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Totgesagte leben länger

Der Genitiv steht im Mittelpunkt einer Linguistik-Tagung vom 22. bis 24. Mai an der Freien Universität

22.05.2014

Weil der Genitiv in germanischen Sprachen so wandlungsfähig ist, ist der Fall ein interessantes Forschungsobjekt für Linguisten: Vom 22. bis 24. Mai findet an der Freien Universität eine Tagung statt.

Weil der Genitiv in germanischen Sprachen so wandlungsfähig ist, ist der Fall ein interessantes Forschungsobjekt für Linguisten: Vom 22. bis 24. Mai findet an der Freien Universität eine Tagung statt.
Bildquelle: Freie Universität Berlin

Die Genitiv-Forscher (v.l.n.r.): Tanja Ackermann, Horst Simon, Christian Zimmer

Die Genitiv-Forscher (v.l.n.r.): Tanja Ackermann, Horst Simon, Christian Zimmer
Bildquelle: Mona Muth

„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ beklagte sich der Kolumnist Bastian Sick vor zehn Jahren in seinem gleichnamigen Bestseller. Die Organisatoren einer Genitiv-Tagung an der Freien Universität sind da anderer Meinung: Tot ist der Genitiv noch längst nicht, stattdessen ein Indikator für den lebhaften Wandel unserer Sprache.

In fast allen germanischen Sprachen hat sich der Gebrauch des Genitivs mit der Zeit verändert. Das macht den zweiten Kasus zum vermeintlichen Sorgenkind der Sprachkritik: Immer wieder wird der Genitiv in Feuilletons und Talkrunden als Exempel für den voranschreitenden „Sprachverfall“ herangezogen. Doch insbesondere seine außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit macht den Fall zum interessanten Forschungsobjekt für die Linguistik, finden die Sprachwissenschaftler der „Arbeitsgruppe Historische Linguistik“ an der Freien Universität, die den Kongress veranstalten.

Debatte ist emotional

Kein anderer Kasus sorgt im Deutschen für so viel Diskussionsstoff bezüglich seinem Gebrauch – pardon, seines Gebrauchs. „Die allgemeine Debatte um den Genitiv ist oft mit Emotionen verbunden“, sagt Horst Simon, Professor für Historische Sprachwissenschaft an der Freien Universität. „Ein Grund dafür ist, dass der Genitiv stark normativ geregelt ist. Schon die Lehrer haben einem früher in der Schule eingebläut, den zweiten Fall ordentlich zu benutzen.“

Dabei scheint der Kasus gar nicht so starr und dogmatisch zu sein, wie Schullehrer und selbsternannte Sprachwahrer gern behaupten. Nicht nur im Deutschen hat sich der sprachliche Gebrauch des zweiten Falls mit der Zeit verändert: „Einige germanische Sprachen sind heute noch relativ konservativ, was den Genitiv angeht. So etwa das Isländische. Im Vergleich dazu ist im Afrikaans der Genitiv praktisch verschwunden“, erklärt Sprachwissenschaftler Horst Simon. „Das Deutsche liegt etwa in der Mitte. Hier entstehen sogar einige neue Genitivformen und Variationen.“

„Die Hänge des Himalaya“

Heißt es eigentlich „des Fluges“ oder „des Flugs“? Horst Simon sieht das gelassen: „Im Deutschen haben sich mehrere Varianten eines Genitivs entwickelt, die miteinander konkurrieren und nebeneinander existieren.“ Manchmal werde der Einfachheit halber sogar das Genitiv-S am Ende eines Wortes weggelassen. „Die Gefahren des Internet“ sagen laut einer Studie der Arbeitsgruppe immerhin 30 Prozent der Deutschen, „die Hänge des Himalaya“ sogar über die Hälfte. Je seltsamer das Wort, desto eher wird das –s weggelassen. Fremdwörter oder exotische Eigennamen lassen sich so beim Sprechen besser erkennen. Für den Linguisten Horst Simon ist die Veränderung von Sprache ein natürlicher Prozess: „Wir alle durchbrechen die grammatischen Normen in unserem Alltag mehr oder weniger häufig – meist sogar ohne es zu merken.“

Sprache im Wandel

Sprachliche Phänomene dieser Art untersucht die „Arbeitsgruppe Historische Sprachwissenschaft“ der Freien Universität. Zum Team gehören neben Horst Simon Tanja Ackermann und Christian Zimmer. Gemeinsam haben sie eine internationale Tagung organisiert, bei der sich Linguisten aus unterschiedlichen Ländern in wissenschaftlichen Vorträgen des Genitivs annehmen. „Interessant daran ist zu ergründen, warum innerhalb derselben Sprachfamilie unterschiedliche Entwicklungen des Genitivs zu erkennen sind. Als Linguisten versuchen wir herauszufinden, weshalb eine der germanischen Sprachen einem Wandel unterliegt, eine andere wiederum nicht“, sagt Tanja Ackermann.

Dass Sprachwandel nicht zwangsläufig Sprachverfall bedeute, erklärt Linguist Christian Zimmer: „Für sprachliche Innovationen gibt es oft einen guten Grund, der sich gegen die Norm durchsetzt. Andererseits gibt es keine Ursache dafür, warum die Art zu sprechen vor hundert Jahren besser hat sein sollen als die von heute.“ Horst Simon teilt diese Auffassung: „Als Wissenschaftler muss man da emotionslos herangehen. Das ist die Sprachwirklichkeit von Millionen von Leuten da draußen, mit der wir uns beschäftigen, selbst wenn es so abstrakt klingt wie Genitivkonstruktionen.“

Weitere Informationen

Tagung „Germanic Genitives“

Zeit und Ort

  • 22. bis 24. Mai 2014
  • Freie Universität Berlin, Seminarzentrum in der „Silberlaube“, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin (U-Bhf. Thielplatz, U 3)
  • Der Eintritt ist frei

Im Internet

Programm

Weitere Informationen

Prof. Dr. Horst Simon, Telefon: 030 / 838-55478, Sekretariat: 030 / 838-54011, E-Mail: horst.simon@fu-berlin.de