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Auf Augenhöhe mit Nofretete

Honorarprofessor der Freien Universität konzipiert die Ägyptische Sammlung im Neuen Museum

12.10.2009

Eröffnet neue Sichtweisen: Dietrich Wildung – hier bei den Aufbauarbeiten für die Ausstellung – hat das Präsentationskonzept erarbeitet.

Eröffnet neue Sichtweisen: Dietrich Wildung – hier bei den Aufbauarbeiten für die Ausstellung – hat das Präsentationskonzept erarbeitet.
Bildquelle: Christine Mahler

„Keine Mumien“, erklärt Dietrich Wildung gleich zu Beginn, „Sie werden in dieser Ausstellung keine Mumien finden. Und nirgends das Wort ,Tod‘ oder ,tot‘.“ Wildung steht im Untergeschoss des Neuen Museums. Der Raum, der mit „Jenseits und Ewigkeit“ überschrieben ist und sich dem Thema Sterben und Weiterleben in den antiken Kulturen widmet, zeigt Sarkophage aus altägyptischer, römischer und frühchristlicher Zeit. Wildung deutet an die lichtdurchflutete Decke des hohen Raums: „Alle Jenseitsvorstellungen, gleich welcher Kultur, streben zum Licht, das lässt sich von den Besuchern in diesem Raum wunderbar nachempfinden.“

Dietrich Wildung, Honorarprofessor für Ägyptologie an der Freien Universität, war 20 Jahre lang Direktor des Ägyptischen Museums Berlin. Mit dem Umzug der Sammlung in das Neue Museum hat er den Staffelstab an seine Nachfolgerin Friederike Seyfried weitergegeben. Für das Ausstellungskonzept der Ägyptischen Sammlung am neuen Ort – der gleichzeitig der alte ist, denn 1850 war das Neue Museum unter anderem für die Ägyptische Sammlung errichtet worden – zeichnet Wildung verantwortlich.

Die Neuinszenierung ist ein Wagnis, auch wenn Wildung sie während der vorübergehenden Unterbringung des Ägyptischen Museums im Alten Museum schon einmal testen konnte. Die Präsentation bricht mit der herkömmlichen wissenschaftlichen Systematik und dem üblichen Besucherblick: Die Objekte werden nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet, der Besucher tritt ihnen auf Augenhöhe entgegen. So finden sich etwa im Pharao-Saal Statuen aus drei Jahrtausenden. Der Laie könne „das immer Gleichbleibende als ägyptisch erkennen“ – und dabei feststellen, dass alle Statuen dennoch unterschiedlich aussähen.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist Konzept. Dem Wissenschaftler und Museumsmann Wildung geht es darum, neue Sichtweisen zu eröffnen und bestehende zu korrigieren: „Unser Blick auf Ägypten ist immer noch europäisch geprägt – Hieroglyphen, Fluch des Pharaos, das klingt für uns mystisch“, sagt er. „Dabei ist das Licht des menschlichen Geistes nicht erst auf der Akropolis aufgegangen, sondern lange Zeit vorher am Nil.“

4500 Objekte werden auf den 2600 Quadratmetern gezeigt, die der Ägyptischen Sammlung im Neuen Museum zur Verfügung stehen, den anderen Teil des Hauses nutzt das Museum für Vor- und Frühgeschichte; die „restlichen“ 95 000 Stücke – das Inventar der Papyrussammlung eingeschlossen – lagern im Archiv.

Hier wird geforscht. „Wir bewahren das kulturelle Gedächtnis der Menschheit“, sagt Wildung und plädiert für die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Museen. So würden Erkenntnisse aus der universitären Forschung für Ausstellungen nutzbar gemacht. Seine Seminare als Honorarprofessor hat Wildung wiederum regelmäßig im Museum und den Magazinen abgehalten. Den unmittelbaren Kontakt mit den Originalen könne kein Lehrbuch ersetzen, sagt er – und wünscht sich von seinen Studenten, dass sie ihre Studien öfter einmal ins Museum verlegten: „Ein dreidimensionales Kunstwerk, etwa eine Statue, ist als zweidimensionale Abbildung im Buch einfach nicht zu erfassen.“

 

Das Museum als Lernort und als Kommunikationsmedium zu konzipieren, es zu einem Ort zu machen, an dem die Besucher über die Originale mit vergangenen Welten in Verbindung treten können, liegt dem 68-Jährigen am Herzen. Die Ausstellung sei „eine Einladung, Ägypten als einen unverzichtbaren Teil der Kunst- und Kulturgeschichte zu verstehen und als eine Kultur des afrikanischen Kontinents.“

 

Als der gebürtige Allgäuer Anfang 1989 aus München nach West-Berlin kam und die Direktion des Ägyptischen Museums in Charlottenburg übernahm, hatte er sich neben der Leitung auf ausgiebige Forschungsarbeit gefreut. Nur zehn Monate später fiel die Mauer, und für die seit dem Zweiten Weltkrieg willkürlich auf zwei Museen im West- und Ostteil der Stadt verteilten ägyptischen Schätze boten sich plötzlich ungeahnte Möglichkeiten. Seitdem habe er „wiedervereinigt und zusammengefügt“, beschreibt Wildung die unerwartete Aufgabe, die beiden Berliner Sammlungen zu verbinden: „Zu diesem Zeitpunkt nach Berlin gekommen zu sein, das war ein Geschenk des Himmels.“

 

Mit dem Umzug vor vier Wochen in das Neue Museum, dessen aufwändige Sanierung durch den britischen Architekten David Chipperfield erst kürzlich abgeschlossen wurde, ist das Museum an seinen Ursprungsort zurückgekehrt: 1850 war die „Ägyptische Abteilung“ in den von Friedrich August Stüler im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. errichteten Bau auf der Museumsinsel eingezogen. Hier wurden die Stücke ausgestellt, die der Ägyptologe Karl Richard Lepsius von seiner Expedition zwischen 1842 und 1845 mitgebracht hatte.

Die endgültige Festlegung, welches Objekt nun in welchem Raum gezeigt wird, wie die Besucher durch das Haus geführt und damit in die Geschichte, Kultur und Religion Ägyptens eingeführt werden, habe nicht lange gedauert: „In drei oder vier Wochen war alles klar: Ich kannte ja das Gebäude und die Räume." Die Entwicklung des Gesamtkonzepts brauchte dagegen etwas mehr Zeit: „Vierzig Jahre!“, lacht Wildung. Er sieht das Ausstellungskonzept als Summe seiner Lehr- und Forschungserfahrung, als Ausdruck seines Verständnisses der altägyptischen Kunstgeschichte und Religion: „Üblicherweise würde man als Wissenschaftler seine Arbeitsergebnisse im Medium einer wissenschaftlichen Publikation vorlegen, ich hatte hier die wunderbare Möglichkeit, meine Vision mit Originalobjekten im Medium Museum umzusetzen.“

Gerade ist Dietrich Wildung in den Sudan aufgebrochen. Seit 15 Jahren leitet er dort Grabungen, bei denen Teile einer bislang nicht erforschten antiken Stadt in der Steppe freigelegt werden. Nofretete weiß er im Neuen Museum zu Hause. Die Büste der ägyptischen Göttin steht in der Mitte eines Kuppelsaals und blickt durch den Niobidensaal mit den ausgestellten Papyri zur römischen Kolossalstatue des Sonnengottes Helios. Die Besucher mögen ihrem Blick folgen, wünscht sich Wildung: „Quer durch die Räume, Epochen und Kulturen.“