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Mittagsforum statt Abendkolloquium

Eine Diskussion des Jungen Wissenschaftsforums Dahlem beschäftigte sich mit Kindern und Karriere in der Wissenschaft

13.02.2017

Zur Veranstaltung hatten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Kinder mitgebracht.

Zur Veranstaltung hatten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Kinder mitgebracht.
Bildquelle: Patricia Kalisch

„Verzichten Sie auf keinen Fall für die Uni auf die Kinder – und wegen der Kinder auf die Uni“, riet Anne Enderwitz auf der Veranstaltung des Jungen Wissenschaftsforum Dahlem „Mama/Papa cum laude“. Die assoziierte Postdoktorandin der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien war eine von vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die von ihren Erfahrungen als berufstätige Eltern erzählten. In einer sich anschließenden Podiumsdiskussion, die die ZEIT-Redakteurin Anna Lena Scholz moderierte, ging es um die Frage, wie die Institutionen Eltern auf akademischen Karrierewegen auch im Berufsalltag unterstützen können.

Stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern vor besonderen Problemen? Studien geben auf diese Fragen unterschiedliche Antworten: Je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen arbeiten an Universitäten und in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Laut Daten des Statistischen Bundes- und Landesamtes Bayern endet eine Forschungslaufbahn oftmals mit der Geburt eines Kindes. Auch umgekehrt gaben zwei Drittel der befragten Wissenschaftlerinnen an, für ihren Job die Familiengründung aufgeschoben oder sogar ganz auf diese verzichtet zu haben. Die Autoren einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, die im Januar veröffentlicht wurde, hingegen kommen zu dem Schluss, Elternschaft habe – sowohl bei Männern als auch bei Frauen – eine eher geringe Bedeutung für die Entscheidung, in der Wissenschaft zu bleiben.

Rainer Haag berichtete von seinem Alltag als Wissenschaftler und Familienvater. Männer und Frauen waren an diesem Thema gleichermaßen interessiert.

Rainer Haag berichtete von seinem Alltag als Wissenschaftler und Familienvater. Männer und Frauen waren an diesem Thema gleichermaßen interessiert.
Bildquelle: Patricia Kalisch

Christine Kurmeyer, Anna Holzscheiter und Roman Seidel bei der Podiumsdiskussion.

Christine Kurmeyer, Anna Holzscheiter und Roman Seidel bei der Podiumsdiskussion.
Bildquelle: Patricia Kalisch

Anna-Lena Scholz von der ZEIT (li.) moderierte das Gespräch. Caroline Krüger (re.) plädierte für Anerkennung von Erziehungszeiten.

Anna-Lena Scholz von der ZEIT (li.) moderierte das Gespräch. Caroline Krüger (re.) plädierte für Anerkennung von Erziehungszeiten.
Bildquelle: Patricia Kalisch

Zumindest bei dem wissenschaftlichen Nachwuchs an der Freien Universität scheint das Thema „Kinder und Karriere“ jedenfalls kein rein weibliches mehr zu sein – im Publikum saßen ebenso viele Männer wie Frauen. Und diesmal war es sogar ein besonderes junges Wissenschaftsforum, denn einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten ihre Kinder dabei.

Turbulente Zeiten

Die von den Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmern geschilderten Erfahrungen zeugten von durchaus turbulenten Zeiten – vom Pragmatismus, den Eltern an den Tag legen müssen, wenn sie Wissenschaft, inklusive Gremienarbeit, und bockige Kleinkinder irgendwie koordinieren wollen. Da wurde über die Schwierigkeiten des Pendelns gesprochen und über das berufliche Zurückstecken eines Partners. Vier unterschiedliche Arrangements, die aber letztlich alle von einem gelingenden Familienleben und Berufsalltag erzählten. Zumal Wissenschaft als Beruf durchaus einige familienfreundliche Aspekte mit sich bringt, wie zum Beispiel eine flexible Zeiteinteilung, wie es sie sonst nur in wenigen akademischen Berufen gibt. Zwar sind die oft üblichen Abendtermine für Eltern schwer zu realisieren oder mit erhöhtem Organisationsaufwand verbunden, darauf haben aber einige Einrichtungen bereits reagiert: „An der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule veranstalten wir anstelle eines Abend-Kolloquiums ein Mittagsforum“, sagte Anne Enderwitz, promovierte Literaturwissenschaftlerin, „da können alle.“

Gerade in der Qualifikationsphase – also während der Promotion oder Habilitation – gibt es viele junge Eltern. Nicht ohne Stolz berichtete Rainer Haag, Professor für Biochemie an der Freien Universität und selbst Vater von drei Kindern, dass in den vergangenen Jahren in seiner Arbeitsgruppe zahlreiche Babys zur Welt gekommen seien. Wo liegen also die Probleme, könnte man sich fragen?

