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Rede von Jürgen Baumert anläßlich der Immatrikulationsfeier im Sommersemester 2002, FU Berlin

Prof. Dr. Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, PISA

Über die Voraussetzung der Erziehung - der Hochschullehrer

Rede anläßlich der Immatrikulationsfeier an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2002 zur Begrüßung der neuimmatrikulierten Studierenden am 14. April 2002

Liebe Studierende, vor allen Dingen, liebe Neuimmatrikulierte, Herr Präsident, Herr Dekan, Herr Senator Böger, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ehemalige und liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, dass Veranstaltungen dieser Art, die an wichtigen Statuspassagen junger Menschen stehen, außerordentlich wichtig sind und deshalb ist es eine ganz große Ehre für mich, dass ich heute zu Ihnen, liebe Neuimmatrikulierte, sprechen darf.

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich nicht für die Freie Universität Berlin entschieden. Die Entscheidung ist eine wunderbare Entscheidung. Dennoch machen Sie mit mir das Experiment: Stellen Sie sich vor, Sie beginnen in Kalifornien, an der University of Los Angelos, an der UCLA, dann würde Sie folgendes erwarten: (Folie). Sie haben sich für die Freie Universität entschieden, hier erwartet Sie folgendes: (Folie). Wie sich die Bilder gleichen. Die Bilder sind nicht nur ähnlich, weil sie beide in Berlin aufgenommen worden sind, auf der Freien Universität, sondern sie sind auch tatsächlich deshalb ähnlich, weil es wirklich weltübergreifende Ähnlichkeiten von großen Universitätsstätten und von wichtigen Campusen gibt. Wo Sie auch studieren, Sie werden Ähnlichkeiten sehen, und Berlin macht keine Ausnahme, es reiht sich in den großen Rang der Universitäten und der bekannten Universitäten ein. Dennoch wird sich das Bild ändern. Sobald Sie die hier abgebildete Silberlaube betreten, werden Sie den Eindruck erhalten, eine Universität, die über Jahre hinweg unterfinanziert ist, und Studentengenerationen vor Ihnen haben das ihre dazugetan, dass das Erscheinungsbild nicht so ist, wie man es vielleicht in einer amerikanischen Universität gewöhnt ist, aber auch dieses ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass trotz der finanziellen Restriktionen - und manche mögen vielleicht sagen, vielleicht gerade der Restriktionen wegen - die Freie Universität einen geradezu aufregenden Modernisierungsprozess durchläuft, welcher mit verblüffendem Erfolg bisher bewältigt worden ist. Sie müssen nur auf verschiedene Fachbereiche oder Fächer schauen, nicht auf alle, aber doch auf eine ganze Serie von Fächern, und Sie werden finden, dass diese Fachbereiche, diese Departments, überhaupt keinen Vergleich etwa mit der UCLA scheuen müssen, sie kämpfen in der Spitzenforschung im Wettbewerb an vorderster Stelle mit. Das heißt, Sie haben wirklich eine gute Entscheidung getroffen, hier Ihr Studium zu beginnen. Sie werden es sehen, vor allen Dingen dann, wenn Sie die richtigen Fächer gewählt haben. Davon hängt auch noch einiges ab.

Die Frage, die ich mir gestellt habe: Wie kann eigentlich eine Generation neuer Studentinnen und Studenten diesen Modernisierungprozess mittragen ­ und vielleicht nicht nur mittragen, sondern auch aktiv unterstützen. Und meine Antwort, wie sollte es anders sein, die Antwort kann nur so von einem Erziehungswissenschaftler kommen, sie heißt nicht allein, aber auch durch die Erziehung der Hochschullehrer, mit denen Sie zusammenarbeiten werden. Welche Voraussetzungen sind dafür aber zu erfüllen? Das sind im wesentlichen zwei: Sie müssen zunächst etwas über sich selbst und ihre neue Rolle als Student wissen. Dazu will ich nur weniges sagen. Das lernen Sie auch sehr schnell.

