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Von Mythen und Marsbildern, von antiken Vierkämpfern und verspäteten Pandas

Die Lange Nacht der Wissenschaften an der Freien Universität konnte am vergangenen Sonnabend mehr als 20.000 Besuche verzeichnen

27.06.2017

Wie sehr Wissenschaft und Internationalität miteinander zusammenhängen – vor allem an der Freien Universität – zeigte sich, wenn auch diesmal auf ungewöhnliche Weise, bei der Langen Nacht der Wissenschaften (LNDW). Der verspätete Abflug einer Maschine aus dem chinesischen Chengdu hatte nämlich Auswirkungen auf die Eröffnungsfeier der Langen Nacht in Dahlem. Doch der Reihe nach. Denn als der Präsident der Freien Universität Professor Peter-André Alt die Feier im Max-Kade-Auditorium eröffnete, ging es erst einmal nicht um China, sondern um die in Teilen verbreitete und um sich greifende Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Alt betonte, dass Wissenschaft nicht dogmatisch sei, sondern offen: Widersprüche, die die Wissenschaft produziere, seien kein Beweis für ihre Überflüssigkeit, sondern Ausdruck ihrer selbst. „Die Wissenschaft muss eine eigene Haltung der Skepsis haben – auch sich selbst gegenüber“, sagte Alt.

Da Fake News und „alternative Fakten“ in den vergangenen Monaten ein nicht zu überhörendes Thema in den Medien und öffentlichen Diskussionen waren, griffen sie auch die Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut während der Langen Nacht auf. Beim „Faktencheck EU“ hinterfragten Politikstudierende populäre EU-Mythen. Zum Beispiel ein im Zuge der Griechenland-Krise in Deutschland besonders beliebtes Vorurteil, dass die Griechen viel weniger arbeiteten als die Deutschen. „Das ist falsch“, rechnete Studentin Lisa Fenner vor. Die Durchschnittsarbeitszeit in regulären Beschäftigungsverhältnissen habe 2015 in Griechenland auf das gesamte Jahr gerechnet 2041 Stunden betragen, in Deutschland hingegen nur 1371 Stunden. Oder das Landesseilbahngesetz. Die Behauptung, dass Mecklenburg-Vorpommern und Berlin auf Drängen der Europäischen Union Mitte der 2000er Jahre ein solches Gesetz verabschiedet hätten, obwohl es in beiden Ländern damals keine Seilbahnen gab, stimme tatsächlich, sagt Lisa Fenner. Die aktuellen Entwicklungen zeigten aber, dass die Gesetzesinitiative durchaus zukunftsorientiert war: Im Zuge der gerade laufenden Internationalen Gartenausstellung hat Berlin schließlich mittlerweile eine Seilbahn gebaut.

Das Kuhmodell wird in der veterinärmedizinischen Ausbildung eingesetzt, um Studierenden zu zeigen, wie beispielsweise ein Kaiserschnitt durchgeführt wird.

Das Kuhmodell wird in der veterinärmedizinischen Ausbildung eingesetzt, um Studierenden zu zeigen, wie beispielsweise ein Kaiserschnitt durchgeführt wird.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Computer ersetzen Tierversuche

Auch die Forscherinnen und Forscher vom Fachbereich Veterinärmedizin wollten mit Mythen aufräumen: Nämlich mit jenen, die besagen, dass Nutztierhaltung in Deutschland zwangsläufig Tierquälerei sei. Hierfür stellten sie Bilder von gesunden und kranken Tieren gegenüber und informierten über die verschiedenen Haltungsformen. Professorin Kerstin Müller, Leiterin der Klinik für Klauentiere in Düppel, arbeitet an einem Projekt zur Verbesserung der Tiergerechtigkeit, bei dem Rinderhaltungsbetriebe evaluiert werden. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen sollen allgemeine Empfehlungen abgeleitet werden können. „Es geht vor allem darum, Tiere bedarfsgerecht zu ernähren“, sagte Müller. Bei der Langen Nacht wurde auch der Einsatz von Tierversuchen in Forschung und Lehre thematisiert. Mithilfe von Computerprogrammen hätten in den vergangenen Jahren Tierversuche reduziert werden können, sagte ein Wissenschaftler des Fachbereichs.

Auch an der Katastrophenforschungsstelle, die am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie angesiedelt ist, ging es im weitesten Sinne um falsche Behauptungen. „Wo erhalte ich im Falle eines Stromausfalls wichtige Informationen“, lautete eine der Fragen. Von den Antwortmöglichkeiten bei der Polizei, bei der Feuerwehr oder beim zuständigen Stromanbieter war nur eine richtig: beim Stromanbieter. Durch Anrufe bei der Polizei und Feuerwehr halte man die Einsatzkräfte im schlimmsten Fall nur von ihrer Arbeit ab.

