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Die politische Dimension von "Erinnerungen" in Ex-Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten

Untersuchung von Prof. Holm Sundhaussen an der Freien Universität zusammen mit Prof. Harald Welzer von der Universität Witten-Herdecke

Nr. 186/2002 vom 25.07.2002

Das autoritäre Regime Ex-Jugoslawiens übte ein Deutungsmonopel über die Geschichtsdarstellung aus, um damit Handeln und Denken seiner Bevölkerung zu beeinflussen. Prof. Holm Sundhaussen von der Freien Universität untersucht zusammen mit Prof. Harald Welzer von der Universität Witten-Herdecke die Überlieferung von Vergangenheitsvorstellungen in serbischen und kroatischen Familien, um festzustellen, wie groß die Wirkung der staatlichen "Vergangenheitspolitik" war. Dabei steht die Überlieferung der Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges im Mittelpunkt der Untersuchung. Das Projekt wird von der Volkswagenstiftung mit 270.000 Euro gefördert.

Gleichzeitig sollen in einem Parallelprojekt Befragungen mit dem gleichen Forschungsansatz in den Niederlanden und Dänemark durchgeführt werden. Anhand aller einbezogenen Länder wird nachzuzeichnen sein, welche Vergangenheitsvorstellungen in Bezug auf den Nationalsozialismus in den untersuchten Gesellschaften vorherrschen und welche Unterschiede sich dabei zwischen demokratischen und autoritär regierten Gesellschaften feststellen lassen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts werden Interviews mit Familien und einzelnen Familienangehörigen durchführen und dabei fragen, wie die "Erinnerungen" an den Zweiten Weltkrieg im Gespräch zwischen den Generationen weitergegeben und verändert wurden. Zwanzig Familien mit jeweils drei Generationen werden pro Land in Gruppen- und Einzelinterviews befragt. Bei der Auswertung der insgesamt 160 bis 200 Interviewtranskripte wird von Interesse sein, inwieweit die private Überlieferung mit der öffentlichen Geschichtsdarstellung übereinstimmt bzw. von ihr abweicht. Kroatien und Serbien bieten sich für eine vergleichende Studie besonders an, weil sie auf unterschiedliche Weise mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus konfrontiert bzw. in diesen involviert waren. Während Kroatien mit dem "Dritten Reich" kollaborierte, stand Serbien unter deutscher Besatzung.

Um das nach 1945 unter sozialistischer Herrschaft wieder entstandene Jugoslawien zusammenzuschweißen, sorgte das Regime dafür, dass in der offiziellen Geschichtsschreibung Widerstand und Kollaboration quasi gleichmäßig auf Serben und Kroaten "verteilt" wurde und viele unbequeme Themen vergessen werden mussten. Nach 1985 brach diese öffentliche Geschichtsdarstellung schrittweise zusammen und wurde nach dem Auseinanderbrechen der Föderation schließlich vollständig durch extrem polarisierte und ethnonationale Lesarten der Vergangenheit ersetzt. Diese waren ihrerseits für die Existenzberechtigung der aus den jugoslawischen Bürgerkriegen hervorgegangen "Nationen" von herausragender Bedeutung.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Holm Sundhausen, Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, Garystr. 55, 14195 Berlin, Tel.: 030-838 52076, Fax: 030-838 54036, E-Mail: sundhaus@zedat.fu-berlin.de