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Den Blick weiten - in Richtung Afrika

Krupp-Stiftung richtet deutschlandweit erste Professur für die Kunst Afrikas an der Freien Universität Berlin ein

19.04.2010

Die „Visuelle Kultur“ Afrikas wird einer der Schwerpunkte des neuen Lehrangebots am Kunsthistorischen Institut sein.

Die „Visuelle Kultur“ Afrikas wird einer der Schwerpunkte des neuen Lehrangebots am Kunsthistorischen Institut sein.
Bildquelle: P.K. Apagya/No place like home 1996

Zeitgenössische Kunst: Die Performance Butcher Boys (Kapstadt 2007) fand viel Beachtung.

Zeitgenössische Kunst: Die Performance Butcher Boys (Kapstadt 2007) fand viel Beachtung.
Bildquelle: Tobias Wendl

Tobias Wendl will mit der neu eingerichteten Professur Akzente setzen.

Tobias Wendl will mit der neu eingerichteten Professur Akzente setzen.
Bildquelle: privat

Afrikanische Kunst war in der deutschen Wissenschaftslandschaft bisher ein Randgebiet der Ethnologie. Eine eigenständige Lehre und Forschung innerhalb der Kunstgeschichte existierte nicht. Das wird sich nun ändern: Als erste Hochschule in Deutschland hat die Freie Universität eine Professur eingerichtet, die sich speziell mit der Kunst Afrikas, ihrer Geschichte und Wirkung befasst. Initiiert hat dies die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die die Mittel bereitstellt und damit eine entscheidende Öffnung und Erweiterung der universitären Kunstgeschichte ermöglicht.

Was ist Afrikanische Kunst? Die Antwort hierauf kann ganz unterschiedlich ausfallen: Europäer denken dabei häufig zunächst an alte Masken und Skulpturen des Kontinents. In Afrika dagegen wird die sogenannte „alte Kunst“ meist in ihrem rituellen Kontext gesehen und gar nicht unbedingt als Kunst in einem „westlichen“ Verständnis betrachtet. Diese unterschiedlichen Blickwinkel werden künftig am Kunsthistorischen Institut (KHI) der Freien Universität in ihrer historischen Tiefe beleuchtet. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der traditionellen künstlerischen Produktion. Ins Licht werden aber auch Gegenwart und Zukunft der afrikanischen Kunst gerückt. Neben den historischen Artefakten erhalten zeitgenössische Fotografien, Kinofilme und Videoinstallationen aus Afrika Einzug ins KHI. Dafür sorgt Tobias Wendl, der die Stiftungsprofessur am 1. März angetreten hat. Mit der Berufung des Ethnologen und bisherigen Direktors des Iwalewa-Hauses, dem Afrika-Zentrum an der Universität Bayreuth, hat sich die Freie Universität für einen Kandidaten mit Innovationskraft entschieden.

„Er wird die große Aufgabe ausgesprochen erfrischend angehen“, ist Professor Klaus Krüger, Direktor des KHI, überzeugt. Wendl gilt als ausgewiesener Kenner sowohl der alten afrikanischen Kunst als auch der aktuellen afrikanischen Kunstszene. Seinen Fokus richtet er auf die moderne Kunst des Kontinents, auch über die universitäre Forschungsarbeit hinaus. Die sogenannte „Visuelle Kultur“ Afrikas – Fotografie, Film, aber auch Werbung, Grafik oder Comics – will er praxisbezogen lehren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Die Praxis lag Wendl schon immer näher als die reine Theorie: Anfangs hatte er sich nicht auf eine klassische wissenschaftliche Laufbahn konzentriert. Nach dem Abitur arbeitete Wendl zunächst als Fotograf im Architekturbereich. Dann lockte ihn doch die Universität: In München studierte er Ethnologie, Moderne Literatur, Psychologie und Linguistik. Sein Professor und späterer Doktorvater weckte in ihm das Interesse für Afrika.

Thematisch hat sich Wendl, der auch als Filmemacher tätig ist, unter anderem mit der schwarzen Diaspora, mit Okkultismus, Horrorfilmen, Reklamekunst oder auch Studiofotografie beschäftigt. Einen Namen hat er sich nicht nur durch wissenschaftliche Publikationen gemacht, sondern auch durch zahlreiche Kunst- und Forschungsprojekte sowie Ausstellungen in Paris, Frankfurt a.M., Köln und Berlin. „Ästhetische Beiprodukte der Forschung“ nennt er dies. Seine Arbeit fand internationale Beachtung und wurde mit Preisen ausgezeichnet. Momentan konzentriert er sich auf die südafrikanische Medienkunst- und Performance-Szene – für ihn die spannendste des gesamten Kontinents.