Das zweite: Sie müssen über Stärken und Schwächen Ihrer Hochschullehrer unterrichtet sein. Das ist, was die Forschung betrifft, wahrscheinlich schwieriger. Deswegen will ich Ihnen etwas helfen, was die Lehre betrifft; ich glaube, das werden Sie sehr schnell heraushaben, durch das Gespräch mit Ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen, wo es sich lohnt, hinzugehen, und wo man es eher meidet, auch das gibt es.

Vielleicht haben Sie erwartet, dass ich etwas über PISA sage, meine "deformation professionelle" ist nicht so weit gediehen, dass ich sozusagen dieser Versuchung nachgebe. Ich will standhaft sein, dies nicht zu tun. Aber dennoch gilt eine Grundannahme von PISA auch für das Studium: Eine der zentralen Schlüsselqualifikationen für erfolgreiches Studieren ist Lesekompetenz. Und das heißt schnelles, ökonomisches und verständiges Lesen. Das wird Ihnen am Anfang schwer fallen, vor allen Dingen dann, wenn die Texte englisch sind. Aber Sie müssen die erste Hürde nehmen, dann fällt es Ihnen von selbst zu, und Sie machen Gebrauch von dieser Kompetenz wie ein wirklicher Experte. Die Frage ist: Wie steht es eigentlich mit der Lesekompetenz der Neuanfänger? Und da will ich Ihnen aus unseren eigenen Forschungen etwas berichten: Wir haben eine Längsschnittstudie durchgeführt, die wir zurzeit gerade wiederholen mit Abiturienten, und die Forschungsfrage war: Wie bewältigen Abiturienten mit ihrer mitgebrachten Qualifikation den Übergang von der Schule in die berufliche Erstausbildung und in das Studium? Und eine Kompetenzdimension, die wir auch erfasst haben, war die Dimension, die eine Basisfähigkeit für Ihr Studium darstellt, nämlich in vertretbarer Zeit ein kurzes Referat aufgrund von zwei gelesenen Texten herzustellen und diese Ergebnisse auch in einer verständlichen Form anderen Kommilitonen mitzuteilen. Hier finden Sie die Instruktion der Testaufgabe, die Abiturienten bekommen haben. Bei den Texten, die vorgelegt worden sind, handelt es sich um zwei Texte der Gentechnik. Das eine war eher ein biologischer Text auf dem Niveau von Weltwissen, es ging um die Elektrophorese von DANN, und der zweite Text behandelte die Gentechnik unter einer philosophisch- ethischen Perspektive. Die Aufgabe war, diese Texte zu lesen, die wichtigsten Gedanken zusammenzufassen, sie in Beziehung zu setzen und ein kurzes Referat zu erstellen, das nicht länger als fünf Minuten ist, zu diesem Referat eine einzige Folie zu benutzen, eine zweite Folie zu entwerfen, und außerdem die wichtigsten Punkte zusammenzustellen, die sie im Anschluss an ihr Referat gern mit ihrem Zuhörern diskutieren wollen. Eine Standardaufgabe, die Sie tagtäglich in Ihrer nächsten Zeit zu bewältigen haben. Wie gut wurde diese Aufgabe bewältigt? Wir vergleichen Oberstufenschüler an gymnasialen Oberstufen, an Gesamtschulen und Gymnasien. Lieber Herr Senator, es ist nicht Berlin, in Berlin sind die Ergebnisse selbstverständlich viel besser, sie stammen aus einem anderen Bundesland, und Sie sehen hier die ersten Resultate: (Folie).

Von den Schülern an gymnasialen Oberstufen, also an Gymnasien in Langform, waren 30% nicht in der Lage, überhaupt einen Text - weder Stichworte noch einen Text - in der Grundfassung abzuliefern, d. h. diese 30% werden erhebliche Schwierigkeiten beim Studienbeginn haben. Sei werden viel Zeit investieren für das erste Referat, unverhältnismäßig viel Zeit, und sie müssen, glaube ich, etwas tun, um diese Lücke auszubessern.

