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Bibliothek 2.0

Wie die Universitätsbibliothek der Freien Universität neue Webtechnologien nutzt: schnellere Suche, bessere Treffer

19.11.2010

Als sich die beiden Doktoranden auf dem Campus der Stanford University in Kalifornien trafen, war nicht abzusehen, dass sie binnen 15 Jahren die Welt verändern würden. Die Geschichte von Sergey Brin und Larry Page ist Hunderte Mal erzählt worden: Zwei Mathe-Genies und Computer-Nerds, von denen einer schon als Schüler Tintenstrahldrucker aus Legosteinen konstruierte, treffen sich an der Uni und diskutieren leidenschaftlich über Algorithmen – mathematische Formeln, die Handlungen exakt definieren. Sie entwickeln eine Suchmaschine. Nein, sie entwickeln die Suchmaschine: Heute, 15 Jahre später, gehört Google zu den wertvollsten Marken der Welt. Mindestens zwei von drei deutschen Internetnutzern tippen in das Suchfeld, was sie suchen, wonach sie sich sehnen und was sie wissen wollen – das Wetter von morgen, die Fotos von der Ex-Freundin, die Studie zum Waldsterben.

Auch wenn Datenschützer vor der Neugier des Konzerns warnen, ist die Suchmaschine für viele noch immer der Eingang ins Internet. Sie wühlt sich durch unvorstellbare Datenmengen, mit der jeder Mensch überfordert wäre. Denn Brin und Page haben früh verstanden: Für den Nutzer muss es so einfach wie möglich sein. Nur das Suchwort eingeben, Enter! Keine komplizierten Einstellungen, kein langes Überlegen, tippen – und prompt erscheint die Trefferliste. Alles Komplizierte erledigt der Algorithmus im Hintergrund.

Diese Philosophie hat sich auch das Team der Universitätsbibliothek der Freien Universität (UB) zueigen gemacht. Zum Wintersemester stellt es eine neue deutsch- und englischsprachige Internetplattform vor, mit der sich Bibliotheksbestände und Datenbanken ähnlich effektiv durchsuchen lassen wie mit Google – die aber bessere, nämlich nur wissenschaftlich maßgebliche Ergebnisse liefern soll. „Wir wollen so schnell und intelligent sein wie Google“, sagt Mario Kowalak, stellvertretender Leiter der UB-Benutzungsabteilung, „aber unsere hochwertigen Quellen erlauben es uns, relevantere Ergebnisse zu liefern, vor allem für den akademischen Betrieb.“ Allerdings wird es keinen radikalen Neustart geben, die Website der UB wird weiterhin aus mehr als einem Suchfeld bestehen. Denn Kowalak und seine Kollegen wollen die Studenten und Wissenschaftler zunächst an das neue Angebot gewöhnen. Er spricht von einem „Soft-Launch“.

Die bisherigen Angebote auf der Internetseite der UB - der Online-Katalog und die Digitale Bibliothek – bleiben vorerst bestehen. Es kommt aber ein neues, einfacheres und leistungsstärkeres Suchwerkzeug hinzu: das Bibliotheksportal Primo der Firma Ex Libris.

Einer der wichtigsten Unterschiede zur bisherigen Suche: Primo durchsucht gleichzeitig eine Vielzahl von Quellen und sortiert die Ergebnisliste nach Relevanz, ganz ähnlich wie Google. Das Interessanteste und Wichtigste steht weit oben – vielmehr das, was der Primo-Algorithmus dafür hält. Und das Portal zeigt sofort an, ob die Quelle verfügbar ist und wo – ob als Printexemplar in einer der Bibliotheken der Freien Universität oder als Volltext in einer elektronischen Zeitschrift. So lässt sich die gesuchte Studie im Idealfall direkt herunterladen oder nach einem wichtigen Zitat durchsuchen. „Wenn wir die Nutzungsrechte haben, bekommt der Nutzer sofort den Volltext“, sagt Kowalak. „Discover and deliver“, nennt er das Prinzip, entdecken und liefern. Mithilfe sogenannter „Facetten“ lassen sich die Ergebnisse weiter eingrenzen; etwa, indem man sich nur alle Texte eines Autors anzeigen lässt oder nur Aufsätze aus begutachteten wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder nur Texte, die online erschienen sind. Primo ist so angelegt, dass es ganz verschiedene Dateiformate zutage fördert, also nicht nur Texte, sondern auch Videos, Audiobeiträge und Bilder. UB-Fachmann Mario Kowalak erzählt, die British Library lasse mit Primo sogar ihre Briefmarkensammlungen durchsuchen.

Und auch die Datenmenge wächst. Das Portal durchsucht nicht nur die bisherigen Bestände der Freien Universität, es kommen rund 200 Millionen Datensätze hinzu – etwa Aufsätze aus Nationallizenzen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem digitalen Zeitschriftenarchiv „JSTOR“. „Damit die Nutzer und wir nicht an der Datenmenge ersticken, brauchten wir neue Technik, die intuitiv funktioniert“, sagt Kowalak.

Doch kaum etwas ist so komplex wie Einfachheit. Damit die neue Recherche wirklich intuitiv funktioniert, hat das UB-Team lange geplant, den „SoftLaunch“ vorbereitet und das System immer wieder getestet. Schon 2008 haben sie mit einer Vorversion von Primo begonnen. Die UB arbeitet eng zusammen mit den Bibliotheken der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin sowie der Universitäten Mannheim, Paderborn und Düsseldorf. Der Server steht beim Kooperativen Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg.

Die verschiedenen Datentöpfe und Bestände unter einer Oberfläche durchsuchbar zu machen als „one stop shop“, das erforderte weit mehr als nur eine schnelle Internetverbindung. Die Daten mussten einen sogenannten „Normalisierungsprozess“ durchlaufen, also einigermaßen vereinheitlicht werden.

Jetzt macht sich die UB die Web 2.0-Technologie zunutze. So lassen sich mithilfe des neuen Portals auch Dokumente mit eigenen Schlagwörtern versehen, also „taggen“. Und der Nutzer kann sich sogenannte RSS-Feeds einrichten, sodass er automatisch über alle neuen Quellen zu einem Thema informiert wird, die Primo findet. „Wir planen auch Recommender-Systeme“, sagt Kowalak. Das heißt: Nutzer können einander Quellen empfehlen. Oder Primo schlägt selbst etwas vor, etwa: „Leser, die diesen Aufsatz aufgerufen haben, interessierten sich auch für…“ Dieser Service orientiert sich ebenfalls an erfolgreichen Internetfirmen – allerdings weniger an Google als vielmehr an Amazon und Facebook. Dazu wird etwa die Häufigkeit der Zugriffe auf akademische Publikationen bei Hunderten von wissenschaftlichen Institutionen ausgewertet und „gerankt“. Auch hier wird die „Googlezon-Technologie“ von der UB aufgenommen, aber zugleich den wissenschaftlichen Anforderungen angepasst. Es ist der Startschuss für die Universitätsbibliothek 2.0.