts ist es, Bindungsprozesse einzelner Moleküle und ganzer Zellen mittels Computertechnik zu simulieren. Hierzu werden er und sein Team innovative Methoden im Bereich des maschinellen Lernens entwickeln und einsetzen.

Proteine und andere Moleküle bewegen sich durch die Zelle und können sich an andere Moleküle binden und wieder von ihnen lösen. In Muskeln beispielsweise assoziieren sich Proteine zu langen Filamenten. Wenn der Muskel angespannt wird, gleiten diese Filamente aneinander vorbei. Die Muskelkraft entsteht dadurch, dass Proteine, die Teil des einen Filaments sind, an Proteine des anderen Filaments binden, dann abknicken, um das Filament in eine Richtung zu ziehen, und sich danach wieder lösen. Fast alle Prozesse im menschlichen Körper werden auf ähnliche Art und Weise durch Proteine angetrieben, die sich finden, aneinander binden und dadurch Informationen austauschen, Kräfte entwickeln oder größere Strukturen aufbauen.

„Es ist nicht möglich, diesen Prozess direkt zu beobachten“, sagt Frank Noé, Computerwissenschaftler an der Freien Universität und Mathematiker am Forschungszentrum Matheon, der das ERC-Projekt „ScaleCell“ an der Freien Universität Berlin leiten wird „Proteine sind zum einen sehr klein – etwa ein Milliardstel Teil eines Meters. Zum anderen ändern sich ihre räumlichen Strukturen sehr schnell, dadurch ist es praktisch unmöglich, eine Art Video der Proteinassoziation mittels Mikroskopie oder anderer Messverfahren aufzunehmen.“

Das Hauptproblem bestehe darin, dass die genaue Simulation solcher Prozesse extrem rechenaufwändig sei, erläutert Noé. „Selbst für die Simulation von zwei kleinen Proteinen müssen die Interaktionen zwischen etwa 100.000 Atomen berechnet werden, und die daraus resultierende Kraft muss auf jedes einzelne Atom ausgewertet werden.“ Danach bewege die Simulation jedes Atom ein kleines Stück in die Richtung dieser Kraft, und dabei schreite die simulierte Zeit um eine Femtosekunde fort – um den winzigen Bruchteil einer Sekunde. Insgesamt sei eine Milliarde mal eine Milliarde solcher Rechenschritte nötig, um die Simulationszeit zu erreichen, die Proteine benötigten, um eine einmal eingegangene Verbindung wieder zu lösen.

Frank Noés Forschergruppe und weitere Fachkolleginnen und -kollegen haben bahnbrechende Entwicklungen erarbeitet, die diese langen Simulationszeiten erstmals ermöglichen. „Mit neuen mathematischen Verfahren und durch die höhere Rechenleistung von Grafikprozessoren können wir erstmals überhaupt kleine Proteinpaare bei atomarer Auflösung für Sekunden und länger simulieren”, sagt Frank Noé. Damit seien praktisch relevante Anwendungen in Reichweite – etwa der computergestützte Entwurf von Medikamenten.

„Noch nicht möglich ist die Langzeitsimulation von großen Proteinsystemen bis hin zu ganzen Zellen, ohne die molekularen Details aufzugeben“, erklärt Frank Noé. Genau das soll im Rahmen des ERC-Projekts erarbeitet werden; um dieses Ziel zu erreichen, sollen neue Methoden des maschinellen Lernens entwickelt werden. Bei Erfolg verspreche dieses Projekt ein nie dagewesenes Verständnis der biologischen Prozesse in der Zelle und eröffne weitreichende Möglichkeiten der Anwendung wie die Bekämpfung von komplexen Krankheiten und die Optimierung von biotechnologischen Prozessen.

Kontakt

  • Prof. Dr. Stephanie Reich, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56232, E-Mail: stephanie.reich@physik.fu-berlin.de
  • Prof. Dr. Frank Noé, Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 838-75354, E-Mail: frank.noe@fu-berlin.de