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Geschichte lernen und Geschichte verstehen

Am 6. und 7. April: Schüler führen Theaterstück auf, das sie anhand von Biografien der Überlebenden aus dem Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“ entwickelt haben

05.04.2016

In dem Theaterstück „Ansichts-Karten von gestern nach morgen“ haben sich Schülerinnen und Schüler der Ernst-Haeckel-Oberschule mit dem Thema Holocaust auseinandergesetzt.

In dem Theaterstück „Ansichts-Karten von gestern nach morgen“ haben sich Schülerinnen und Schüler der Ernst-Haeckel-Oberschule mit dem Thema Holocaust auseinandergesetzt.
Bildquelle: David Beecroft

Nicolas Apostolopoulos (3.v.l.) mit Regisseurin Susanne Chrudina (4.v.l.), dem Schulleiter der Ernst-Haeckel-Schule Jörn-Peter Roloff (5.v.l.), Lehrerin Jördis Gierig (6.v.l.) und den Schülerinnen und Schülern, die an dem Projekt beteiligt waren.

Nicolas Apostolopoulos (3.v.l.) mit Regisseurin Susanne Chrudina (4.v.l.), dem Schulleiter der Ernst-Haeckel-Schule Jörn-Peter Roloff (5.v.l.), Lehrerin Jördis Gierig (6.v.l.) und den Schülerinnen und Schülern, die an dem Projekt beteiligt waren.
Bildquelle: Manuel Krane

CeDiS-Leiter Nicolas Apostolopoulos zeigte sich angetan von der Arbeit der Schülerinnen und Schüler.

CeDiS-Leiter Nicolas Apostolopoulos zeigte sich angetan von der Arbeit der Schülerinnen und Schüler.
Bildquelle: Manuel Krane

„Jeder hat die Aufgabe, die Erinnerung aufrecht zu erhalten“, sagt Schülerin Emelie Stein.

„Jeder hat die Aufgabe, die Erinnerung aufrecht zu erhalten“, sagt Schülerin Emelie Stein.
Bildquelle: Manuel Krane

„Hochgeschätzte Julia Lentini, ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was Du und Deine Familie durchgemacht haben müsst. Ich wäre Ihnen gerne selbst begegnet, um alle Fragen zu stellen, und um zu erfahren, wie Sie sich gefühlt haben.“ Diese anrührenden Zeilen schreibt die Schülerin Selina Kempe an die Auschwitz-Überlebende Julia Lentini. Der Brief ist Teil der Inszenierung „Ansichts-Karten von gestern nach morgen“, in der Schülerinnen und Schüler der Ernst-Haeckel-Oberschule in Berlin-Marzahn sich mit der Geschichte von Holocaust-Überlebenden befassen. Entnommen haben sie die Biografien dem „Visual History Archive“ und dem Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945 – Erinnerungen und Geschichte“, die vom Center für Digitale Systeme (CeDiS) der Freien Universität betreut werden. Am Montag waren die Schüler zu Gast in Dahlem.

„Ich war begeistert zu erfahren, wie die jungen Schauspieler die Biografien umgesetzt haben. Es war beeindruckend und extrem gefühlsbetont“, sagt Nicolas Apostolopoulos, der die Schülerinnen und Schüler an die Freie Universität eingeladen hatte. „Sie setzen damit ein wichtiges Zeichen.“ Die Jugendlichen besuchen derzeit die 10. Klasse; vor einem Jahr haben sie sich mit ihrer Lehrerin Jördis Gierig an das Projekt gewagt, das von den Spreeagenten ins Leben gerufen wurde: Die freie Berliner Theatergruppe hatte die Idee, die vorhandenen Zeitzeugenberichte für eine intensive künstlerische Auseinandersetzung zu nutzen. Das Theaterstück „Ansichts-Karten“ ist daraufhin unter der Leitung von Regisseurin Susanne Chrudina mit den Schülerinnen und Schülern in der Ernst-Haeckel-Schule realisiert worden.

Recherche in Museen und Archiven

Zu Beginn haben die Schüler Zeitzeugen-Interviews gesichtet, bevor sie sich für Personen entschieden haben, mit deren Biografie sie sich genauer befassen wollten. Die Recherchen führten die Schüler ins Jüdische Museum und in die Mahn- und Gedenkstätte des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück. Anschließend entwickelten sie aus den Zeitzeugen-Berichten Szenen. „Wir haben uns in der Regel für Situationen entschieden, die uns persönlich sehr berührt haben“, sagt die Schülerin Emelie Stein. Doch das Projekt beinhaltet nicht nur Ausschnitte aus dem Leben im Konzentrationslager: Die Schülerinnen und Schüler haben auch Postkarten und Briefe geschrieben, gerichtet an die Personen, die sie verkörpern. Die Briefe werden in der Inszenierung vorgelesen.

Die Schüler haben an dem Projekt freiwillig teilgenommen, sogar in den großen Ferien wurde geprobt. „Keiner der Teilnehmer ist im Laufe des Projektes ausgestiegen“, sagt Lehrerin Jördis Gierig, „das ist schon beeindruckend.“ Für Emelie Stein ist das allerdings eine Selbstverständlichkeit. „Ich finde es wichtig, dass man die Vergangenheit nicht vergisst, und jeder die Aufgabe hat, die Erinnerung aufrechtzuerhalten“, sagt sie.

Archiv mit mehr als 600 Biografien

Das CeDiS der Freien Universität hat gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum und der Stiftung „Erinnerung Verantwortung und Zukunft“ das Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945 – Erinnerungen und Geschichte“ aufgebaut. Derzeit umfasst es mehr als 600 Biografien von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Aus diesem umfangreichen Material hat das CeDiS eine Auswahl von Videointerviews zusammengeschnitten und für den Unterricht aufbereitet. Acht Biografien haben die Schüler sich daraus ausgesucht.

Für Regisseurin Susanne Chrudina ist Theaterarbeit als Unterrichtskonzept eine ganz besondere Chance: „Die Schüler können in ihren Rollen erfahren, wie es sich anfühlt, wenn sie diejenigen sind, die andere schikanieren, oder wie es ist, wenn man selbst schikaniert wird.“ Nicolas Apostolopoulos ergänzt: „Geschichte auswendig zu lernen, ist einfach – aber sie zu verstehen, ist viel schwieriger. Der Zugang über das Theater ist dabei eine geniale Idee.“

Weitere Informationen

Die vorerst letzten Aufführungen von „Ansichts-Karten von gestern nach morgen“ finden am Mittwoch, den 6. April, um 18 Uhr und am Donnerstag, den 7. April um 11 Uhr und um 18 Uhr im Theater o.N., Kollwitzstraße 53, 10405 Berlin, statt. Karten können unter karten@theater-on.com vorbestellt werden.