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Von Kennedys Rede geprägt

Eva Quistorp, Jahrgang 1945, war während des Besuchs auf Klassenfahrt in Berlin.

08.07.2013

Eva Quistorp, Jahrgang 1945, war während des Kennedy-Besuchs auf Klassenfahrt in Berlin. Die Begegnung mit Kennedy in Dahlem hatte bei ihr eine Langzeitwirkung.

Eva Quistorp, Jahrgang 1945, war während des Kennedy-Besuchs auf Klassenfahrt in Berlin. Die Begegnung mit Kennedy in Dahlem hatte bei ihr eine Langzeitwirkung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Zum Glück gab es 1963 Klassenfahrten nach West-Berlin, selbst von der Kleinstadt Kleve am Niederrhein aus. In unserer Jugendherberge hörten wir Radio und wurden alle ganz aufgeregt, als wir erfuhren, dass der Präsident der USA in der Stadt ist. Mit einer Mitschülerin bin ich an den Rand der Ereignisse vor dem Rathaus Schöneberg geraten, doch ich hatte damals noch einen gewissen Respekt vor solchen Menschenmassen, und eine Mitschülerin meinte, wir könnten doch an die Freie Universität fahren, an der Kennedy am Nachmittag eine Rede halten sollte.

Wie es der Zufall wollte, stoppte vor dem Eingang des Henry-Ford-Baus, vor dem die Rede stattfinden sollte, Kennedys schicke Limousine genau in dem Moment, in dem wir dort standen. Ich war ganz gebannt, als ich sah, welch schöner, junger, eleganter Mann da flott ausstieg, so etwas kannte ich aus der deutschen Politik nicht. Vor Aufregung hielt ich mir die Hände vor den Mund, wie auf einem Foto der Begegnung zu sehen ist. Unvorstellbar für heute war, dass wir keine Sicherheitsleute sahen und dass keine dicken Fernsehkameras den Blick und den Zugang versperrten.

Kennedy kam ganz nah an uns heran und lächelte mich an, doch ich traute mich nicht, meine Hand auszustrecken, denn ich war als Pfarrerstochter aus einer NS-Widerstandsfamilie dagegen erzogen, die Mächtigen und die Stars zu bewundern. Ein wenig schüchtern war ich damals sicherlich auch. Doch da ich aus nächster Nähe angelächelt worden war, konnte ich Kennedys Rede danach nur wie in Trance folgen: An jenem schönen Sommertag wirkte alles so leicht und weltoffen; es war, als beginne ein neues Zeitalter nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg, der damals erst 18 Jahre zurücklag.

Die Begegnung mit Kennedy hatte bei mir eine Langzeitwirkung, ebenso wie die Nachricht von seiner Ermordung wenige Monate später: Die Schreckensnachricht, die ich durch mein altes Braun-Radio hörte, wirkte, als gehe es um die Existenz. Es schienen wieder dunkle Mächte in der Geschichte am Werk zu sein, die einen solchen Hoffnungsträger ermorden lassen konnten. Es war ein schwerer Verlust, der mich ebenso traf wie die Ermordung des Menschenrechtsaktivisten Martin Luther King, wie die Ermordung von Robert Kennedy und die des Studenten Benno Ohnesorg und wie das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke und der Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Die Ereignisse regten mich später dazu an, mich für eine gerechte und demokratische Gesellschaft zu engagieren – in Europa und weltweit. Ganz im Sinne von Kennedys Rede habe ich also wie viele andere versucht, der Gesellschaft, der Demokratisierung und der Gerechtigkeit zu dienen. Ich traf dabei auf Coretta Scott King, US-amerikanische Bürgerrechtlerin und Ehefrau von Martin Luther King, auf den ehemaligen Aktivisten gegen Rassentrennung und späteren Präsidenten Südafrikas Nelson Mandela und auf den amerikanischen Präsidenten Barack Obama.“


Zur Person:

Eva Quistorp, 67, studierte von 1965 bis 1972 Evangelische Theologie, Germanistik und Politologie an der Freien Universität Berlin. In den Jahren 1979/1980 gehörte sie neben Petra Kelly und Joseph Beuys zu den Gründern der Grünen. Von 1986 bis 1988 war sie Mitglied des Bundesvorstands der Partei, von 1989 bis 1994 saß sie für die Grünen im Europäischen Parlament. Eva Quistorp engagierte sich zudem in Umweltschutz-Bürgerinitiativen und war eine der treibenden Kräfte in der Friedensbewegung. Sie setzt sich für die Rechte von Frauen weltweit ein, engagiert sich in der Gesellschaft für bedrohte Völker und war eine der Begründer der Heinrich-Böll-Stiftung.