Springe direkt zu Inhalt

„Der Anfang vom Ende der DDR“

Am 7. Dezember kommt Wolf Biermann zu einem Podiumsgespräch an die Freie Universität / Literaturwissenschaftsprofessor Jürgen Brokoff im Interview mit campus.leben

01.12.2016

Der Liedermacher Wolf Biermann bei einem Konzert in Leipzig 1989. Nach jahrelangem Auftrittsverbot war es das erste Konzert Biermanns in der DDR nach seiner Ausbürgerung 1976.

Der Liedermacher Wolf Biermann bei einem Konzert in Leipzig 1989. Nach jahrelangem Auftrittsverbot war es das erste Konzert Biermanns in der DDR nach seiner Ausbürgerung 1976.
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1201-046 / Waltraud Grubitzsch (geb. Raphael) / CC-BY-SA 3.0

Vor vierzig Jahren wurde der Liedermacher und Regimekritiker Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Eine Tagung an der Freien Universität Berlin will am 7. und 8. Dezember 2016 die Hintergründe und Folgen dieser Zwangsausbürgerung untersuchen und zudem diskutieren, was sich seitdem an dem Verhältnis zwischen Literatur und Politik verändert hat. Teilnehmen werden sowohl Forscherinnern und Forscher aus dem In- und Ausland als auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in der DDR gewirkt haben, sowie Zeitzeugen. Wolf Biermann wird am Mittwoch, 7. Dezember, zu einem Podiumsgespräch an die Freie Universität kommen. Jürgen Brokoff, Literaturwissenschaftsprofessor und Mitorganisator der Tagung, im campus.leben-Interview über die Schwerpunkte der Tagung.

Herr Professor Brokoff, Wolf Biermann wurde 1976 von der DDR-Regierung ausgebürgert. War das ein abrupter Vorfall oder hat sich dieser Schritt lange angekündigt?

Die DDR-Literaturgeschichte ist nicht zu denken, ohne dass man die kulturpolitischen Vorgaben der SED-Führung berücksichtigt. Dabei spielt die Staatssicherheit eine große Rolle, deren Überwachungspraxis und das Zensurwesen innerhalb der DDR. Es geht um institutionalisierte Strukturen, die von der Staatsgründung bis zum Fall der Mauer mit verschiedenen Unterbrechungen und Konjunkturen wichtig gewesen sind. Der Autor Wolf Biermann war seit 1965 mit einem vollständigen Publikations- und Auftrittsverbot versehen, er musste seine Texte in West-Berlin veröffentlichen. Es gab schon Anfang der siebziger Jahre Überlegungen, wie man diesen für das DDR-Regime unbequemen Liedermacher – der 1953 vom Westen in den Osten gekommen war, wieder los wird. Biermann war zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit. Also hat man sich für eine Ausbürgerung entschieden. Die Gelegenheit dafür ergab sich im Herbst 1976.

Nach der Ausbürgerung kam es zu heftigen Protesten in beiden Teilen Deutschlands. Hat die DDR-Spitze mit solchen Reaktionen gerechnet?

Man hätte ahnen können, dass es im Westen zu Protesten kommt. Aber was die DDR-Führung unterschätzt hat, war der sich formierende Widerstand innerhalb der Literatur-, Künstler- und Intellektuellenszene im eigenen Land. Insofern ist das Jahr 1976 nicht nur wegen der alleinigen Tatsache der Ausbürgerung eines missliebigen Schriftstellers wichtig, sondern weil nach 1976 viele Schriftsteller, die ansonsten dem Projekt eines demokratischen Sozialismus‘ aufgeschlossen gegenüberstanden, sich von der DDR abgewendet haben. Das könnte man als eine Art des ‚inneren Ausblutens’ der DDR bezeichnen, die unsouverän und repressiv mit ihren Kritikern umging. Das ist auch der Grund, warum viele Literaturhistorikerinnen und –historiker der Ansicht sind, dass die Ausbürgerung Biermanns der Anfang vom Ende der DDR war. Auch darum soll es auf der Tagung gehen.

Welche Punkte werden außerdem zur Sprache kommen?

