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Weiblich, alt, arm

Politikwissenschaftler untersuchen, wie sich die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Frauen auf deren Alterssicherung auswirken

18.12.2010

Altersarmut ist weiblich in Deutschland – und das nicht allein im grammatikalischen Sinne. Im vergangenen Jahr erhielten Frauen im Westen des Landes nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) durchschnittlich 449 Euro aus eigener Erwerbstätigkeit aus der gesetzlichen Rentenkasse, Männer dagegen fast das Doppelte: 865 Euro. Allerdings sagen diese Durchschnittszahlen immer weniger über die tatsächlichen Erwerbsverläufe und Versorgungslagen von Frauen im Alter aus. Denn jede Elternzeit und jedes Teilzeitjahr vergrößert die Versorgungslücke bei rückläufigem Rentenniveau und sinkender Hinterbliebenenrente – und das trotz der Anerkennung von Erziehungszeiten.

Gleichzeitig gestaltet sich die Prognose der zukünftigen Bezüge der Rentnerinnen für die Statistiker schwierig, denn die Zeiten, in denen Frauen heirateten und die Erwerbsarbeit an den Nagel hängten, sobald sie Kinder bekamen, sind vorbei: „Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen unterscheiden sich stärker, als dies bislang in den generalisierenden Studien zur Altersarmut zum Ausdruck kommt“, sagt Barbara Riedmüller, Professorin für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Heute finden sich alleinerziehende Teilzeit-Selbstständige ebenso wie ledige Karrierefrauen mit zwei Kindern; geschiedene Mütter, die auf 400-EuroJob-Basis arbeiten, oder Kinderlose, die mitunter auch arbeitslos sind.

Hinzu kommt, dass sich die moderne Frau heute weniger berechenbar verhält als früher: „Die Biografie-Forschung zeigt, dass sich die Lebensläufe der Frauen in den 1980er Jahren von denen der vorherigen Jahrzehnte eklatant unterscheiden. Nicht-eheliche Partnerschaften und Geburten sowie ein höheres Scheidungsrisiko prägen seit den 1980er Jahren die Familienphase“, sagt Barbara Riedmüller. Was dies konkret für die Altersvorsorge von Frauen im mittleren Lebensalter bedeutet, also für jene, die heute zwischen 40 und 45 Jahre alt sind, untersucht die Politikwissenschaftlerin derzeit im Rahmen einer Studie, die vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung gefördert wird.

Für die Rentenversicherung hat die Untersuchungsgruppe der Frauen mittleren Alters eine besondere Relevanz, denn hier finden sich die geburtenstarken Jahrgänge. Aufgrund ihrer hohen Zahl werden diese Frauen die spätere soziale Lage der Rentner stark prägen und daher maßgeblich für die Rentenpolitik sein. „Diese Frauen haben noch etwa 25 Jahre, bis sie in den Ruhestand gehen. In diesem Zeitraum können sie ihre Altersvorsorge durch entsprechendes Erwerbs- oder Sparverhalten anpassen, und es besteht noch politischer Handlungsspielraum, um Frauen mit besonders von Armut bedrohten Biografien zu schützen“, erklärt Barbara Riedmüller. Gleichzeitig seien wichtige biografische Weichen bereits gestellt. Die Frauen hätten sich für Kinder entschieden oder eben nicht, und ihre berufliche Ausbildung oder ein Studium bereits abgeschlossen. Besonders erkenntnisreich wird im Rahmen der Studie die Gegenüberstellung der Daten dieser Frauen mit jenen der Frauen der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1951 sein, also mit den heute über 60-Jährigen, die für eher traditionelle Lebens- und Erwerbsverläufe während der Zeit des Wirtschaftswunders stehen. Die empirische Basis für ihre Untersuchung bezieht Barbara Riedmüller aus den Daten des sogenannten Sozioökonomischen Panels, einer repräsentativen Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland, durchgeführt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Diese Zahlen werden ergänzt durch Informationen des Forschungsdatenzentrums der Rentenversicherung sowie der sogenannten Save-Studie zum Sparverhalten der Deutschen des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demografischer Wandel.

Wie werden sich die veränderten Lebensentwürfe aber nun tatsächlich auf die Versorgung der Frauen im Alter auswirken? Und was müssen einerseits die Frauen, andererseits aber auch die Politik tun, um zu vermeiden, dass Rentnerinnen in Deutschland künftig nicht in die Armut abrutschen? Noch steht Barbara Riedmüller mit ihren Mitarbeiterinnen am Anfang der Studie. Zurzeit werden erste typische Biografien definiert, um Unterscheidungsmerkmale wie Erwerbstätigkeit, Kinderzahl und Bildungsabschlüsse für die Gesamtuntersuchung anwendbar zu machen.

Doch schon jetzt ist klar, dass auch die Politik in die Pflicht genommen werden muss. „Um das Rentensystem langfristig zu sichern, wird die Vollerwerbstätigkeit von Frauen zur Normalität werden müssen, oder die Teilzeitarbeit von Frauen muss stärker als jetzt für die Rente berücksichtigt werden“, sagt Barbara Riedmüller. Vor allem aber müssten die institutionellen Rahmenbedingungen, etwa bei der Kinderbetreuung, wesentlich verbessert werden. „Zudem müssen sich grundsätzlich die Rollen- und Familienbilder in den Köpfen der Politiker ändern“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Und schließlich seien auch die Männer an der Reihe, Zugeständnisse zu machen. Dass dies möglich ist, zeigt ein Blick ins Ausland: In den Niederlanden ist Teilzeitarbeit unter männlichen Arbeitnehmern stärker akzeptiert als hierzulande. Im Jahr 2005 lag der Anteil der Männer an allen Teilzeitbeschäftigten dort bei 24 Prozent – in Deutschland dagegen nur bei neun Prozent.

„Durch den demografischen Wandel sinkt die Zahl der Erwerbstätigen und damit jener, die in die Rentenkassen einzahlen. Dies wird nicht allein durch Zuwanderung aufzufangen sein“, sagt Barbara Riedmüller. Die Versorgung durch den Ehemann oder eine spätere Witwenrente reiche längst nicht mehr zur Sicherung des Lebensstandards aus – eher schon die eigene Berufstätigkeit: „Pionierinnen sind gefragt, die den Frauen vorleben, dass ein Ganztagsjob eine erstrebenswerte Sache ist, die finanzielle Unabhängigkeit bis ins Alter garantiert.“