Springe direkt zu Inhalt

Vom Studierenden zum Warlord oder Mafiaboss

Im Sommersemester simulieren Studierende den Kaukasus-Konflikt

04.03.2009

Teilnehmer des Krisenspiels

Teilnehmer des Krisenspiels
Bildquelle: Projekt "Das Krisenspiel"

Vertreter der USA und Russlands sitzen an einem Tisch. Im Hintergrund agiert die Mafia. Der Geheimdienst versucht, ihr auf die Schliche zu kommen. Stündlich laufen Fernsehnachrichten. Strategien werden ausgefeilt, angewandt und verkündet. Das Krisenspiel am Otto-Suhr-Institut macht Friedens- und Konfliktforschung für Studierende erfahrbar.

Seit 15 Jahren gibt es das Krisenspiel am Otto-Suhr-Institut schon: Libanon, Somalia, Myanmar, Kolumbien – sämtliche regionalen Konflikte wurden in Berlin schon einmal inszeniert. Im Jahr 2001 übernahm Sven Chojnacki, Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung, die Schirmherrschaft über das Krisenspiel. „Das Spiel wird immer von einigen Teilnehmern aus dem Vorjahr organisiert“, erklärt Chojnacki, „das ist ein Gegenentwurf zum universitären Mainstream, bei dem die Ergebnisse offen sind und die Erkenntnisinteressen gemeinsam erarbeitet werden.“

Im Zentrum steht das „Verstehen“ von Konflikten, nicht die Entwicklung von konkreten Konfliktlösungen oder theoretischen Erklärungen. Im Sinne kritischer Friedens- und Konfliktforschung wird ein multidimensionaler Blick auf Konflikte geworfen. „Die Studierenden sollen objektiv scheinende Sachzwänge hinterfragen und nach möglichen Alternativen vor allem des nicht-militärischen Konfliktaustrags suchen“, sagt Chojnacki.

Mitmachen können Studierende aller Fachbereiche und aller Berliner Universitäten. Auch die Semesterzahl spielt keine Rolle. Platz ist für 40 Teilnehmer, die Nachfrage ist allerdings deutlich größer. Wer mitmachen darf, wird in der ersten Sitzung ausgelost – so haben alle die gleiche Chance, am Krisenspiel teilzunehmen.

Eine Gruppe von Studierenden, die im vergangenen Jahr den Libanon-Konflikt simuliert hat, bereitet nun das Krisenspiel vor. „Das ist eine schöne Tradition, dass sich das Planspiel aus sich selbst heraus reproduziert und Teilnehmer aus dem Vorjahr das Krisenspiel kritisch-emanzipatorisch weiterentwickeln“, sagt Chojnacki.

Tag X der Krise wird inszeniert

In diesem Jahr ist die geographische Region „Großer Kaukasus“ Thema des Krisenspiels. Zunächst läuft das Krisenspiel in Seminarform ab: Es gibt eine Einführung in die Friedens- und Konfliktforschung und eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Krisenregion. Dazu werden Referenten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen.

Mit der Rollenverteilung beginnt das Spiel allmählich: Jeder Akteur bekommt einen Reader mit Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Beiträgen, der ihm das nötige Hintergrundwissen für die Konfliktstrukturen bietet. Für die eigene Rolle sollen die Teilnehmer selbst recherchieren. Das Spiel findet an einem Wochenende in einem Tagungshaus am Rand von Berlin statt. Unmittelbar davor werden die aktuellen Entwicklungen im Kaukasus zu einer internationalen Krise zugespitzt: Es wird ein Szenario für Tag X inszeniert, das alle Akteure zum kreativen Handeln zwingt – die Vergangenheit wird nicht nachgespielt, sondern die fiktive Zukunft vorgespielt.

Von da an bewegen sich die Spieler in ihrer eigenen Konfliktwelt. Jetzt gilt es, ganz UNO-Repräsentant, Mafiaboss oder Nachrichtensprecher zu sein und eigene Ziele durch geschicktes politisches Handeln durchzusetzen. „Alles ist sehr lebensnah, die Spieler verkleiden sich, verschmelzen mit ihrer Rolle und erfahren die Komplexität und Folgen politischer Entscheidungsprozesse am eignen Leib“, sagt Chojnacki. Dem Schirmherrn und den engagierten studentischen Initiatoren des Krisenspiels geht es darum, die Teilnehmer ganz konkret mit Konfliktdynamiken, Machtasymmetrien und Handlungsdilemmata zu konfrontieren und Konfliktsituationen individuell erfahrbar zu machen.