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Zeitzeugen-Interviews: Die Erinnerung wach halten und Geschichte vermitteln

Neues Unterrichtsmaterial zum Thema NS-Zwangsarbeit vorgestellt

Nr. 195/2010 vom 15.06.2010

Internetauftritt des Archivs

Internetauftritt des Archivs
Bildquelle: www.zwangsarbeit-archiv.de

Die Integration des im Schulunterricht oft vernachlässigten Themas NS-Zwangsarbeit ist ein Ziel des Projekts „Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen und Geschichte“. Hierfür stellte das interdisziplinäre Projektteam heute neue multimediale Unterrichtsmaterialien mit Zeitzeugen-Interviews speziell für die Nutzung in Schulen vor. Diese Arbeit basiert auf einer Sammlung von fast 600 Audio- und Video-Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern.

In dem Kooperationsprojekt der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit der Freien Universität Berlin und dem Deutschen Historischen Museum ist zunächst ein digitales Interview-Archiv entstanden. Bei der Vorstellung in der Sophie-Scholl-Oberschule wurden nun die neuen Bildungsmaterialien und eine erweiterte Version des Online-Archivs präsentiert. Es sprachen auch Zeitzeugen, Schüler und Lehrer über Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland und darüber, wie heute daran erinnert werden kann.

„Lange haben die Opfer geschwiegen, lange Zeit wollte die Gesellschaft ihre Erinnerungen nicht zur Kenntnis nehmen“, sagte Günter Saathoff, Vorstand der Stiftung EVZ bei der Pressekonferenz. „Die Erinnerung an die Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus in Deutschland wach und lebendig zu halten, ist von besonderer Wichtigkeit in unserer Zeit. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, es zu ermöglichen, dass Zeitzeugen auch künftig in Klassenzimmern über ihr Leid und ihre Erfahrungen berichten können.“

Mit der Förderung des Interview-Projekts „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“ in den Jahren 2005–2006, hat die Stiftung hierfür den Grundstein gelegt. Dabei entstanden fast 600 Interviews mit Zeitzeugen aus 27 Ländern. Historiker, Informatiker und Medienexperten der Freien Universität entwickelten ein digitales Archiv und stellten damit im Januar 2009 die Interviews erstmals online. Seitdem arbeitet das Projektteam an der wissenschaftlichen Erschließung des Materials und erweitert das Archiv technisch und inhaltlich. Die neue Version des Archivs ist nun mit einer verfeinerten Suchfunktion sowie Transkripten und Übersetzungen ins Deutsche verfügbar.

Das neue Unterrichtsmaterial umfasst eine Video-DVD mit fünf exemplarischen Zeitzeugen-Interviews und Filmen über die Sammlung und den historischen Hintergrund, eine multimediale Lernsoftware und ein Begleitheft für Lehrer. Mit der Lernsoftware können sich Schüler, angeleitet durch Lehrer oder im Selbststudium am eigenen Computer, mit dem Thema Zwangsarbeit beschäftigen. „Multimediale Zeitzeugen-Archive haben in Forschung und Lehre sowie im Bereich technischer Entwicklung einen hohen Stellenwert an der Freien Universität. Die Potenziale der mündlichen Überlieferung von Geschichte für eine Vielzahl von Disziplinen und Nutzungsszenarien sind bedeutsam“, erklärte Prof. Dr. Nicolas Apostolopoulos, Leiter des Centers für Digitale Systeme (CeDiS), an dem das Archiv und die Bildungsmaterialien erarbeitet wurden. „Es ist uns ein großes Anliegen, digitale Technologien gerade auch für die historisch-politische Bildung in Schulen und anderen außeruniversitären Einrichtungen zu entwickeln, einen breiten Zugang zu den Quellen zu ermöglichen und diese mit didaktischen und gut durchdachten Materialien bereitzustellen.“

Bodo Förster, Geschichtslehrer an der Sophie-Scholl-Schule, erklärte, an Schulen bestehe ein großer Bedarf an multimedialem Lehr- und Lernmaterial zum Thema NS-Zwangsarbeit, das den Anforderungen an Schulen Rechnung trage. „An unserer Schule spielt das Thema Zwangsarbeit sicherlich eine größere Rolle als an vielen anderen Schulen, weil unser Gebäude von 1943 bis 1945 als Zwangsarbeitslager genutzt wurde für Familien, deren als ‚arbeitsfähig’ eingestufte Angehörige den Hochbunker in der Pallasstraße bauen mussten“, sagte Förster. „Das Material aus dem Projekt ‚Zwangsarbeit 1939–1945‘ allerdings ergänzt unsere Bemühungen der Vermittlung und fügt eine multimediale sowie persönliche Komponente hinzu. Damit können wir bei Schülern sehr viel leichter Interesse wecken als mit einem herkömmlichen Geschichtsbuch.“

Miriam Mogge hat in ihrem letzten Schuljahr vor dem Abitur an der Sophie-Scholl-Schule bei der Entwicklung der Lernsoftware mitgewirkt und diese getestet. Sie lernte auch die Zeitzeugin Jutta Pelz-Bergt kennen, die für das Archiv interviewt wurde. „Die Begegnung mit Menschen, die während der NS-Zeit in Deutschland ausgebeutet und gequält wurden, ist sicherlich die eindrucksvollste Art und Weise, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Für alle uns folgenden Generationen, die irgendwann keine Möglichkeit mehr haben werden, Zeitzeugen zu treffen, sind die Filme und das Archiv daher eine sehr wichtige Quelle“, sagte die 19-Jährige.

Weitere Informationen

  • Eine Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung ist in Planung. Demnach sollen die Bildungsmaterialien aus dem Projekt „Zwangsarbeit 1939–1945“ (Video-DVD, Lernsoftware und Lehrerheft) im Programm der Bundeszentrale für politische Bildung zu erhalten sein.
  • Zugang zum Archiv und weitere Informationen zum Projekt gibt es unter: www.zwangsarbeit-archiv.de
  • Interview-Ausschnitte aus dem Online-Archiv sind auch in einer multimedialen PC-Station in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums zu sehen.
  • Pressemitteilungen, Bildmaterial und Hintergrundinformationen stehen der Presse zur Verfügung unter: www.zwangsarbeit-archiv.de/presse/pressematerial

Kontakt

Katja Egli
Freie Universität Berlin
Center für Digitale Systeme (CeDiS)
Tel: +49 (0)30/838-53 705
Mobil: +49 (0)170/78 18 424
E-Mail: kegli@cedis.fu-berlin.de