Es ist uns wichtig, dass wir einerseits ein wissenschaftliches Programm bieten, das die Epochenzäsur von 1976 in differenzierten Vorträgen untersucht. Der wissenschaftliche Teil steht am 8. Dezember im Vordergrund, bei dem auch die Biografien weiterer DDR-Autoren diskutiert werden sollen: etwa die von Günther Kunert oder Thomas Brasch. Außerdem wollen wir untersuchen, wie die westdeutsche Linke auf die Entwicklungen in der DDR reagiert hat. Wir wollen die ganze Situation in beiden Teilen Deutschlands in den Blick nehmen. Die Tagung soll am 7. Dezember um 17.30 Uhr eröffnet werden – mit einem Vortrag des renommierten Literaturhistorikers Wolfgang Emmerich, der die wichtigste Literaturgeschichte der DDR geschrieben hat.

Darüber hinaus haben wir Podiumsdiskussionen mit Zeitzeugen im Programm: zum einen die Veranstaltung mit Wolf Biermann selbst am 7. Dezember um 19.30 Uhr. Mit ihm möchten wir über die Bedingungen und Folgen seiner Ausbürgerung sprechen. Zum anderen wird es eine Podiumsdiskussion am 8. Dezember um 19 Uhr geben, an der die deutsch-jüdische Schriftstellerin Barbara Honigmann teilnehmen wird, die auch aufgrund der Biermann-Ausbürgerung der DDR den Rücken gekehrt hat. Außerdem wird der Dramatiker Lothar Trolle anwesend sein. Die Veranstaltung wird von dem Radiojournalisten Knut Elstermann moderiert.

Wolf Biermanns Ausbürgerung steht exemplarisch dafür, wie Unrechtsregime mit ihren Kritikern verfahren. Was können wir mit Blick auf Biermann über die Gegenwart lernen?

An dem Fall lässt sich ablesen, was das Leben und Schreiben unter den Bedingungen der Diktatur betrifft. Wir haben zwar keinen expliziten Schwerpunkt in Bezug auf die Überwachungspraxis der Staatssicherheit. Trotzdem soll es in den Vorträgen auch darum gehen, wie die Öffentlichkeit in einem Staat beschaffen ist, der als geschlossene Gesellschaft zu bezeichnen ist: als ein Staat, der lenkend, zensierend und regulierend in die Meinungsprozesse eingreift. Wir wollen Biermanns Fall nicht als abgeschlossenes Ereignis betrachten, sondern grundsätzlich fragen, was es für die Kunst- und Meinungsfreiheit von Intellektuellen und Schriftstellern bedeutet, unter den Bedingungen einer Diktatur zu arbeiten. In Anbetracht der politischen Situation in vielen Ländern dieser Welt, ist diese Fragestellung ja aktueller denn je.

Literatur hat heute also immer noch die gleiche Sprengkraft wie 1976?

Ja, zumindest wird sie dann politisch, brisant und heikel, wenn sie einer herrschenden Gruppierung, einer Staatsmacht nicht gefällt. Daran hat sich bis heute nichts grundsätzlich geändert, auch wenn der Kalte Krieg und der Ost-West-Konflikt in der alten Form vorbei sind.

Weitere Informationen

Öffentliche Festveranstaltung zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann

Podiumsgespräch „Warte nicht auf bessre Zeiten!"

Zeit und Ort

  • Mittwoch, 7. Dezember 2016, 19.30 Uhr
  • Freie Universität Berlin, Rostlaube, Hörsaal 1 B, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin (U-Bhf. Thielplatz, U 3)

Tagung „Zwischen Ausbürgerung und Exodus. 1976 und die Folgen“

Zeit und Ort

  • Mittwoch, 7./8. Dezember 2016, ab 17.30 Uhr
  • Seminarzentrum der Freien Universität Berlin, Raum L 116
  • Podiumsdiskussion in Hörsaal 1 B

Programm 

Die Tagung wird organisiert von Jürgen Brokoff (Freie Universität Berlin), Yfaat Weiss (Hebräische Universität Jerusalem), Susanne Zepp (Freie Universität Berlin)

Weitere Informationen