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Tierische Persönlichkeiten

Menschen sind verschieden, Tiere auch: Forscher der Freien Universität Berlin untersuchen, welche individuellen Eigenschaften die Persönlichkeit bei Affen ausmachen – und was das über uns Menschen verrät

19.02.2011

Von Julia Kimmerle

Bebe, Gorgo, und Viringika sind Gorillas. Und Fernsehstars: Wenn die großen Menschenaffen aus dem Leipziger Zoo in der Doku-Serie „Elefant, Tiger & Co.“ vor laufenden Kameras raufen, spielen oder sich um ihren Nachwuchs kümmern, schalten mehr als zwei Millionen Zuschauer ein. Nur die wenigsten wissen, dass die drei auch in der Persönlichkeitsforschung eine große Rolle spielen. Psychologin Jana Uher ist Expertin für vergleichende differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der Freien Universität Berlin. Schon seit Langem beschäftigt sich die Verhaltensforscherin mit der Individualität von Menschenaffen.

Spannende Inspiration für ihre Forschungen fand sie bei den Gorillas im Leipziger Zoo: Im Rahmen ihrer Forschung am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig stellte Jana Uher den Gorillas Aufgaben, bei denen die Tiere sich zwischen zwei unterschiedlich großen Futterportionen entscheiden konnten.

Zur Auswahl standen eine oder vier Rosinen. Menschenaffen greifen instinktiv nach der größeren Portion. Bei dem Experiment bekamen sie jedoch immer die andere Portion – und nicht die, für die sie sich entschieden hatten. „Man könnte meinen, dass es einem Gorilla von hundert Kilo egal ist, ob er eine Rosine mehr oder weniger bekommt“, erzählt Jana Uher. Doch für die Tiere war die Aufgabe sehr frustrierend. „Es war unglaublich interessant zu beobachten, wie unterschiedlich die Tiere mit dieser Frustration umgingen“, erinnert sich die Forscherin. Manche schlugen gegen die Scheiben und hatten regelrechte Wutausbrüche. Andere waren ganz still, taten einen tiefen Seufzer und sackten in sich zusammen. Wieder andere überspielten ihren Frust, indem sie sich einzelne Härchen auszupften, und damit herumspielten – ganz so, als ob nichts dabei wäre. Dieses Schlüsselerlebnis brachte Jana Uher dazu, sich genauer mit der Individualität der engsten Verwandten des Menschen auseinanderzusetzen. „Kein Affe reagierte wie der andere. Da wurde mir klar, dass ich in meiner zukünftigen Arbeit die Individualität von Primaten erforschen möchte.“

Bisher beschäftigten sich Wissenschaftler nämlich eher damit, wie sich der „Durchschnittsaffe“ verhält. Dabei sind gerade die Eigenheiten ein spannendes Feld für die Forschung, findet Jana Uher. „Viele vergleichende Studien zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Arten oft nur gering sind. Doch die individuellen Unterschiede sind bisweilen sehr groß.“ So gab es Schimpansen, die die ihnen gestellten Aufgaben gar nicht lösen konnten, andere dagegen waren sehr geschickt. Manche Bonobos schnitten sehr gut ab, wieder andere versagten kläglich. Diese messbaren Unterschiede lassen sich nicht mit der Artzugehörigkeit erklären. Sie haben etwas mit ihrer Individualität zu tun, mit ihrer Persönlichkeit.

Fürsorglichkeit, Angst, Impulsivität, Neugier, Beharrlichkeit, Dominanz – viele Eigenschaften, die für die Beschreibung menschlicher Persönlichkeitsunterschiede normal sind, gelten auch für die nächsten Verwandten des Menschen im Tierreich, die nichtmenschlichen Primaten. Ein Novum in der Forschung, wie Jana Uher betont. Denn lange Zeit war es in der Wissenschaft verpönt, Tieren eine Persönlichkeit zuzuschreiben. Eine Erfahrung, die auch die britische Schimpansenforscherin Jane Goodall in den sechziger Jahren machen musste. Für ihre Arbeiten, in denen sie die Tiere mit Namen benannte und deren Persönlichkeit und Rollen in den Gruppen sie genau beschrieb, musste Goodall viel Kritik von anderen Wissenschaftlern einstecken. Heute untersuchen Forscher erneut die tierische Individualität, die Goodall damals schon beschrieben hat. „Jetzt können wir mit differenzierten verhaltensbasierten Methoden zeigen, dass es diese Unterschiede auch tatsächlich gibt“, sagt Uher.

