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„Schreibst du noch, oder übersetzt du schon?“

Antrittsvorlesung von Olaf Kühl, August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung, am 1. November um 20.00 Uhr

01.11.2011

Olaf Kühl kam ursprünglich über einen Russisch-Sprachkurs an der Freien Universität zum Übersetzen. In diesem Semester ist er August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung in Dahlem.

Olaf Kühl kam ursprünglich über einen Russisch-Sprachkurs an der Freien Universität zum Übersetzen. In diesem Semester ist er August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung in Dahlem.
Bildquelle: Jan Zappner

Es war „ein reines Exotikstudium ohne Aussicht auf Arbeit“, das Olaf Kühl im Jahr 1975 an der Freien Universität Berlin begann. Der Eiserne Vorhang hing noch schwer, Reisen dahinter waren nahezu unmöglich. Das Studium der Slawistik und der Osteuropäischen Geschichte und Zeitgeschichte war zu dieser Zeit nur etwas für wirklich Interessierte. Dabei hatte Olaf Kühl eigentlich gar nicht studieren wollen. Er wollte immer als Schriftsteller arbeiten: am liebsten in Argentinien.

Kühl hatte zuvor zwei Semester lang Psychologie an der Technischen Universität Berlin studiert. Über einen Russisch-Sprachkurs kam er an die Freie Universität. Noch während seiner Zeit in Dahlem fing er an, fremdsprachige Literatur ins Deutsche zu übersetzen. Zunächst Werke russischer, dann vermehrt Werke polnischer Autoren. In dieser Zeit wirkte er bei der Übersetzung der Gesamtausgabe der Werke des bedeutenden polnischen Schriftstellers Witold Gombrowicz mit.

Übersetzungen aus dem Polnischen, Russischen, Ukrainischen und Serbokroatischen

1982, nach dem Studium, gründete Olaf Kühl das „Ost-West-Büro für Osteuropa-Beratung und Übersetzung“. In dieser Zeit übersetzte Kühl zahlreiche Werke aus dem Polnischen, Russischen, Ukrainischen und Serbokroatischen. Dabei stieß er auf Besonderheiten der einzelnen Literaturkulturen: „Die polnische Lyrik ist sehr gedankengesättigt, die russische dagegen eher gefühlsbetont“, sagt Kühl. Neben seiner Arbeit als Übersetzer schrieb er Gutachten über ausländische Autoren für Verlage und verfasste  literaturwissenschaftliche Beiträge, etwa für „Kindlers Literaturlexikon“. Er leitete Übersetzer-Workshops, unter anderem in Lemberg, München und Krakau.

1988 suchte die Senatskanzlei des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen, einen Dolmetscher und Übersetzer für gleich vier Sprachen: Polnisch, Russisch, Serbokroatisch und Englisch. Karl Dedecius, der als wichtigster Übersetzer und Popularisator polnischsprachiger Literatur in Deutschland gilt, war es, der Olaf Kühl für diese Stelle empfahl. 1996 stieg Kühl zum „Länderreferenten Russland, Ukraine, Belarus und Transkaukasus“ des Regierenden Bürgermeisters auf. Im Jahr zuvor war er im Fach Slawistik mit einer Arbeit zum Thema „Stilistik der Verdrängung. Zur Prosa von Witold Gombrowicz“ bei Professor Witold Kosny an der Freien Universität promoviert worden.

Referent des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit

Er hätte sich zurücklehnen und sein Beamtendasein genießen können. Doch Kühl, der mit einer Polin verheiratet ist und deren gemeinsame Tochter und Sohn in Polen leben, arbeitet parallel dazu bis heute als Übersetzer. In seiner aktuellen Funktion als Referent des Regierenden Bürgermeisters, Klaus Wowereit, ist er häufig in Russland unterwegs und gestaltet durch seine Analysen die deutsche Russland-Politik mit.

Die Halbtagsstelle in der Senatskanzlei gibt ihm die Freiheit, Buchprojekte auch einmal abzulehnen. Wie das Romandebüt „Schneeweiß und Russenrot“ von Dorota Masłowska. Olaf Kühl hatte das Buch der damals 18-jährigen polnischen Autorin nach den ersten zehn Seiten zur Seite gelegt. Ein Fehler, wie er heute weiß. „Ab Seite 40 merkt man, dass es sich um wirklich großartige Literatur handelt“, sagt der Übersetzer. Er wagte sich später an die Übersetzung des Romans, und erhielt dafür 2005 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

2013 soll sein zweiter Roman erscheinen

Im selben Jahr wurde er für seine bisherigen deutsch-polnischen Übersetzungen mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet. Vor Kurzem ist Olaf Kühls erster eigener Roman erschienen. Er ist das Ergebnis einer Recherche-Reise, die Kühl dank eines Grenzgänger-Stipendiums der Robert-Bosch-Stiftung machen konnte. Der Roman trägt den Titel „Tote Tiere“ und handelt von zwei Männern, einem Deutschen und einem Polen, die gemeinsam nach Russland fahren, um Michail Chodorkowski, den früheren Vorstandsvorsitzenden und Großaktionär des Ölkonzerns Yukos, aus dem Straflager zu befreien. Der Roman ist bei Rowohlt erschienen.

2013 soll schon sein zweiter Roman in die Buchhandlungen kommen. An diesem arbeitet der Autor seit 15 Jahren. „Ich habe viel früher damit begonnen, Texte zu schreiben als zu übersetzen“, sagt er. Doch seine sonstigen Aufgaben und immer neue Übersetzungsaufträge verhinderten, dass er je genug Muße für den Roman aufbringen konnte. Erst jetzt hofft er er ihm seine volle Aufmerksamkeit widmen zu können.

Darüber diskutieren, „was das Schreiben und Übersetzen verbindet und was es trennt“

An der Freien Universität Berlin wird Olaf Kühl im Wintersemester 2011/2012 die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung bekleiden – die erste ihrer Art im deutschsprachigen Raum. Angesiedelt ist sie am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität. Mit der Professur soll die Rolle des literarischen Übersetzers aufgewertet werden. Die Professur wird durch den Deutschen Übersetzerfonds finanziert. Olaf Kühl möchte mit Literaturstudenten darüber diskutieren, „was das Schreiben und Übersetzen verbindet und was es trennt“.

Weitere Informationen

Öffentliche Antrittsvorlesung

Der Titel der öffentlichen Antrittsvorlesung von Olaf Kühl lautet „Schreibst du noch, oder übersetzt du schon? Über Sätze und ihre Lebenswelten“. Sie findet am 1. November 2011 um 20 Uhr in der Niedersächsischen Landesvertretung, In den Ministergärten 8, 10117 Berlin statt.