3D-Bilder vom Mars

Die Planetenforscherinnen und -forscher der Freien Universität luden zur Reise auf den Mars ein. Die in der Silberlaube gezeigten 3D-Filme basierten auf Bildern der Raumsonde Mars-Express, deren hochauflösende Stereokamera HRSC an der Freien Universität entwickelt worden ist. Aus den Bildern wurden dreidimensionale Landschaftsmodelle entwickelt, deren unterschiedliche Perspektiven in fünf Kurzfilmen gezeigt wurden. So waren neben anderen dreidimensionale Bilder des Mars-Vulkans Olympus Mons und des Becquerel-Kraters zu sehen.

Im sogenannten Theaterhof, einem Innenhof der Rost- und Silberlaube, hatte das Dahlem Humanities Center (DHC) ein großes Memory-Spiel zum Thema Digitalisierung aufgebaut. Allerdings nicht wie üblich mit identischen Bilder-Pärchen, sondern mit unterschiedlichen Fotos, die als Paar insofern zusammengehörten, als dass sie Elemente aus der Zeit vor der Erfindung des Internets mit Elementen aus der Zeit des Web 2.0 verknüpften. Die Utopie einer allen Menschen gemeinsamen Sprache wurde etwa durch das Paar eines Traktats zur Universalsprache aus dem 17. Jahrhundert auf der einen Seite und Emojis auf der anderen Seite dargestellt. Dass allerdings auch Emojis kulturell codiert sind, was den universellen Anspruch konterkariert, zeigen neueste Forschungsergebnisse, wie am DHC zu erfahren war. Auf großen Tafeln wurden die Memory-Paare aus digitaler und analoger Zeit zusätzlich erklärt.

Jahrmarkt der Biologie

Unter dem Motto „Pflanzen, Tiere, Sensationen“ hatte das Institut für Biologie in der Königin-Luise-Straße eingeladen. Dort erhielten Besucher Antworten auf Fragen wie „Gibt es wildlebende Guppys in Deutschland?“ oder „Was ist ein Reporter-Gen – und habe ich selbst eines?“. Neben dem bunten Jahrmarkttreiben im Foyer boten auch die Nebenräume Spannendes: Dort hausten beispielsweise die Achatschnecken, die Besucher selbst auf die Hand nehmen und deren Raspelzunge sie aus nächster Nähe bestaunen konnten.

„Das riecht nach Nagellackentferner“, bemerkte eine Besucherin ein paar Meter weiter, in einem im Foyer aufgebauten Labor. Sie extrahierte mithilfe von Aceton Blattfarbstoffe aus Spinatblättern, anschließend trug sie, angeleitet von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe für Pflanzenphysiologie, das Farbgemisch auf eine Platte aus Kieselgel auf. In einem Bad aus Lösungsmitteln wurden die einzelnen Farbstoffe voneinander getrennt. In einem weiteren Experiment brachten Wissenschaftler unter einer UV-Lampe den grünen Farbstoff Chlorophyll zum Leuchten.

Sportlich ging es während der Langen Nacht auf dem GeoCampus der Freien Universität in Lankwitz zu. 30 Fußballbegeisterte waren zum Welcome Soccer Cup 2017 gekommen, den der Hochschulsport der Freien Universität und das Welcome@FUBerlin-Programm organisiert hatten. Die gemischten Fünfer-Teams aus Studierenden und Flüchtlingen wurden vor Ort ausgelost. „Napoli“, „Milanesta“, „Alnjom“ – nachdem sich die Spieler und zwei Spielerinnen einander vorgestellt hatten, mussten sich die sechs Mannschaften noch einen Teamnamen ausdenken. Und dann ertönte auch schon der Anpfiff. Die Verständigung untereinander – ob auf Deutsch, Englisch oder Arabisch – lief problemlos, und nach den ersten Spielminuten waren dann auch die Spielregeln klar: etwa dass die Rückpassregel gilt, der erste Ballkontakt vor der Mittellinie stattfinden muss und der Torwart flexibel gewechselt werden darf. Die am Spielfeldrand wartenden Mannschaften fieberten und jubelten kräftig mit. Nach zwölf Minuten war das erste Spiel vorbei, das der „FC Berlin“ mit einem 1:0 für sich entscheiden konnte. Ins Finale schafften es „The Rock“ und „The Dudes“. Über die goldenen Pokale sowie Klettergutscheine konnten sich schließlich die „The Dudes“-Spieler freuen. Aber auch die anderen Teams gingen nicht leer aus, sie erhielten silberne oder bronzene Pokale oder Medaillen.

