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Große Forschung an Fliegenhirnen

Stephan Sigrist ist neuer Professor für Molekulare Entwicklungsgenetik der Tiere

28.04.2009

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Stephan Sigrist mit der Frage, was im Gehirn beim Lernen passiert

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Stephan Sigrist mit der Frage, was im Gehirn beim Lernen passiert
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wenn es um die Denkleistung von Menschen nicht so gut bestellt ist, attestiert der Volksmund gerne ein „Spatzenhirn“: Wer als Mensch so wenig graue Masse besitzt wie ein Vogel, von dem könnte man schlechterdings intellektuelle Hochleistung verlangen.

Ein „Fliegenhirn“ müsste demnach eigentlich ein gänzlich vernichtendes Urteil sein. Und doch lässt der Neurobiologe Stephan Sigrist nichts auf Fliegen und ihre Hirne kommen. Denn von ihnen können Forscher wie er immer wieder lernen: „Unter dem Mikroskop kann man bei Fliegen beobachten, wie sich neue Synapsen entwickeln und das Nervensystem entsteht. Diesen ganzen Prozess sehen zu können in einem absolut intakten, lebenden Tier, ist eine Ausnahmegeschichte.“

Seit September 2008 ist Stephan Sigrist Professor für Molekulare Entwicklungsgenetik der Tiere an der Freien Universität Berlin. Studiert hatte Sigrist zunächst Chemie an der Technischen Universität, wechselte jedoch bald zur Biochemie und nach Tübingen, wo er auch promovierte. In  Göttingen leitete er eine Max-Planck Nachwuchsgruppe am „European Neuroscience Institute"  wo er 2005 mit dem Preis für die beste Habilitation der medizinischen Fakultät ausgezeichnet wurde. Zuletzt forschte Stephan Sigrist am Rudolf-Virchow-Zentrum für experimentelle Biomedizin in Würzburg. Inzwischen ist Sigrist mit allen seinen Mitarbeitern nach Berlin umgezogen – und konnte hier ohne große Verzögerungen sofort weiterarbeiten: „Für manche war es ja schon der zweite Umzug unserer Forschungsgruppe. Das hat prima geklappt, und alle haben sich über den Schritt gefreut.“

Synapsen - notwendig bei der Übertragung von Signalen

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Sigrist mit der Frage, was im Gehirn beim Lernen passiert. Denn egal ob Mensch, Spatz oder Fliege: bei Lernprozessen verändert das Nervensystem seine Struktur. Wie eine komplexe Steckplatine, auf der Tausende von Schaltungen permanent umgesteckt und neu verlötet werden. Für die Übertragung von Signalen zwischen den einzelnen Zellen spielen die Synapsen eine wichtige Rolle. International beschäftigen sich Neurobiologen vor allem mit der Frage, wie Synapsen genau aufgebaut sind und wie sie ihre Funktion koordinieren. Bereits vor drei Jahren entdeckte Stephan Sigrist mit seiner Arbeitsgruppe bei den Untersuchungen von Fruchtfliegen-Synapsen ein Protein, ohne das die Tiere nicht einmal richtig fliegen könnten – „Bruchpilot“ nannten es die Forscher deshalb. Zusammen mit den Wissenschaftlern der Arbeitsgruppen des Exzellenzclusters „Neurocure – neue Perspektiven in der Therapie neurologischer Erkrankungen“ arbeitet Sigrist nun an Mutationen, die zum Beispiel Autismus verursachen: „Autismus ist eine Entwicklungskrankheit des Nervensystems, die wahrscheinlich durch Synapsen verursacht wird, die nicht adäquat funktionieren.“

Enge Kooperation mit dem Exzellenzcluster "Neurocure"

Zunächst wird Sigrist sich jedoch dem Autismus bei Fliegen zuwenden – und dann, gemeinsam mit anderen Forschern, die Prozesse bei Mäusen untersuchen. „In einem Forschungscluster wie Neurocure passiert das Spannendste ja zwischen den einzelnen Forschergruppen – wir können hier direkt mit Experten wie Volker Haucke oder Dietmar Schmitz zusammenarbeiten. Das ist das Tolle an so einer Forschungssituation wie hier“, schwärmt Sigrist. Auch technisch sind die beiden Labore, in denen er und seine Mitarbeiter forschen, exzellent ausgestattet: ein hochmodernes sogenanntes STED-Mikroskop soll den Forschern in Berlin bald ermöglichen, direkt einen Blick in die Prozesse im Fliegenhirn zu werfen. Für die nächsten Monate hat Sigrist jetzt eigentlich nur noch ein bis zwei Wünsche offen: „Wir wollen für die Neurobiologie an der Freien Universität und innerhalb von Neurocure möglichst bald alle offenen Stellen besetzt haben. Und dann ganz zum „normalen“ Forscherleben zurückfinden.“