Eine zweite Gruppe von fast 30% hat Stichworte abgeliefert. Das ist noch kein Referat. Und 39% - und das ist eine ganz erfreuliche Zahl an traditionellen Gymnasiasten - hat einen ausführlichen Text abgeliefert, hat eine Folie abgeliefert, also die Aufgabe so erledigt, wie man es sich eigentlich wünscht. Die werden es relativ leicht haben. Und Sie sehen hier, es gibt Unterschiede zwischen den Oberstufen an verschiedenen Gymnasialtypen. Sie sehen auch, dass allein die Tatsache, dass man einen fertigen Text abliefert, auch mit der Qualität zu tun hat. Nicht nur die Personen, die tatsächlich die Aufgabe bewältigt haben, haben auch mehr, deutlich mehr, Informationen, die zentraler Art waren, den Texten entnommen als diejenigen, die nur Stichworte abgeliefert haben. D. h., die Fähigkeit, in begrenzter Zeit ein kleines Referat herzustellen, hängt vom Verständnis und vom Lesen ab, sozusagen nicht nur von der Routine, sondern wer durchkommt, wer die Aufgabe erfüllen kann, hat die Texte auch besser verstanden.

Ich glaube, hier müssen Sie mit sich zu Rate gehen, und wenn Sie Schwierigkeiten haben, verschenken Sie keinen Tag, mit der Aufbesserung dieser Kompetenz zu beginnen; es zahlt sich spätestens im zweiten oder dritten Semester aus. Sie gewinnen die Freiheitsgrade, so dass Sie dann die Gelegenheiten, die ich Ihnen auf den ersten beiden Abbildungen gezeigt habe, mit viel größerer Gelassenheit nutzen können, nämlich wenn die Sonne scheint, sich auch mal auf den Rasen zu legen.

Der zweite Typ von Informationen: Ich glaube, Sie müssen etwas über die Hochschullehrer wissen, über ihre Stärken, über ihre Schwächen, und ich glaube, Sie müssen auch wissen, dass der Beruf des Hochschullehrers ein ausgesprochen undankbarer Beruf ist, der selten honoriert wird. Warum?

Lassen Sie mich noch eines vorweg schieben: Vielleicht im Anschluss an die Kompetenzfeststellung. Wenn Sie mit Ihrem Studium beginnen, werden Sie häufig mit einer Klage konfrontiert werden, nämlich, dass die Studienvoraussetzungen der nachwachsenden Generationen schlechter geworden seien. Sie werden dieses vor allen Dingen in den Fächern hören ­ wie uns eine Studie des Hochschulinformationssystems zeigt, in denen diese Klage nachweisbar falsch ist. Vor allen Dingen in der Humanmedizin und der Betriebswirtschaft, wo in signifikanter Weise die Studentenschaft sich in den letzten zehn Jahren von den kognitiven Eingangsvoraussetzungen deutlich verbessert hat. Mein Rat: Nehmen Sie es nicht ernst, hören Sie darüber weg. Seneca hat in seinen Briefen alles Wichtige zu diesem Problem gesagt, und er hat sich abschließend dazu geäußert.

Jetzt aber meine zweite Information über die Hochschullehrer, die Information über die Stärken und Schwächen und die Undankbarkeit dieses Berufes. In der akademischen Welt, insbesondere in Deutschland, ist immer noch die Vorstellung weit verbreitet, die Fächer, die Fachbereiche - und natürlich auch die Professoren - erfüllen ihre Aufgabe gleichermaßen in Forschung und Lehre, und sie erfüllen sie gleich gut. Das bröckelt langsam, zum Glück. Also, die kontrafaktische Überzeugung ist nicht mehr so weit verbreitet, wie sie es vielleicht noch vor wenigen Jahren war. Wie sieht die Realität aus?