Für eine Nacht in die Antike

Die Feier, mit der die „Lange Nacht der der Wissenschaften“ am Nachmittag eröffnet worden war, stand unter dem Motto „Für eine Nacht in die Antike“. Im Mittelpunkt: ein antiker Vierkampf, bei dem ein Team aus Berliner Unipräsidenten und Wissenschaftlern gegen ein Oberstufenschüler-Team antrat. Nach einem kleinen Wissensquiz ging es um praktische Expertise: Jede Mannschaft musste eines ihrer Teammitglieder möglichst fachgerecht in eine Toga winden. Hier hatten, laut Applausmesser, die Schüler die Nase vorn: 99 Dezibel wurden dabei für das Team Schule gemessen, das vom Publikum mit begeistertem Klatschen, Johlen und Trampeln angefeuert wurde.

Nach der musikalischen Herausforderung, einem antiken Horn einen möglichst wohlklingenden Ton zu entlocken, standen sich die Spielerinnen und Spieler im finalen Tabu-Spiel gegenüber: Die Teams mussten jeweils einen Begriff aus den Altertumswissenschaften erraten, den einer ihrer Mitspieler umschrieb – ohne die drei angegebenen Tabu-Wörter zu benutzen: also Olymp, ohne Berg, Spiele, Götter zu nennen; oder Gladiator, ohne Kampf, Löwe, Arena zu erwähnen – um nur zwei Beispiele zu nennen. Da kamen auch sonst Wortgewaltige ins Stammeln, wenn es etwa darum ging, den Begriff Speer zu erklären: „Man schmeißt das Ding, wenn man in Tiernähe ist“. Nicht weniger kreativ waren die Bemühungen des Teams Wissenschaft, den Begriff Höhlenmalerei zu umschreiben: Der Hinweis eines Mitspielers auf die französische Provinz Périgord – in der sich die Höhle von Lascaux mit den berühmten Malereien befindet – führte nicht etwa zu dem gesuchten Begriff, sondern direkt in die französische Küche: „Trüffel“ rief ein Mitspieler, was das Publikum zu lautem Gelächter hinriss. Am Ende siegten die Schüler, die sich im Laufe der absolvierten Disziplinen einen sicheren Vorsprung erarbeitet hatten.

Beim Exzellenzcluster Topoi konnten Besucher selber ausprobieren, wie in der Antike Eisen hergestellt worden ist.

Beim Exzellenzcluster Topoi konnten Besucher selber ausprobieren, wie in der Antike Eisen hergestellt worden ist.
Bildquelle: Nina Diezemann

Kaum hatte Moderatorin Britta Elm vom RBB die Schüler stilecht mit Siegerkränzen geehrt, betrat der Regierende Bürgermeister Michael Müller samt Entourage den Saal. Eine gute halbe Stunde zuvor hatte er noch am Flughafen Schönefeld die heiß erwarteten Berliner Panda-Bären begrüßt. Weil der Frachtflieger mit Meng Meng und Jiao Qing aus dem chinesischen Chengdu an Bord mit 50 Minuten Verspätung gelandet war, war auch Michael Müller in Zeitnot gekommen. Schließlich konnte der Regierende aber berichten, dass die Tiere wohlauf seien. Er schlug den Bogen von der Bären-Landung zur Langen Nacht der Wissenschaften: „Die Pandas werden wissenschaftlich begleitet“, sagte Müller. Durch Forschung zu den seltenen Tieren habe in den vergangenen Jahren deren Zucht und Haltung verbessert werden können. International werde Berlin immer stärker als Wissenschaftsstandort wahrgenommen – worauf die Stadt stolz sein könne. Selbstzufriedenheit sei falsch, aber selbstbewusst dürfe man sein: „Die Entwicklung Berlins wird auch davon abhängen, welche Rolle Wissenschaft und Forschung spielen.“

Instagram Story zur Langen Nacht der Wissenschaften 2017

Quelle: Jonas Fischer

Die Eindrücke aus Dahlem von der Langen Nacht der Wissenschaften wecken diesbezüglich große Hoffnungen: Mehr als 20.000 Besuche an insgesamt 100 Einrichtungen der Freien Universität sind jedenfalls ein guter Beleg für den Wissenschaftsstandort Berlin.