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Der Einfluss des Islam

Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies mit Festakt im Pergamon-Museum eröffnet

27.07.2009

In Deutschland gibt es vielerorts erbitterten Streit um den Bau von Moscheen, In Holland wird ein Politiker, der ein Verbot des Korans fordert, ins Europäische Parlament gewählt. Papst Benedikt äußert nach einer Rede, von der Muslime sich verletzt fühlen, „Bedauern“ über „Missverständnisse“. Kaum eine andere Glaubensrichtung birgt so viel Konfliktpotenzial beim Zusammentreffen mit westlichen Kulturen wie die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Erde. Aber was genau ist islamisch an der „islamischen Welt“? Und welchen Einfluss hat die Religion auf Kultur, Recht und Politik islamisch geprägter Gesellschaften?

Der Erforschung dieser Fragen widmet sich die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies an der Freien Universität Berlin. Die Graduiertenschule, die in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder erfolgreich war, ist Ende Juni mit einem Vortrag von Professor Abdulkader Tayob von der University of Cape Town eröffnet worden. Dem Festakt im Berliner Pergamon-Museum schloss sich eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Prayer in the City“ (Gebete in der Großstadt) an, auf der sich Wissenschaftler aus dem In- und Ausland darüber austauschten, wie urbane Bedingungen das religiöse Leben prägen.

Das Thema „Prayer in the City“ ist repräsentativ für das Forschungsinteresse der Graduiertenschule. „Die Wissenschaftler, die hier arbeiten, untersuchen vergleichend die Vielfalt dessen, was historisch und in der Gegenwart unter Islam verstanden wird“, erläutert Gudrun Krämer, Professorin am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität und Direktorin der Graduiertenschule. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Neben-, Mit- und Gegeneinander von Muslimen und Nichtmuslimen insbesondere in Europa, Afrika und Asien.

Die Doktorandin Sarah Hartmann gehört zum ersten Jahrgang der Promovenden in der Graduate School. Sie hatte sich vor allem wegen der interdisziplinären Ausrichtung des Programms um die Aufnahme beworben. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem privaten Bildungssektor in Ägypten: Vor fünf Jahren war Hartmann als Studentin mit einer Exkursion des Ethnologischen Instituts der Freien Universität nach Ägypten gereist und hatte festgestellt, dass fast alle Kinder dort nach der Schule zusätzlichen Unterricht bekommen. „Dieser Privatunterricht nimmt in Ägypten einen immer größeren Stellenwert ein“, erzählt sie. „Selbst arme Familien wenden zum Teil enorme Summen auf, um ihren Kindern den Zusatzunterricht in professionellen Tutoring Centers oder bei Hilfslehrern zu ermöglichen.“ Sarah Hartmann will nun in ihrer Doktorarbeit der Frage nachgehen, wie dieser informelle Bildungssektor organisiert ist, welche Akteure ihn prägen und von welchen Interessen sie geleitet sind. „Das Thema ist eigentlich keiner wissenschaftlichen Disziplin eindeutig zuzuordnen“, sagt sie. „Ich fand es toll, dass die Graduate School Muslim Cultures and Societies den Freiraum ermöglicht, ein Schnittstellenthema zu bearbeiten und dabei mehrere Perspektiven aufzunehmen.“ Die Professoren in ihrem Betreuungskomitee haben entsprechend unterschiedliche fachliche Hintergründe: Ein Ethnologe, eine Politologin und eine Islamwissenschaftlerin sind vertreten.

„Die Fächervielfalt bietet die Chance, die islamische Welt nicht auf die Religion zu reduzieren“, sagt Sarah Hartmann. In ihrem eigenen Forschungsfeld erlebt sie, wie wichtig es ist, den Blick auf muslimische Gesellschaften nicht einzuengen. So gebe es etwa die Annahme, dass islamistische Gruppierungen den privaten Bildungssektor in Ägypten nutzen, um Nachwuchs zu rekrutieren. „Nach allem, was ich bisher feststellen konnte, sind aber die meisten Akteure nicht religiös motiviert, sondern schlicht profitorientiert – dieser informelle Bildungssektor ist ein wachsender Markt.“ Der Frage, wer diesen Markt bestimmt und wie er sich auf die Gesellschaft auswirkt, will sie nun weiter nachgehen.

Bis zur fertigen Dissertation liegt allerdings noch ein arbeitsreicher Weg vor der Doktorandin. Der Promotion an der Graduiertenschule liegt ein fester Zeitplan zugrunde: Im ersten Jahr besuchen die Promovenden vorwiegend Seminare, Workshops sowie Schreib- und Sprachkurse – schließlich finden die meisten Veranstaltungen auf Englisch statt. Das zweite Jahr ist der Archivarbeit und Feldforschung gewidmet; im dritten Jahr liegt der Schwerpunkt auf der Ausarbeitung der Dissertation. Zum Programm gehört es ebenfalls, an Fachkonferenzen teilzunehmen und wissenschaftliche Artikel zu veröffentlichen. Regelmäßig treffen sich Doktoranden und betreuende Professoren, um sich über den Stand ihrer Projekte auszutauschen.

Dass ihre Promotion strukturierter ist als ihr Magister- oder Diplomstudium, bewerten die Doktoranden vor allem positiv. „Es wäre nicht mein Ding gewesen, immer nur allein in der Bibliothek zu arbeiten“, meint Sarah Hartmann. Ihr Kollege Torsten Wollina ergänzt: „Alle 13 Doktoranden in unserem Programm haben ihr Büro in der Graduate School, die Wege sind kurz. Das macht es leicht, sich auszutauschen – sowohl untereinander als auch mit den Postdoktoranden, den Professoren und den internationalen Gastwissenschaftlern, die bei uns zu Besuch sind.“ Das Curriculum, der individuelle Zeitplan und die eigene Arbeitsweise müssten zwar erst in einen Ablauf gebracht werden. Gleichzeitig eröffne die enge Zusammenarbeit aber die Möglichkeit, unkompliziert von der Expertise anderer zu profitieren und neue Kontakte zu knüpfen. So steht die Graduate School in engem Austausch mit dem Zentrum Moderner Orient in Berlin und mit mehr als 30 Partnerinstitutionen weltweit. Den Graduierten wird über diese Partnerschaften die Möglichkeit eröffnet, an ausländischen Hochschulen und bei Professoren zu forschen, die auf ihrem Feld spezialisiert sind.

Auch an die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies zieht es Wissenschaftler aus anderen Ländern. „Wir wollen die Zahl internationaler Doktoranden und Postdoktoranden in Zukunft erhöhen“, erklärt Direktorin Gudrun Krämer. Von Missverständnissen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ist an der Graduiertenschule dabei nichts zu spüren. Gerade haben die Doktoranden Geld zusammengelegt und eine Tischtennisplatte angeschafft. Arie Setyaningrum Pamungkas aus Indonesien, die ebenfalls zum ersten Jahrgang gehört, sieht darin die beste Möglichkeit, sich in einem neuen akademischen Umfeld einzugewöhnen: „Eine Partie Rundlauf zwischendurch lockert die Atmosphäre auf.“