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Einmal Weltall und zurück

Biochemiker der Freien Universität Berlin erforschen Zellbestandteile mithilfe der Schwerelosigkeit

12.10.2009

Von Stephan Töpper

Gut verpackt sind sie, die Ribonukleinsäuren, kurz RNA-Moleküle genannt. 80 dieser Alleskönner-Moleküle stecken in dünnen, fünf Zentimeter langen Plastikschläuchen, die in durchsichtigen Röhrchen und schließlich noch in zwei metallenen, ineinander gestapelten Behältern sicher verstaut sind. Wie jene bunt bemalten, ineinander geschachtelten russischen Holzpuppen – Matrjoschkas –, hat Professor Volker A. Erdmann seine RNA-Moleküle weltraumtauglich eingepackt. Sechs Tage sind sie an Bord einer Sojuz-Rakete rund 96 Mal um die Erde gekreist, bevor Erdmann die kostbare Fracht im Oktober im Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin wieder in Empfang genommen hat.

Der Biochemiker forscht seit mehr als 30 Jahren an den „heimlichen Regulatoren der Zelle“, wie er die RNA-Moleküle nennt. Damals hat er am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik gemeinsam mit dem damaligen Direktor Heinz-Günter Wittmann und der Molekularbiologin Ada Yonath, die in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, die Grundlagen für die Erforschung der Struktur von Ribosomen – den Eiweißfabriken der Zelle – gelegt: Zum ersten Mal gelang es den Wissenschaftlern damals, diese Zellbestandteile zu kristallisieren. Doch die Ribosomen, die hauptsächlich aus RNA-Molekülen bestehen, zeigen ihre wahre Gestalt erst außerhalb der Erdatmosphäre.

„In der Schwerelosigkeit ordnen sich die Moleküle im Kristall in einer regelmäßigen Form an, sodass wir bei der späteren Röntgenstrukturanalyse mit größerer Genauigkeit mehr über ihre atomaren Strukturen erfahren können“, sagt Erdmann. Erst wenn die genaue Anordnung jedes einzelnen Atoms im dreidimensionalen Raum bestimmt werden könne, sei eine Definition der RNA-Strukturen möglich. Ziel des Biochemiker-Teams ist es, mit dem Wissen um die RNA-Strukturen Molekülvarianten mit neuen biologischen Eigenschaften zu entwickeln, beispielsweise, um gezielt kranke Zellen auszuschalten. „Je mehr wir über die Eigenschaften der RNA-Moleküle erfahren, desto besser können wir später auf Nano-Ebene zum Beispiel Tumorleiden und virale Infektionen behandeln“, sagt Erdmann.

Einfach war es nicht, die gut verpackten Moleküle als Sonderfracht in der russischen TMA-16-Rakete unterzubringen. Dank einer Kooperation mit dem NASA-Astronauten und Universitätsprofessor Larry DeLucas hat es geklappt. Drei Astronauten brachten die tiefgefrorenen Moleküle, die dann im Weltraum langsam auftauten, auf einer russischen Sojus-Rakete rund 350 Kilometer in den Orbit zur Internationalen Raumstation ISS und wieder zurück – unter ihnen der kanadische Milliardär Guy Laliberté, der Gründer des Cirque du Soleil, der sich als Weltraumtourist für knapp 24 Millionen Euro das Weltraumticket anlässlich seines 50. Geburtstags gegönnt hat.

„Die Metallbehälter funktionieren wie bessere Thermoskannen, da sie nur einen sehr langsamen Temperaturausgleich zwischen innen und außen zulassen. Sie sind mit Vakuumschaum abgedichtet, der dafür sorgt, dass die Kristallisationsreaktion erst beginnt, wenn die Rakete das Gravitationsfeld der Erde verlassen hat“, erklärt André Eichert, Doktorand am Institut für Chemie und Biochemie, der die RNA-Proben in Moskau abholte. Um die kostbare Fracht nicht aus den Händen zu geben, nahm er sie von Moskau nach Berlin einfach als Handgepäck mit ins Flugzeug. Der letzte Teil ihrer Reise war nur eine kurze Zugfahrt nach Hamburg, wo sie am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) vollends ausgepackt und mittels Röntgenstrukturanalyse vermessen wurden. Dort angekommen, hatten die RNA-Moleküle mehr als vier Millionen Kilometer zurückgelegt.