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Besuch in der Nachbarschaft

Wie Wissenschaftler der Freien Universität ein Mondprogramm vorbereiten

27.07.2009

Sicherheitscheck: Ein Nasa-Astronaut bei der Arbeit im Weltall.

Sicherheitscheck: Ein Nasa-Astronaut bei der Arbeit im Weltall.
Bildquelle: NASA.gov

Sie sehen nicht gerade aufregend aus, die vergilbten Bücher, voll geschrieben mit kryptischen Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben. Auch die Filmdosen und die Karten der Kraterlandschaften wirken eher unscheinbar. Doch in das Gesicht von Gerhard Neukum zaubern sie ein zufriedenes und stolzes Lächeln. Denn die Bücher, Karten und Filme künden von einem der größten Menschheitsabenteuer: der Landung auf dem Mond.

Vierzig Jahre ist es jetzt her, dass sich die Welt vor den Fernsehschirmen und Radios versammelte und das berühmte Wort hörte: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit.“ Neil Amstrong betrat den Erdnachbarn, der Mensch erreichte den Mond. Die Mission Apollo 11 war eine Sensation; nicht nur, aber vor allem eine wissenschaftliche. Es folgten weitere Mondmissionen in den 1970er Jahren.

Gerhard Neukum, heute Professor für Planetologie und Fernerkundung an der Freien Universität, arbeitete damals an seiner Dissertation über „Einschlagkrater auf dem Mond“. Womit er die Grundlage schuf für etwas, das man sein Lebensthema nennen kann. Der Mond ließ ihn nicht mehr los.

Als Gastwissenschaftler ging Neukum damals im Jahr 1972 in die USA, arbeitete Tür an Tür mit den Nasa-Leuten. Ihn interessierte vor allem, was die Astronauten von ihren Missionen mitbrachten: sogenanntes Mondgestein. Er untersuchte die Apollo-16-Proben im „Lunar Receiving Lab“, als sie gerade frisch vom Mond kamen. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland beschäftigte er sich intensiv mit dem Gestein. „Ich habe alle Proben untersucht, von Apollo 11 bis Apollo 17“, sagt er. Die verschiedenen Proben betrachtete er unter dem Licht- und dem Elektronenmikroskop, er machte chemische Untersuchungen mit der Mikrosonde; er klassifizierte die Proben, notierte die Daten, füllte Listen über Listen. Berechnungen, die heute schnell am Computer erledigt würden, waren für Neukum damals noch mühsame Handarbeit. „Wir haben ziemlich kräftig gearbeitet“, sagt er. Einschläge, Krater und deren Erosions- und Sedimentationswirkung, darum ging es ihm vor allem: „Ich habe den Mond auch als Impact-Counter gesehen.“ Seine Methode funktioniert vereinfacht gesagt so: Wenn man die Häufigkeit von Einschlägen berechnet und ihre Verteilung, dann lässt sich das Alter eines Himmelskörpers bestimmen. Denn anhand der Krater lässt sich ableiten, wie lange ein Himmelskörper dem Beschuss von Partikeln aus dem All ausgesetzt war.

Sein Aufenthalt in den USA erwies sich für ihn als Glücksfall. Damals gelangte er an die Filme mit den Bilddaten des Mondes, an die Bücher voller Zahlenkolonnen, in denen detailliert dokumentiert ist, wo welche Gesteinsprobe eingesammelt wurde, und an die Mondkarten, die die Nasa erstellt hatte. Auch wenn die Datenträger anachronistisch seien, die Daten selbst seien noch immer von höchstem Wert: „Von keinem anderen Himmelskörper gibt es so harte Daten“, sagt Neukum. Davon hätten alle späteren Weltraummissionen profitiert – selbst wenn es nicht um den Mond ging. So konnte Neukum auf seine Daten und seine Erfahrung zurückgreifen, als er bei der Mission Mars Express als „Principal Investigator“ für eine hochauflösende Stereokamera verantwortlich wurde, die Aufnahmen von der Marsoberfläche in bisher nicht gekannter Qualität zur Erde funkt.

„Der Mond war lange Zeit zwar etwas out, jedenfalls wissenschaftlich gesehen“, sagt Neukum. Doch das ändere sich jetzt wieder: Chinesische, indische und US-amerikanische Sonden umkreisen den Mond bereits, eine japanische ist gerade kontrolliert zum Absturz gebracht worden. Es sei nicht nur wissenschaftliche Neugier, was die Menschen zum Mond treibe, sondern auch wirtschaftliches Interesse: In einigen Jahrzehnten könnte der Erdnachbar als Rohstofflieferant wichtig werden, sagt Neukum. Auch als Standort für Teleskope, die tief ins All blicken, bietet sich der Mond an. Und als Basis für Ausflüge auf weiter entfernte Planeten: Für eine Marsmission sei es höchst sinnvoll, Vorbereitungen dafür auf dem Mond zu treffen und von dort aus zu starten, sagt Neukum, allein schon, weil die Schwerkraft dort viel geringer ist.

Deshalb plädiert er immer wieder für einen planetarischen Nachbarschaftsbesuch, für ein eigenes deutsches Mondprogramm – oder mindestens für eine starke Rolle der Deutschen bei europäischen Missionen. „Wir haben das Know-how, wir haben das Geld, wir müssen es machen“, sagt er. Sonst riskiere man, technologisch und wissenschaftlich zurückzufallen. „Um als Partner bei der Erschließung ernst genommen zu werden, müssen wir zeigen, dass wir eine Mission technisch, politisch und wirtschaftlich bewerkstelligen können“, sagt Neukum. Und die Freie Universität bringe für die Beteiligung an solchen Vorhaben beste Voraussetzungen mit – gute Vernetzung und erfahrene Wissenschaftler, die sich mit dem Mond auskennen.

Richtig spannend werde es, wenn sich die Europäer zu einer bemannten Mission entschließen könnten, sagt Neukum: „Nur Menschen im Weltraum erzeugen echte Begeisterung in der Öffentlichkeit.“ Wie damals, vor vierzig Jahren, als das erste Mal ein Mensch den Mond betrat.