Es sei höchste Zeit, den Blick in Richtung Afrika zu weiten, sagt Wendl. Für eine globalisierte Kunstwelt mit Biennalen und internationalen Kulturfestivals seien Fachleute der traditionellen eurozentristischen Kunstgeschichte alleine nicht mehr ausreichend qualifiziert: „Es wäre unsinnig, die Manifestationen künstlerischer Kreativität in anderen Regionen weiter zu ignorieren“, sagt der Wissenschaftler, „die Nachfrage ist da – dafür muss man Menschen mit entsprechender interkultureller und komparatistischer Kompetenz ausbilden.“

Mit dieser Zielsetzung passt er gut ans KHI: Hier visiert man den Ausbau des traditionellen Fachspektrums hin zu einer Kunstgeschichte im globalen Kontext an. „Die Stiftungsprofessur wird dazu beitragen, dem für die Zukunft Europas so bedeutenden Kontinent erweiterte Aufmerksamkeit zu schenken“, sagt die amtierende Präsidentin der Freien Universität, Professorin Ursula Lehmkuhl. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanziert die fünfjährige Aufbauzeit des Lehrstuhls mit 1,65 Millionen Euro. Dazu zählt zusätzlich eine Juniorprofessur, die seit dem 1. April mit Kerstin Pinther besetzt ist. Neben den Abteilungen für Europa und Nordamerika, Ost- und Südasien sowie einem Schwerpunkt in spanischer und lateinamerikanischer Kunstgeschichte sei nun auch Afrika am KHI vertreten: „Dieses breite Spektrum finden Sie an keinem anderen Kunsthistorischen Institut Deutschlands“, sagt Krüger.

Nun gilt es, Aufbauarbeit zu leisten – schließlich gibt es im deutschsprachigen Raum keine strukturierte Lehre als Vorbild. „Die Kunst Afrikas ist bisher immer im Ethnologischen Museum gelandet, das ist einfach falsch“, meint Wendl. In Frankreich und Großbritannien sei die Situation ähnlich – anders als in den USA: Dort gab es bereits in den 1950er Jahren den ersten Lehrstuhl dieser Art.

Warum aber wurden Kunstströmungen des sogenannten „dunklen Kontinents“ in Europa bisher kaum beachtet? Ein Grund könnte die bis heute verhaltene Auseinandersetzung der Europäer mit ihrer eigenen Geschichte der Kolonisierung Afrikas sein. Außerdem herrsche in den Köpfen nach wie vor eine Art Hierarchie der Gesellschaften: „Schriftkulturen werden noch immer höher bewertet als Kulturen, die durch sogenannte orale Traditionen geprägt sind.“ Diese Wahrnehmung übertrage sich auch auf die Artefakte. Afrikanischer Kunst werde somit nicht der gleiche Stellenwert eingeräumt wie europäischer. Mit der neuen Lehre sollen hierzu laut Wendl neue Debatten angestoßen werden: „Starre eurozentristische Periodisierungen und Kategorisierungen von Kunstgegenständen sind auf Afrika nicht übertragbar. Die ,alte‘ afrikanische Kunst, die im Wesentlichen das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert umfasst, ist zudem immer vor dem Hintergrund der Kolonialzeit zu sehen.“

An der Freien Universität möchte Wendl internationale Kooperationen schließen, vor allem Kontakte mit afrikanischen Wissenschaftlern pflegen und über den Dahlemer Campus hinaus die hiesigen Afrika-Aktivitäten bündeln: „Berlin hat historisch gesehen schon immer eine wichtige Afrika-Forschung gehabt – ein Traditionsbestand, an den man anknüpfen kann.“ Er sucht den Austausch mit Gleichgesinnten und Andersdenkenden und wünscht sich fruchtbare Verbindungen mit Künstlern, Kuratoren und außeruniversitären Institutionen. Sein Ziel: „Einen internationalen Austausch mit Afrika in Gang setzen, den es in der deutschen Kunstgeschichte bisher noch nicht gibt.“