Dabei handelt es sich keineswegs um bloße Übertragung menschlicher Eigenschaften auf das Tier. Denn Menschen neigen dazu, anderen Wesen und selbst Gegenständen wie dem eigenen Auto Verhaltenseigenschaften zuzuschreiben. Im Fall von Primaten sei der Hang zur Vermenschlichung besonders groß, sagt Jana Uher: „Gerade bei Affen erlebe ich als Verhaltensforscherin sehr oft, dass Menschen unglaublich viel in das Verhalten hineininterpretieren und dabei teils völlig falsche Schlüsse ziehen.“ So ist das breite Grinsen bei Schimpansen weniger ein Ausdruck von Freude oder Spaß, sondern von schierer Angst.

Um die individuellen Eigenschaften von Tieren möglichst genau zu unterscheiden und systematisch zu erfassen, entwickelte Uher neue Forschungsansätze. In Leipzig erarbeitete sie 14 verschiedene Verhaltenstests, um die Persönlichkeit der Menschenaffen im Leipziger Zoo möglichst genau zu erfassen. Für die Untersuchung von Neugierde beispielsweise bekamen die Affen bunt gefärbtes Futter in neuen Formen. „Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich: Manche Affen untersuchten das bunte Futter ausgiebig, andere spielten damit, und wieder andere ignorierten es einfach“, sagt Jana Uher. Den Grad der „Verfressenheit“ untersuchte sie mit Futter unterschiedlicher Qualität. Hier machte sich die Forscherin die arttypischen Vorlieben der Tiere zunutze: Karotten und Sellerie sind bei den wenigsten Affen auf Platz eins der Speisekarte. Die meisten mögen es süß – Rosinen, Trauben oder Bananen werden klar bevorzugt. Je nach Verfressenheit fielen die Reaktionen auf die dargebotene Gemüseauswahl unterschiedlich aus: Manche Affen fraßen schlichtweg alles, was sie bekamen. Andere warfen der Forscherin die Möhren beleidigt zurück, und wieder andere machten sich gar nicht erst die Mühe, diese aus einer Box zu nehmen.

Die Ergebnisse dieser Tests könnten auch manche Ergebnisse der bisherigen Intelligenzforschung bei Primaten in ein neues Licht rücken. Denn die meisten dieser Versuche funktionieren nur mit einer gewissen Motivation und Neugierde. Für manche Aufgaben bauen die Forscher zum Beispiel sogenannte „Problemlöseboxen“, aus denen die Tiere bei richtig gelösten Aufgaben Futter bekommen. Wenn einzelne Tiere sehr ängstlich sind, ist für die Forscher unklar, ob sie die Aufgabe nicht verstehen oder ob sie Angst vor dem Versuchsaufbau haben. „Wenn wir mehr über solche Unterschiede wissen und diese systematisch messen, kann das helfen, Intelligenztests richtig zu interpretieren“, erläutert Jana Uher. Spannend sind die Erkenntnisse auch für den Menschen. So zeigt sich immer deutlicher, dass Individualität nicht nur den Menschen auszeichnet, sondern vermutlich alle Primaten und viele weitere Tierarten. Außerdem erhoffen sich die Forscher Antworten bei einer Frage, die fast philosophisch anmutet: Was macht uns als Menschen einzigartig? Denn bisher steht fest: Was die Persönlichkeit angeht, ist der Mensch in Vielem dem Affen ähnlicher, als ihm vielleicht lieb ist.