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"Er hat uns Toleranz gelehrt"

Ein Student Fraenkels erinnert sich

19.04.2010

Wolfram Rohde-Liebenau

Wolfram Rohde-Liebenau
Bildquelle: privat

Er war einer der ersten Studenten Ernst Fraenkels nach dessen Rückkehr aus dem Exil. Als 17-Jähriger in den Rechtswissenschaften immatrikuliert, gehörte er bei Studienbeginn im Wintersemester 1949/50 den ersten Studentenjahrgängen der Freien Universität an. Der gebürtige Berliner Wolfram Rohde-Liebenau wurde auf Wunsch seines Vaters Jurist. Viel lieber wäre er aber eigentlich seinem später berühmt gewordenen Professor in die Politikwissenschaften und ans Otto-Suhr-Institut gefolgt.

Herr Rohde-Liebenau, Sie hatten das erste Seminar belegt, dass Ernst Fraenkel nach seiner Rückkehr aus den USA im Sommer 1951 an der Freien Universität hielt. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Das Seminarthema war die amerikanische Verfassung, und es nahmen etwa zehn Studenten daran teil. Die Universität befand sich noch immer im Aufbau. Ich kannte Professor Fraenkel damals noch nicht, und als „Newcomer“ war er auch kein Magnet für die Studierenden.

…trotzdem sind Sie in sein Seminar gegangen…

Ja, das war eine ganz bewusste Entscheidung, da ich für ein Jahr in den USA studieren wollte. Ich hatte ein Stipendium vom amerikanischen State Department für die Harvard University und war natürlich froh und dankbar, dass ich jemanden an der juristischen Fakultät fand, der sich mit amerikanischem Recht beschäftigte.

Wurden Sie durch Ernst Fraenkel gut auf Ihr Jahr in Harvard vorbereitet?

Ja. Und über das reine Fachwissen hinaus habe ich ein Verständnis erhalten für das schwierige Dasein eines deutschen Juristen, der dem Nazi-Regime entkam, als völliger Fremdling in die Vereinigten Staaten wechselte und dort weder Kontakte noch eine Anwaltszulassung hatte.

Im Seminar wurde also mehr als der bloße Unterrichtsstoff vermittelt?

Es war ein für unsere damaligen Studienbedingungen ganz ungewöhnlich offenes und unkompliziertes Verhältnis zwischen Dozent und Studenten. Damals waren die universitären Veranstaltungen weitestgehend geprägt von Frontalunterricht, die Inhalte wurden uns in sehr strenger Form nähergebracht. Fraenkel hat neben den ernsthaften Studien im Seminar durchaus auch mal von sich selbst und seinen Lebensstationen erzählt. Diese Schilderungen haben mich sehr beeindruckt. Im Jahre 1951 waren die deutschen Studenten ganz sicher noch nicht vertraut mit dem, was die Emigration für diese vielen wertvollen Menschen, die Deutschland verlassen mussten, bedeutet hatte.

Wie ist Ihnen die Person Fraenkel in Erinnerung geblieben?

Als ein unendlich wohlwollender Mensch, der sich nach seinen sicher schwierigen Jahren der Emigration glücklich fühlte, in Deutschland mit der jungen Generation in Verbindung zu stehen. Er bezog sich in den Seminarstunden auch auf die Unterdrückung durch die Nazis und versuchte den Studenten – sechs Jahre nach Kriegsende – nahezubringen, was diese Diktatur in Deutschland und in ganz Europa angerichtet hatte. Die Gastfreundschaft in seinem Hause in späteren Studienjahren war sprichwörtlich.

Sie haben Professor Fraenkel also auch in persönlicherem Rahmen kennengelernt?

Ja. Seine Seminarstudenten hat er mindestens einmal im Semester eingeladen. Im Sommer 1951 war das noch nicht möglich, da er sich so kurz nach seiner Rückkehr noch nicht in Berlin eingerichtet hatte. Später haben er und seine Frau in ihrem Dahlemer Haus in der Garystraße etwas praktiziert, was in Amerika ganz üblich ist, nämlich, dass die Professoren ihre Studenten zu sich einladen. Er war den Menschen herzlich zugetan.

Was können uns Leben und Werk von Ernst Fraenkel heute noch lehren?

Toleranz gegenüber den Menschen, die aus Not und Unterdrückung in ihrer Heimat als Flüchtlinge zu uns kommen und hier ihre religiöse Identität nicht verlieren wollen. Und zwar Toleranz nicht nur im Sinne des Duldens, sondern im Anerkennen des Anders-Seins unserer Brüder und Schwestern in anderen Teilen der Welt und auch bei uns.

Die Fragen stellte Nicole Körkel