Arbeit am Heldenepos

Insgesamt wird von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ein hoher Arbeitseinsatz verlangt, dem Eltern sich nicht immer gewachsen fühlen. Die langen Arbeitszeiten, mit denen sich viele Wissenschaftler schmückten, seien jedoch oftmals nicht nur pure Notwendigkeit, sondern eine „Arbeit an einem Heldenepos“, sagte Christine Kurmeyer, Zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité – Universitätsmedizin Berlin, demzufolge sich wissenschaftliche Exzellenz in erster Linie in einem Arbeitseinsatz rund um die Uhr zeige: Operationen bis drei Uhr morgens – das gehöre oftmals immer noch zum Selbstverständnis von Medizinerinnen und Medizinern, eine Familie sei dann aber nur möglich, wenn ein Lebenspartner, meist ist es die Lebenspartnerin, darauf verzichte, ebenso viel zu arbeiten.

Anne Enderwitz, assoziierte Postdoktorandin der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule.

Anne Enderwitz, assoziierte Postdoktorandin der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule.
Bildquelle: Patricia Kalisch

Die Kanzlerin der Freien Universität, Andrea Bör (re.), will sich für noch mehr Familienfreundlichkeit an der Hochschule einsetzten.

Die Kanzlerin der Freien Universität, Andrea Bör (re.), will sich für noch mehr Familienfreundlichkeit an der Hochschule einsetzten.
Bildquelle: Patricia Kalisch

Zudem werde große Mobilität erwartet, sagte Roman Seidel, promovierter Islamwissenschaftler an der Berlin Graduate School of Muslim Cultures and Societies der Freien Universität, der jahrelang zwischen seinem Arbeitsplatz in der Schweiz und seiner Familie in Berlin gependelt ist. Als größte Schwierigkeit wurde jedoch die Unsicherheit und mangelnde Planbarkeit des Karrierewegs in der Wissenschaft benannt. Was, wenn nach Doktorarbeit und Postdoktorandenzeit oder Habilitation doch keine Professur oder Dauerstelle in Aussicht ist? Sind kinderlose Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Kampf um die wenigen Stellen dann nicht doch im Vorteil, fragte ein Zuschauer besorgt. Werden Elternzeiten überhaupt anerkannt? Sind Publikationslisten von Eltern nicht zwangsläufig um ein paar Titel kürzer? Es sei sinnvoll, bei Bewerbungen zwischen akademischem und realem Alter zu unterscheiden, sagte Christine Kurmeyer. Auch Caroline Krüger, Referentin für Strategie und Chancengleichheit an der Helmholtz-Gemeinschaft, sprach sich für eine konsequente Anrechnung von Elternzeiten im Lebenslauf aus. Zudem zähle oftmals bei den Publikationen nicht mehr schiere Masse, bei Anträgen würde stattdessen nur nach einer Auswahl der wichtigsten Veröffentlichungen gefragt.

Kinder können einen Energieschub bedeuten

Elternschaft an sich sei bei einer Berufung kein Nachteil, sagte Andrea Bör, Kanzlerin der Freien Universität Berlin und selbst Mutter von vier Kindern. Es zähle die wissenschaftliche Qualifikation. Und die Fähigkeit zum Zeitmanagement, die Eltern oftmals mitbrächten, sei eher ein Pluspunkt. Kinder könnten einen „Energieschub“ bedeuten, sagte Andrea Bör. „Familie muss insgesamt wieder mehr in den Vordergrund rücken.“ Sie wolle sich dafür einsetzen, dass die Freie Universität noch familienfreundlicher werde. Schon jetzt wird die Hochschule durch das „audit familiengerechte hochschule“ zertifiziert und gehört zum Best-Practice-Club „Familie in der Hochschule“, einer von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) unterstützten Initiative.

Allerdings zielten viele der unterstützenden Maßnahmen auf Eltern mit Kleinkindern. Was aber, wenn aus netten Kleinkindern renitente Jugendliche werden? Wer kontrolliert Hausaufgaben und Computerspielkonsum, wenn es keine Nachmittagsbetreuung mehr gibt? Was, wenn ein Kind besondere Bedürfnisse hat oder chronisch krank wird? Anna Holzscheiter, Juniorprofessorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität und Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), erinnerte am Ende der Diskussion daran, dass es auch andere Lebensereignisse gebe, mit denen man trotz Karriere in der Wissenschaft umgehen müsse. Kranke oder pflegebedürftige Eltern etwa, Wechselfälle und Schicksalsschläge aller Art. Auch hierfür müsse in der akademischen Welt Raum sein.