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„Politisches Theater erlebt eine Renaissance“

Forschungsprojekt „The Aesthetics of Applied Theatre“ lädt am 31. Januar und 1. Februar zur Jahrestagung ein

22.01.2014

Eine Performance im Stadtpark Harare Gardens in Zimbabwe während des Harare Festival of the Arts (HIFA) im April 2009. Das Setting – Performance im Park, Zuschauer auf der Wiese – ist typisch für Angewandtes Theater in Afrika.

Eine Performance im Stadtpark Harare Gardens in Zimbabwe während des Harare Festival of the Arts (HIFA) im April 2009. Das Setting – Performance im Park, Zuschauer auf der Wiese – ist typisch für Angewandtes Theater in Afrika.
Bildquelle: Julius Heinicke

Wie kann Theater auf gesellschaftliche Entwicklungen einwirken? Um dieses Thema geht es bei der Jahrestagung des Forschungsprojektes „The Aesthetics of Applied Theatre“ („Die Ästhetik des angewandten Theaters"). Campus.leben sprach mit Projektleiter Professor Matthias Warstat vom Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität über Theater als Therapie, Dienstleistung und Sozialarbeit.

Herr Professor Warstat, die Jahrestagung hat das Thema „Politics of the Applied: Theater und Kunst als Intervention“. Was bedeutet es, wenn Theater als Intervention, also als Eingreifen oder Einwirken, verstanden wird?

Wir meinen damit Theater- und Kunstformen, die ausdrücklich darauf angelegt sind, auf politische Konflikte oder soziale Problemlagen einzuwirken. Politisches Theater erlebt derzeit wieder eine bemerkenswerte Renaissance, aber auch in der bildenden Kunst versuchen viele aktuelle Projekte, den Alltag der Menschen konkret zu verändern. Aus der Geschichte der Avantgarde im frühen 20. Jahrhundert ist dieser Anspruch vertraut, und doch besteht der Eindruck, dass künstlerisches Einwirken auf die Gesellschaft heute unter anderen Vorzeichen steht. Manche Theatermacher gehen so weit, sich als Sozialarbeiter oder Dienstleister zu verstehen, die ihrer Klientel kalkulierbare Effekte versprechen.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie angewandtes Theater interveniert?

Ein wichtiges Feld ist die Aufarbeitung von Kriegserfahrungen. So gab es im Anschluss an die Jugoslawien-Kriege der 1990er-Jahre eine Fülle von Theaterprojekten in Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien. Finanziert von der UNO und anderen internationalen Organisationen kamen Theaterpraktiker verschiedenster Herkunft in die Region und initiierten zum Beispiel Erzähltheater- und Improvisationsworkshops, in denen die Menschen vor Ort eigene Gewalterfahrungen reflektieren, aber auch in einen Dialog mit anderen Konfliktparteien treten sollten. Einer unserer beiden Hauptredner auf der Jahrestagung, Guglielmo Schininà von der International Organization of Migration, hat diese Projekte über Jahre hinweg mitgestaltet und kritisch begleitet.

Welchen Schwerpunkt setzen Sie auf der Tagung außerdem?

Chantal Mouffe von der University of Westminster ist eine der derzeit am meisten diskutierten politischen Theoretikerinnen. Das Politikverständnis der Politikwissenschaftlerin basiert eher auf einer Verstärkung von Antagonismen als auf Intervention im Sinne von Ausgleich und Moderation. Wir sind gespannt, wie sie die Potenziale und Grenzen von politischer Kunst heute einschätzt.

Welche Aspekte der Intervention stehen im Mittelpunkt der Tagung?

Mit den Sektionstiteln „Agency“, „Protection“ und „Transference“ möchten wir Probleme ins Zentrum rücken, die sich in künstlerischen Interventionen verschiedenster Art finden: Hinter dem schwer übersetzbaren Begriff „Agency“ verbirgt sich die Frage, wer in den einschlägigen Projekten eigentlich das Sagen hat – sind es die federführenden Künstler, die geldgebenden Institutionen, oder können sich wirklich die Menschen entfalten, für die die Projekte letztlich gemacht werden? Manche Projekte nehmen für sich in Anspruch, eine Art „Schutzraum“ zu eröffnen, in dem Gefühle artikuliert werden können. In dieser Idee liegt wohl tatsächlich eine Chance des Theaters, aber sie hat eine paternalistische Komponente, die wir mit dem Begriff „Protection“ einbeziehen möchten. „Transference“ heißt „Übertragung“ und ist ein Begriff aus der Psychoanalyse, der auch im Theater eine Rolle spielt, wenn eigene Probleme und Verletzungen auf dramatische Figuren und Bühnenhandlungen übertragen werden.

Wie hängen die Forschung des vom European Research Council geförderten Projektes „The Aesthetics of Applied Theatre" und das Thema der Jahrestagung zusammen?

Die ästhetische Form von Theaterpraktiken wie Gefängnistheater, Unternehmenstheater, Dramatherapie oder auch politisch engagierter Performancekunst, wie wir sie in verschiedenen Ländern erforschen, ist stark von der Intervention als Ausgangspunkt geprägt: Jemand kommt von außen in einen bestimmten sozialen Kontext und will dort Kunst machen mit ganz konkreten Zielen – eine denkbar schwierige Konstellation, die wir im Austausch mit anderen kunst- und sozialwissenschaftlichen Fächern beleuchten wollen.

Die Fragen stellte Bianca Schröder

Weitere Informationen

Zeit und Ort

  • 31. Januar, 13 Uhr bis 1. Februar 2014, 19.30 Uhr
  • Freie Universität Berlin, Hörsaal des Instituts für Theaterwissenschaft, Grunewaldstraße 35, 12165 Berlin
    Bus X83 Schmidt-Ott-Straße, S1 und U9 Rathaus Steglitz
  • Die Konferenz findet in deutscher und englischer Sprache statt. Deutsche Vorträge werden ins Englische übersetzt.

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