Ich beginne mit meinem eigenen Fach, das ist unverdächtig und kränkt keinen anderen. Auf dieser Abbildung sehen Sie die wissenschaftlichen Publikationen hauptberuflicher Professoren in der Erziehungswissenschaft in sechs Jahren. Und Sie sehen als Erstes, dass etwa 25% der Professoren sich überhaupt nicht wissenschaftlich äußern in sechs Jahren. Das ändert sich auch in zehn Jahren nicht. Die haben den Griffel aus der Hand gelegt, dieses gibt es. Und Sie sehen, dass die Verteilung extrem schief ist, es gibt wenige, die haben dann eine Publikation, zwei Publikationen, und die wirklichen Trendsetter, die regelmäßig und intensiv publizieren, Sie sehen, man kann sie fast in absoluten Zahlen bei 1000 Professoren abzählen. Die Frage ist, ist dies eigentlich ein Bild einer Erziehungswissenschaft, die hoffentlich bald eine Berufswissenschaft wird, und in Berlin, gerade an der Freien Universität, ist sie auf dem besten Wege dazu, dies zu werden. Oder findet man das auch in anderen Fächern? Wir haben die Sachlage in so unterschiedlichen Disziplinen wie Erziehungswissenschaft und Physik verglichen. Hier finden Sie ein sogenanntes Lorenz-Diagramm. Wenn Sie Betriebswirtschaft studieren, werden Sie über kurz oder lang damit konfrontiert werden. Man nimmt diese Darstellungsform, um etwa Ungleichheiten in der Einkommensverteilung zu charakterisieren. Sie können hier etwa ablesen, ich habe etwas nachgeholfen, 90% der Professoren sind für 40% der Publikationen verantwortlich, d. h. 20% der Professoren sind für 60% der Publikationen verantwortlich. Oder 15% sind für 50% verantwortlich, d. h. allein die Produktivität ist extrem ungleich verteilt, und in den Erziehungswissenschaften und der Physik fast in identischer Weise. Es gibt nur Unterschiede am untersten Rand der Verteilung, also bei den wenig Produktiven, da sehen Sie, dass es in der Physik deutlich seltener vorkommt, dass einer überhaupt nichts mehr produziert. Das ist in der Erziehungswissenschaft noch etwas häufiger anzutreffen.

Dieses Muster beschränkt sich nicht auf diese beiden Fächer, Sie haben hier die Wirtschaftswissenschaftler, die Physiker - die Politologen und die Soziologen verstecken sich hinter den Physikern ­ die Verteilung überlagert sich perfekt, so dass man sie hier nicht erkennen kann. Sie sehen, das gleiche Muster. Dieses ist übrigens kein deutsches Spezifikum. Sie finden es genau so in den USA, Sie finden es weltweit. Das ist offenbar ein generelles, universelles Verteilungsgesetz der wissenschaftlichen Produktivität. Sie müssen es wissen, dass Ihre Hochschullehrer unterschiedlich produktiv sind, unterschiedlich engagiert in der Forschung sind.

Wie sieht es aber mit dem Einkommen von Hochschullehrern aus? Ich meine jetzt nicht das ökonomische Einkommen als monatliches Salär, das ist in Deutschland immer noch ausreichend, wenn es auch nicht mehr konkurrenzfähig ist mir den USA etwa. Sondern ich meine das wissenschaftliche Einkommen. Wie misst man wissenschaftliches Einkommen? Die wichtigste Maßzahl für wissenschaftliches Einkommen ist die Reputation in der Disziplin, d. h. der 'Impact', die Einwirkung, die man auf den Fortgang der Forschung ausübt. Kann man dieses messen?

Es gibt einige Indikatoren, einer der häufig verwendeten ist die Häufigkeit von Zitationen für das Lebenswerk oder Teile des Lebenswerkes. Ich beginne wieder mit der Erziehungswissenschaft, weil das unverdächtig ist. Sie sehen hier eine Verteilung, die noch weitaus schiefer ist als die Produktivitätsverteilung, d. h. nicht jeder Hochschullehrer, der produktiv ist, wird auch dafür belohnt. Sie sehen hier bei 1000 Professoren: 400 Professoren erhalten innerhalb von zwei Jahren in 13 zentralen Fachzeitschriften nicht ein einziges Zitat für ihr Lebenswerk, d. h. sie bleiben unbeachtet. Sie schreiben, vielleicht schreiben sie, vielleicht schreiben sie auch nicht, und sie werden nicht honoriert. Und Sie sehen dann, dass das Einkommen extrem schief verteilt ist. Es gibt sehr wenige, die viel verdienen, die häufig zitiert werden, und einige, die wenig zitiert werden, und sehr viele, die überhaupt nicht wahrgenommen werden. Das ist eigentlich das Bedrückende am Beruf des Hochschullehrers, man ist nicht sicher, ob die eigene Arbeit wirklich Erfolg hat.

Wenn wir jetzt beide Verteilungen einmal zusammenlegen, nämlich die Produktivität und die Rezeption, und dabei für die Rezeption sehr niedrige Maßstäbe anlegen - also ich finde, wer mehr als ein Zitat für sein Lebenswerk bekommt, ist schon hoch respektiert, ist schon sehr erfolgreich. Und dann schauen Sie sich die folgenden beiden Abbildungen an. Das sind jetzt die Ökonomen in Deutschland, und die Soziologen, und hier können Sie sehr schön das wissenschaftliche Schicksal von Hochschullehrern ablesen. Schauen Sie zunächst auf die Ökonomie. Sie sehen, 51% der Professoren dort publizieren wenig und sie werden nicht beachtet. Dieses ist das modale Schicksal des Hochschullehrers. Nicht beneidenswert.

Auf der Diagonalen finden Sie: 16% publizieren regelmäßig, intensiv, und sie werden wahrgenommen. Das sind die Trendsetter. Das sind die Personen, die die Agenda bestimmen, 16% der jeweiligen Disziplin. Sie finden dann 12%, ein hoch interessantes Phänomen, die relativ wenig publizieren, aber wenn sie publizieren, extrem gut wahrgenommen werden. Das sind häufig Lehrbuchautoren oder Autoren von Methodenbüchern, die man immer wieder zur Hand nimmt, aber nicht ausschließlich. Es gibt auch den Perfektionisten, der sich selten zu Wert meldet, dann aber durchschlagend. Und Sie finden dann 22%, das sind Personen, die Vielschreiber in den Universitäten, die keinen Erfolg haben; auch sie gibt es.

Wenn Sie das Bild in der Soziologie vergleichen, dann sieht man, wie verblüffend ähnlich das ist. Und wir können auch in die Naturwissenschaften gehen, sie finden die gleichen Zusammenhänge. Auch hier sieht man wieder eine universelle Verteilung. Was bedeutet das eigentlich für Sie? Sie werden sich fragen, hat das irgendetwas mit der Qualität der Lehre zu tun? Und die Antwort ist: Das weiß man in Deutschland nicht. Es gibt nämlich keine sorgfältigen Evaluationen der Lehrqualität, und insbesondere keine Evaluationen, die es erlauben, die Lehrqualität auch mit der Forschungsqualität in Verbindung zu setzen. Aber es gibt Untersuchungen aus den USA, wo das gang und gäbe ist. Dort ist der Befund: Es gibt einen positiven Zusammenhang, aber er ist schwach. Die Korrelation für die in der Statistik, die es heute noch bekommen haben, in der beschreibenden Statistik, liegt bei Punkt 30. Es ist ein schwacher Zusammenhang, aber er ist systematischer Natur. D. h. es gibt den exzellenten Forscher, aber es gibt auch den wirklich exzellenten Lehrer, der vielleicht gerade deshalb als Lehrer exzellent ist, weil er sich nicht mehr mit aller Kraft auf die Forschung wirft. Sie finden also beides.

