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Alles für die Lehre

09.10.2009

Von Dieter Lenzen

Das große Thema der Universitäten wird in unmittelbarer Zukunft besonders die Lehre sein. Gerade am Beginn eines neuen Semesters muss diese Botschaft mit aller Klarheit zum Ausdruck gebracht werden: Die deutschen Universitäten – und so auch die Freie Universität – benötigen eine Reform der sogenannten Bologna-Reform. Auf der einen Seite kann kein Zweifel sein: Die Vereinheitlichung des Studiengangsystems in Europa ist irreversibel und Bestandteil einer Nachkriegslogik, in der zum Segen Europas und weiten Teilen der Welt Gemeinsamkeit und Kooperation an die Stelle von Krieg und Abgrenzung getreten sind. Nur zu selbstverständlich, dass dieses auch für die Ausbildung der nachwachsenden Generation gilt. Es ist schon erstaunlich genug, dass die Einführung von Freihandelszonen, Europäischem Parlament und einer gemeinsamen Währung vor einer Angleichung der Strukturen im akademischen Bereich standen, wo man doch angesichts der intellektuellen Verantwortung der Universitäten eher Umgekehrtes erwarten möchte.

Klagen, die allenthalben über die Einführung von Bachelor und Master erhoben werden, sind also entweder reaktionär und auf nationale Eigenwege und Abgrenzung gerichtet, oder sie meinen statt eines gemeinsamen Hochschulraums in Europa nicht dessen Idee, sondern seine noch unzureichende Verwirklichung. In diesem Sinne haben solche Stimmen oftmals recht. Insofern gehören zu den dringend revisionsbedürftigen „Innovationen“ diejenigen Elemente, die mit den Entschließungen von Bologna überhaupt nicht zwangsläufig verbunden sind, ja teilweise nicht einmal gerechtfertigt werden können. So ist niemals verlangt worden, dass Bachelor-Studiengäge drei Jahre und nicht mehr umfassen dürfen. Es ist niemals verlangt worden, dass in Europa alle denkbaren Studienfächer miteinander frei kombinierbar sein dürfen, und dass die Einrichtungen die Pflicht haben, zur Vermeidung von zeitlichen Überschneidungen bis zu 2000 überschneidungsfreie Curricula anzubieten. Niemand hat erwartet, dass Leistungsüberprüfungen in Form von Klausuren, am Ende gar im Multiple-Choice-Verfahren abgenommen werden müssen. Auf diese Weise werden die individuellen Qualifikationen von jungen Menschen, ihre Leistungsfähigkeit beispielsweise in mündlichen Prüfungen oder in schriftlichen Erarbeitungen darzulegen, systematisch ignoriert.

Aber genau diese und zahlreiche weitere Probleme des Umsetzungsalltags der Bolognareform sind es, die bei Lehrenden und Lernenden verständlicherweise Verdruss und Abwehr hervorrufen. Die Freie Universität hat deshalb beschlossen, die konkreten Rahmenbedingungen der Umsetzung von Bologna einer Revision zu unterziehen. Dieses soll nicht nur, dieses muss in engster Abstimmung mit denen geschehen, die im Unterrichtsalltag als Lehrende und Lernende zusammenarbeiten. Erwachsene Liberalität, Vertrauen darauf, dass Lernende lernen und Lehrende lehren wollen, und zwar so erfolgreich wie möglich, werden an die Stelle von kleinlicher Überwachungsmentalität und Bürokratismus treten müssen. Wenn in einer akademischen Bildungseinrichtung von vornherein unterstellt wird, dass die Beteiligten an Bildung gar nicht interessiert sind und sie deshalb an die Kandare genommen werden müssen, dann hätte eine solche Einrichtung ihr Ziel verfehlt.

Der denkbare Einwand, der Mensch sei von Natur aus faul und müsse zur Arbeit gezwungen werden, weil sonst die Zukunft der nachwachsenden Generation auf dem Spiel stehe, ist ebenso pauschal wie falsch. Über die Zukunft des Lebens entscheidet kein meritokratisches Bildungssystem, sondern nichts anderes als das Leben selbst, in seiner ganzen Fülle.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität