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Umfangreicher Bestand an verfemten Werken durch Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität wissenschaftlich erfasst

Ausstellung „entarteter“ Kunst in Rostock

Nr. 148/2008 vom 27.05.2008

Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität hat gemeinsam mit dem Kulturhistorischen Museum in Rostock den dortigen Bestand an Werken der 1937 von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierten und beschlagnahmten Kunst wissenschaftlich erfasst. Eine Auswahl der Werke wird vom 30. Mai bis 7. September 2008 in der Kunsthalle Rostock und im Kulturhistorischem Museum Rostock gezeigt.

Der Rostocker Bestand ist der letzte umfangreiche Bestand an „entarteter“ Kunst in Deutschland. Mehr als 1000 der von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke kamen 1947 ins Museum der Stadt Rostock. Sie stammen aus der Hinterlassenschaft Bernhard Alois Böhmers (1892–1945) – einem der wenigen Kunsthändler, die von Joseph Goebbels’ Propagandaministerium zum Handel mit „entarteter“ Kunst autorisiert waren. Böhmer, der selbst eine Ausbildung zum Bildhauer absolviert hatte, verfügte über die notwendigen Kenntnisse und Kontakte zu Sammlern moderner Kunst. Zusammen mit seiner ersten Ehefrau Margarethe Böhmer, ebenfalls Bildhauerin, ließ Bernhard Böhmer sich in den 1920er Jahren in Güstrow nieder, lernte den dort ansässigen Künstler Ernst Barlach kennen, half ihm fortan bei den groben Arbeiten im Atelier und übernahm wenig später auch den Handel mit dessen Werken.

Als 1937 die Nationalsozialisten in einer beispiellosen Aktion mehr als 20.000 Werke moderner Kunst als „entartet“ aus deutschem Museumsbesitz beschlagnahmten, setzte sich Böhmer vehement für die Erhaltung der Werke Barlachs ein. Nach dessen Tod 1938 handelte Böhmer auch mit Werken anderer Künstler aus dem Beschlagnahmegut, knüpfte Kontakte zu bedeutenden NS-Größen und avancierte zu einem der wichtigsten Kunsthändler im Dritten Reich. Beim Anrücken der sowjetischen Truppen Anfang Mai 1945 nahmen sich Bernhard Böhmer und seine zweite Ehefrau Hella das Leben. Der damals zwölfjährige Sohn Peter überlebte.

Dokumente weisen darauf hin, dass bei Böhmer in Güstrow nicht nur die offiziell über ihn „verwerteten“ Kunstwerke lagerten. Den Bestand übernahm zunächst Wilma Zelck, die Tante von Peter Böhmer, die zu dessen Vormund bestimmt war. 1947 ließ die Zentralverwaltung für Volksbildung mit einer Ermächtigung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) jene Werke „entarteter Kunst“ sicherstellen, die sich in der Ostzone befanden. Der damit beauftragte Sachreferent Kurt Reutti überführte sie ins Museum der Stadt Rostock. Ursprünglich war geplant gewesen, die aus ostdeutschem Museumsbesitz stammenden Werke den Herkunftsinstitutionen zurückzugeben. Dazu kam es jedoch nur teilweise. Heute befinden sich im Rostocker Kulturhistorischen Museum noch rund 600 Gemälde, Plastiken, Zeichnungen, Aquarelle und Druckgraphiken von namhaften Künstlern wie Ernst Barlach, Lovis Corinth, Otto Dix, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Gerhard Marcks, Henry Moore, Otto Mueller, Christian Rohlfs und Oskar Schlemmer.

Der Rostocker Bestand wurde auf Grundlage des in der Forschungsstelle bearbeiteten Beschlagnahme-Inventars von Andreas Hüneke wissenschaftlich erfasst. Im direkten Vergleich vor Ort wurden die Werke auf Stempel ihrer Herkunftsmuseen und Angaben zur NS-Inventarisierung überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass viele der als zerstört verzeichneten Werke heute noch erhalten sind. Mehrere Arbeiten auf Papier – Zeichnungen und Druckgraphiken – fehlen in den aktuellen Werkverzeichnissen, da kaum jemand vom Rostocker Bestand wusste. Im Herbst erscheint als Band 3 der Schriftenreihe der Forschungsstelle „Ein Händler ‚entarteter‘ Kunst. Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass im Kulturhistorischen Museum Rostock“ (hg. von Meike Hoffmann) mit einer vollständigen Katalogisierung des Rostocker Bestandes, der Rückgaben und der ungeklärten Fälle.

Während der Ausstellung in Rostock veranstaltet das Kulturhistorische Museum Rostock zusammen mit der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ ein wissenschaftliches Kolloquium. Führungen, Vorträge und Konzerte mit ehemals verfemter Musik begleiten die Ausstellung.

Zeit und Ort:

  • Meisterwerke der Moderne – Aus den Beständen der 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunst, Eröffnung: Donnerstag, den 29. Mai 2008 um 17 Uhr; Dauer: 30. Mai bis 7. September 2008
  • Kulturhistorisches Museum Rostock / Kloster zum Heiligen Kreuz, Klosterhof 7, 18055 Rostock Kunsthalle Rostock, Hamburger Straße 40, 18069 Rostock

Weitere Informationen

Weitere Auskünfte erteilt Ihnen gern:

Dr. Meike Hoffmann, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Koserstraße 20, 14195 Berlin, Telefon: 030 / 838-54523, E-Mail: fsek@zedat.fu-berlin.de