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„Die nordamerikanische mit der europäischen Tradition verbinden“

Gregory Jackson, Wirtschaftswissenschaftler an der Freien Universität, ist neuer Chefredakteur der renommierten Fachzeitschrift „Socio-Economic Review“

22.05.2012

Ein Amerikaner in Berlin: Gregory Jackson forscht und lehrt als Soziologe am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Ein Amerikaner in Berlin: Gregory Jackson forscht und lehrt als Soziologe am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ein Soziologe unter Wirtschaftswissenschaftlern: Gregory Jackson ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalpolitik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit Januar 2012 ist er Chefredakteur der renommierten wirtschaftssoziologischen Fachzeitschrift Socio-Economic Review. Campus.leben sprach mit dem Amerikaner über Forschung, die Unterschiede zwischen den Wissenschaftssystemen in den USA und Europa und seine neue Rolle als Chefredakteur.

Herr Professor Jackson, verstehen Soziologen die Wirtschaft besser als Ökonomen?

Die Soziologie, Politikwissenschaft und andere Fächer können einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis von Wirtschaft leisten. Das Besondere an der Soziologie ist ja, dass sie wirtschaftliches Handeln und dessen Einbettung in soziale Zusammenhänge untersucht und mit Fragen der Macht, Autorität, wertrationalen Entscheidungen und Ethik verbindet.

Wenn man sich die aktuelle Finanzkrise anschaut, sieht man, dass immer auch soziale und politische Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Wirtschaftliche Probleme haben gleichzeitig soziale Wurzeln und Auswirkungen. Die Zusammenarbeit von verschiedenen Disziplinen ist daher sinnvoll, um komplexe Probleme von Governance zu verstehen und sollte in Deutschland viel mehr gefördert werden.

Sie haben bisher an Universitäten in Großbritannien, Japan, den USA und Deutschland gelehrt. Welche Unterschiede gibt es in der Lehre und Forschung?

An deutschen Universitäten haben Professoren viele Verpflichtungen in Lehre und Verwaltung. Es bleibt eine große Herausforderung, die Strukturen zu modernisieren, ausreichend Ressourcen zu schaffen und damit effizienter zu wirtschaften, um international konkurrenzfähige Forschung zu betreiben. Eine Stärke der amerikanischen und britischen Universitäten ist die Forschung und deren Basis in der strukturierten Doktorandenausbildung. Dieser steht das Problem des sehr starken Anstiegs der Studiengebühren gegenüber. Die jetzige Generation ist dabei, sich durch Studienkredite zu verschulden, um den ersten Bildungsabschluss zu erlangen. Ich zahle zur Zeit noch meine Studienkredite ab, und selbst US-Präsident Obama hat bis vor sechs Jahren noch Kredite gehabt. Und viele Studenten werden diese heute noch viel größeren Darlehen nicht zurückzahlen können, was langfristig zu einer krisenhaften Entwicklung führen könnte.

Das ist in Deutschland weit weniger der Fall. Die Schulden für ein Studium halten sich in Grenzen. Die Universitäten handeln weiter in öffentlichem Interesse. Beim Blick auf die amerikanischen Kollegen, die mehr Zeit und finanzielle Unterstützung für ihre Forschung erfahren, muss man auch diese Schattenseiten mitbedenken. Inhaltlich stellen die BWL-Studierenden in Amerika und Deutschland heute sehr ähnliche Fragen zu Themen der Finanzkrise und sozialen Ungleichheit, zu Corporate Governance und der sozialen und ökologischen Verantwortung von Unternehmen. Ich forsche selbst auf diesen Gebieten und versuche, meine Forschung auch für die Lehre fruchtbar zu machen.

Seit Januar sind Sie Chefredakteur der "Socio-Economic Review", eine der führenden Fachzeitschriften auf dem Feld der Soziologie und Politikwissenschaft. Sie sind Nachfolger Wolfgang Streecks (Direktor, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung), einem Deutschen. Nun lehren Sie als Amerikaner an einer deutschen Universität. Ist das Zufall?

Die "Socio-Economic Review" (SER) ist die Fachzeitschrift der Society for the Advancement of Socio-Economics, und sie wird von Oxford University Press herausgegeben. SER verbindet die nordamerikanische mit der europäischen Tradition der Sozialwissenschaft. In der europäischen Tradition wird die historische Spezifität von Wirtschaftsphänomenen betont und in einen historisch-sozialen Zusammenhang gestellt. Auch die Problemorientierung ist in Europa viel stärker als in Nordamerika.

Die Stärken der Sozialwissenschaften an nordamerikanischen Universitäten liegen dagegen eher bei wissenschaftlichen Methoden und einem klaren Argumentationsstil, der Theorie und Empirie verbindet. Die Socio-Economic Review will diese beiden Ansätze miteinander verbinden. Dass ich als US-Amerikaner in Berlin diese Rolle ausfülle, ist gewiss nicht ganz zufällig.

In diesem Jahr feiert die Zeitschrift zehnten Geburtstag. Was erwartet die Leser?

Die Zeitschrift wird sich weiterhin durch starke Problemorientierung und interdisziplinäre Theorien sowie Schnittstellenthemen auszeichnen. Es gibt zum Beispiel viele spannende Entwicklungen im Bereich der Social Studies of Finance. Wir werden uns weiter mit den Prozessen auf dem Finanzsektor und den Auswirkungen der Finanz- auf die Gesamtwirtschaft beschäftigen. Im kommenden Jahr wird es eine Spezialausgabe zum Thema der institutionellen Vielfalt und dem Wandel in Asien geben. Neben Fachartikeln haben wir eine Rubrik, in der aktuelle Themen debattiert und Dialoge zwischen Disziplinen, sowie Wissenschaft und Praxis gefördert werden.

Die Fragen stellte Jan Hambura.