Und hier ist mein erster Rat: Finden Sie relativ schnell heraus, wo die exzellenten Forscher bei Ihnen sitzen! Und versuchen Sie, dort auch zu hören. Aber finden Sie auch heraus, und das werden Sie untereinander sehr schnell bewerkstelligen, wo die exzellenten Lehrer sind und besuchen Sie deren Veranstaltungen. Sie haben beides an der Freien Universität. Also, das ist, glaube ich, Ihre Aufgabe, die Sie in den ersten beiden Semestern erledigen müssen. Aber Sie werden in eine Situation kommen, wo Sie nicht wählen können, wo Sie keinen von beiden bekommen, wo Sie die Zwischengruppe finden, die vielleicht nicht exzellente Forscher sind, und vielleicht nur mittelmäßige Lehrer ­ wenn es die gibt an der Freien Universität ­ ich hoffe nicht!

Welche Aufgabe haben Sie? Wie gehen Sie dann mit dieser Situation um? Und da setzt Ihre Erziehungsaufgabe ein: Die Qualität einer Veranstaltung ist immer so gut wie die Qualität der Studenten. Kein Hochschullehrer will schlechter sein als seine besten Studenten, d. h. Ihre Vorbereitungen, Ihre Strukturierung des Seminars, entscheidet mit darüber, wie sehr sich der Hochschullehrer anstrengt, wie gut er ist. Und es gibt gewaltige Unterschiede. Ein Seminar läuft nicht gut, und das andere Seminar, man hat Glück, man hat eine Studentenschaft, wo auch die Chemie stimmt, und es ist ein wunderbares intellektuell-aufregendes Seminar. Aber Sie haben dieses mit in der Hand, d. h. lesen Sie, bereiten Sie sich vor, und Sie können die Qualität der Veranstaltung mitbestimmen. Vermeiden Sie das Absitzen von Veranstaltungen! Dies ist Vergeudung von Lebenszeit. Weniger ist mehr, belegen Sie lieber weniger, dafür das Richtige, verschieben Sie lieber eine Veranstaltung, wenn Sie nicht die richtige Person haben. Gehen Sie mit Ihrer eigenen Lebenszeit ökonomisch und rational um. Es ist ein kostbares Gut, und setzen Sie es auch verhalten ein.

Der dritte Rat ist: Strukturieren Sie die Veranstaltung selbst. Nehmen Sie es in die Hand, sagen Sie, was Sie wollen, fragen Sie, und informieren Sie sich über Ihre Hochschullehrer. Das Internet gibt Ihnen alle Informationen über die Forschungsleistung, über die Lehrleistung. Dort steht das Curriculum Vitae Ihrer Professoren. Nutzen Sie das Internet, machen Sie sich sachkundig, zu wem Sie gehen. Und bestehen Sie darauf, dass es ein organisiertes Feedback in den Lehrveranstaltungen gibt, zwischendurch und auf jeden Fall am Ende. Wir haben noch keine Routine der Lehrevaluationen, die in den USA oder in anderen angelsächsischen Ländern selbstverständlich sind, und die auch einigermaßen emotionsfrei und rational über die Bühne gehen. Ich bin ziemlich überzeugt, wenn Sie für Ihre Lehrveranstaltung zahlen müssten, hätten wir diese Evaluation schon längst.

Wenn trotzdem etwas schief geht, dass Sie Ihre Hausarbeiten nicht zurückbekommen, dass Sie auf die Korrektur Ihrer Klausur mehr als drei Monate werten müssen, was ich hoffe, dass es an der Freien Universität nie stattfindet, dann gehen Sie zum Studiendekan oder zum Dekan und reden Sie mit ihm. Ich bin sicher, dieses wird abgestellt, und zwar in kürzester Zeit.

Das sind nur ganz wenige Ratschläge, nur teilweise empirisch fundiert, aber ich glaube, wenn Sie sich diesen Habitus aneignen, dann können Sie Ihren Beitrag zur Modernisierung Ihrer Alma Mater beitragen. Und dazu wünsche ich Ihnen viel Glück, das braucht man, nicht nur gutes Wissen, und natürlich viel Erfolg.

Vielen Dank.

 

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  • Freie Universität Berlin, Jürgen Baumert, Immatrikulationsfeier