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„Wie viel Liebe da hineingeflossen ist“

Gasthörer der Freien Universität bestaunen auf einer Studienreise das vielfältige Jugendstil-Erbe in Belgiens Hauptstadt

12.10.2009

Kunst verbindet: Die Gasthörergruppe im Brüsseler Hôtel Hannon mit der Kunsthistorikerin Gisela Moeller (ganz rechts).

Kunst verbindet: Die Gasthörergruppe im Brüsseler Hôtel Hannon mit der Kunsthistorikerin Gisela Moeller (ganz rechts).
Bildquelle: Sabine Steputat

Von Felicitas Wlodyga

Es wird schon Abend, als die Reisegruppe den Horta-Pavillon im Brüsseler Jubelpark erreicht. Doch das stört hier niemanden. 15 Augenpaare trotzen der einbrechenden Dunkelheit und konzentrieren sich auf das sichtlich vernachlässigte Bauwerk in der grünen Lunge der Stadt. Am Morgen des Vortages hat die Reisegruppe um 6.50 Uhr mit einer Lufthansa-Maschine Berlin verlassen. Mit an Bord: Gisela Moeller, Privatdozentin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin und Expertin für Jugendstil.

Vier Tage wollen sie sich auf einer kunsthistorischen Studienreise gemeinsam und parallel zur 5. Biennale Art Nouveau auf die Spuren des Jugendstils in Brüssel begeben. Der Pavillon von Victor Horta war im Programm gar nicht vorgesehen. Doch auch nach einer tagfüllenden Besichtigungstour wollen alle noch das Erstlingswerk des großen Übervaters der belgischen Jugendstil-Architektur sehen. Für Müdigkeit bleibt da keine Zeit.

Die meisten der Teilnehmer wissen bereits einiges über Kunstgeschichte, aus mehreren Seminaren und Studienreisen des GasthörerCard-Programms, das die Freie Universität Berlin anbietet. Dort haben sie auch Gisela Moeller als Dozentin kennengelernt. Sie hat ihnen architektonische Grundbegriffe vermittelt und in einer Vorlesung die Jugendstil-Bewegung nähergebracht, die zeitgleich um 1900 in mehreren europäischen Ländern entstand. Brüssel ist die Stadt Europas, die neben Wien über das reichste und vielfältigste Jugendstilerbe verfügt. Knapp 30 detaillierte Besichtigungen hat Reiseführerin Gisela Moeller aus dem 500 Gebäude umfassenden Jugendstilfundus der belgischen Metropole ausgewählt.

Als Entree in Victor Hortas reiche, immer wieder auf den Gewächshausstil zurückgreifende Architektur, wählt die Kunsthistorikerin die Besichtigung des aus Glas und Stahl komponierten Jugendstilwarenhauses für den Textilgroßhändler Wauquez. Gestenreich beschreibt sie in einem architektonischen Exkurs das prächtige Gebäude: Von der ausladenden Milchglas-Kuppel über die polygonen Erker und mit Fliesen gefüllten Zwickel bis hin zur hohen Sockelzone. Es ist, als ob sie das Gebäude mit Worten formen würde – so wie der Meister, von dem sie sagt, dass er seine Bauten „plastisch durchgeknetet“ habe. Reiseteilnehmerin Christa Huss ist begeistert: „Ich habe so ein richtiges Gefühl für das Gebäude bekommen, für das, was modern ist und was traditionell. Plötzlich habe ich die ganze Zeit von damals vor mir gesehen!“

Mit den Prachtbauten der „Hôtels“ Autrique, Deprez, Eetvelde, Tassel und Solvay verschafft Moeller ihren Mitreisenden einen umfassenden Überblick über Hortas Werke. Fassade für Fassade schärft sie den Blick der Betrachter für seine Spezifik, macht immer wieder auf die Energiekurve aufmerksam, die den damaligen Stararchitekten – seine Bauten waren 50mal so teuer wie die seiner Kollegen – auszeichnet.

Doch das schönste Haus – darüber sind sich alle einig – hat Horta auf einem typischen Grundriss von etwa sechs Metern Breite und 16 Metern Tiefe für sich selbst geschaffen: das heutige Musée Horta, ein Ensemble aus Wohnhaus und Atelier. Es gilt als Gesamtkunstwerk. Die organischen Formen an der Fassade kehren bis ins kleinste Detail im Interieur wieder. Begeisterungsrufe ertönen, als die Reiseteilnehmer das Haus besichtigen: ob über die warmen Farben, Hortas raffinierten Umgang mit Spiegeln oder die transparente Buntglaskuppel, die das Treppenhaus überspannt. „Dass hier keiner Genickstarre bekommt“, scherzt Christa Huss zwischendurch. Die Gruppe hat sich in der Schaarbecker Avenue Louis Bertrand versammelt. Neben Horta haben 30 andere Architekten in der Hochzeit des Art Nouveau in Brüssel gewirkt. Gisela Moeller, ganz in ihrem Element, beschreibt ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus von Gustave Strauven. Die Faszination der Fassaden, die sie ihren kunstbegeisterten Zuhörern näherbringt, hat längst alle wie eine Woge erfasst. „Wie viel Liebe da hineingeflossen ist“, stellt Renate Döbler bewundernd fest: „Es gefällt mir immer besser, je mehr ich mich da eingesehen habe.“

Die meisten der reisenden Gasthörer sind schon als Fans des Jugendstils nach Brüssel gekommen. Doch nun sind sie wahre Liebhaber des belgischen Art Nouveau geworden.


Kunstgeschichte erleben

Die kunsthistorischen Studienreisen „Via Artium“ finden im Rahmen des GasthörerCard-Programms der Freien Universität Berlin statt. Das Programm bietet neben der Möglichkeit, reguläre Vorlesungen der Freien Universität Berlin zu besuchen, das exklusiv für Gasthörer organisierte Angebot „Kunstgeschichte vor Ort“ mit rund 150 Kursen pro Semester.

Das neue Kursangebot startet Ende April 2010. Die Kurse werden ergänzt durch die Reisen, die aber auch ohne GasthörerCard gebucht werden können. Im kommenden Jahr werden Studienreisen unter anderem zu folgenden Themen angeboten:

  • Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin nach Wien (10. bis 16. März 2010);
  • Von Madrid aus: Ein Überblick über die Europäische Malereigeschichte (7. bis 11. April 2010);
  • Anatolien: Ein uraltes Kulturland (30. April bis 7. Mai 2010);
  • Crown & Aristocracy: Englische Landhäuser, Schlösser und Gärten (11. bis 18. August 2010).

Weitere Informationen und das vollständige Programm erhalten Interessierte beim Weiterbildungszentrum der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-51477 (ab 6. Januar 2010), E-Mail: ulrika.poock@weiterbildung.fu-berlin.de

Am Montag, den 11. Januar 2010, sprechen der Theologe Rainer Kampling und der Kunsthistoriker Eberhard König in der Reihe „Theologie und Kunstgeschichte vor Ort“ zur religiösen Kunst Venedigs. Die Veranstaltung mit dem Thema „Santa Maria Glorosia dei Frari“ findet von 17.00 bis 18.30 Uhr in der Dahlemer St.-Annen-Kirche, Königin-Luise-Str. 55, statt. Der Eintritt ist frei. Im Internet: www.fu-berlin.de/gasthoerercard