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Wie Insekten Roboter inspirieren

Wissenschaftler erhalten 2,3 Millionen Euro für die Erforschung der neuronalen Grundlagen des Lernens

09.10.2009

Von Carsten Wette

„Mein Opa war kein Imker“, sagt Dorothea Eisenhardt und lacht. Es wäre keine Überraschung gewesen, erklärte ein solcher Familienhintergrund doch das große Interesse der Neurobiologin an der Honigbiene. Worauf sonst ließe es sich zurückführen, dass dieses Tier Objekt ihrer wissenschaftlichen Neugierde schon in Diplomarbeit und Dissertation war? Doch – genauer betrachtet – geht es der Professorin für systemische Neurobiologie gar nicht um das schwarz-gelbe Insekt: Im Mittelpunkt ihrer Forschung stehen Lernen und Gedächtnisbildung – die Biene ist als Untersuchungsgegenstand dafür sehr gut geeignet. „Insekten haben zwar ein einfacheres Gehirn als Wirbeltiere“, sagt die Biologin. Sie seien also weniger komplex strukturiert und hätten nur eine geringere Zahl Nervenzellen als beispielsweise das Gehirn eines Menschen. Dennoch liefen ähnliche Phänomene ab, und viele Erkenntnisse über die „Wirbellosen“ ließen sich übertragen.

Seit wenigen Wochen koordiniert Dorothea Eisenhardt die Arbeit eines neu bewilligten Forschungsverbundes, in dem die Rolle des Gedächtnisses beim Fällen von Entscheidungen untersucht wird. Eine Besonderheit: Beteiligt sind sechs Wissenschaftler, deren Disziplinen für den Laien auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben – etwa die Fächer Neurobiologie und Informatik. Vier der sechs Forscher des Verbundes gehören der Freien Universität an; neben Dorothea Eisenhardt sind dies der Neurobiologie-Professor Randolf Menzel, der Neuroinformatik-Professor Martin Nawrot und Raúl Rojas, Professor für Informatik, außerdem zwei Wissenschaftler der Universitäten Würzburg und Freiburg: der Neurogenetiker Bertram Gerber und der Informatik-Professor Martin Riedmiller. „Die Bewilligung des Verbundes zeigt die Stärke der Neurobiologie an der Freien Universität und deren Kooperationen auf“, sagt Dorothea Eisenhardt. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Initiative „BernsteinFokus: Neuronale Grundlagen des Lernens“ fünf Jahre lang mit 2,3 Millionen Euro finanziert.

Zu Dorothea Eisenhardts und Randolf Menzels Part in dem Verbund gehört es, mithilfe von Experimenten zu analysieren, unter welchen Bedingungen Bienen langanhaltende Gedächtnisse bilden und wie sie Entscheidungen treffen. Dazu lernen die Insekten in einem Versuch beispielsweise, dass sie immer dann Zuckerwasser bekommen, wenn sie einem bestimmten Duft ausgesetzt sind. In Situationen mit einem anderen Duft gibt es Zuckerwasser wiederum deutlich seltener. Auf diese Weise lernen die Bienen, dass Häufigkeit und Stärke bestimmter Gerüche mit einer Belohnung verknüpft sind und reagieren darauf.

„Interessant ist etwa die Frage, wie stabil das Gedächtnis jeweils ist und von welchen Molekülen im Gehirn die Stabilität abhängt“, sagt Dorothea Eisenhardt. Denn dieses Gedächtnis werde abgerufen, wenn Tiere Entscheidungen fällten: Nur bei stabilen Gedächtnissen könnten die Tiere wahrnehmen, in welcher Situation sie sich befänden, was ihnen in einer solchen Situation in der Vergangenheit bereits widerfahren sei, und die beiden Wahrnehmungen zuverlässig verknüpfen, um eine Entscheidung zu treffen.

Ziel dieses Verbundprojektes ist es, dass experimentelle und theoretische Disziplinen eng zusammenarbeiten, sodass die Hypothesen und Erkenntnisse einzelner Wissenschaftler die Arbeit in den anderen Disziplinen anregt. So will Neuroinformatiker Martin Nawrot die Ergebnisse der neurobiologischen Experimente Dorothea Eisenhardts und Randolf Menzels in mathematische Sprache umsetzen; er will Modelle aufstellen und Gesetzmäßigkeiten über den Einfluss einzelner Faktoren auf das Verhalten der Tiere ableiten. Die Neurobiologen prüfen im Gegenzug, ob Nawrots Modelle ihren Experimenten standhalten. Der Informatiker Raúl Rojas wiederum nutzt die Erkenntnisse seiner Kollegen über die Funktionsweise des Gedächtnisses, um Roboter zu entwickeln, die die Natur zum Vorbild nehmen und die eigenständige Entscheidungen treffen können. „Ziel unseres Verbundes ist es, das Gespräch zwischen so verschiedenen Disziplinen wie der theoretischen und der experimentellen Neurobiologie und der Robotik zu intensivieren. Dadurch wollen wir gemeinsam neue Konzepte über die Rolle von Gedächtnissen bei der Entscheidungsfindung entwickeln.“

„Meine Faszination für die Natur wächst ständig“, sagt die Bienenforscherin, „es ist bemerkenswert, dass die vermeintlich kleinen und unwichtigen Organismen vieles von dem können, zu dem auch wir Menschen in der Lage sind.“ Mit einem Imker hat Dorothea Eisenhardt natürlich dennoch zu tun: Er kümmert sich um die Bienenstöcke hinter dem Institutsgebäude in der Königin-Luise-Straße, in dem im Sommer die Insekten schwirren.