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Sit-in mit Folgen

Walter Momper machte in Dahlem erste politische Erfahrungen

Von Carsten Wette

„Sitzen bleiben oder aufstehen?“ Nie wird Walter Momper den Ort vergessen, an dem er mit dieser Frage rang, und noch heute erinnert er sich des mulmigen Gefühls, das ihn erfasste: Damals, am 22. Juni 1966, hatte er sich mit 3000 Studenten im Lichthof des Henry-Ford-Baus der Freien Universität versammelt, um friedlich gegen die Exmatrikulation von Langzeitstudenten zu protestieren. Der Rektor, Professor Hans-Joachim Lieber, bat die Studenten, das Gebäude zu verlassen. Fast alle blieben sitzen – auch Momper. „Das war damals ein unerhörter Regelbruch, und der erforderte Mut“, sagt Momper. Es war das erste Sit-in an einer deutschen Universität und für den 21-Jährigen ein Schlüsselerlebnis.

Geboren 1945 im niedersächsischen Sulingen, verbrachte Walter Momper seine Schulzeit in Bremen. „Meine Mutter schwärmte mir von der Stadt vor“, sagt Momper. Doch zunächst studierte er in Münster und München. 1966 schrieb er sich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft ein. „Das freiheitlich-demokratische Profil der Freien Universität und die politische Lage in Berlin haben mich angezogen.“

Über Bekannte fand er eine Bleibe in Kreuzberg. Auf dem Campus in Dahlem erlebte er die politisch gespannte Stimmung, und sie hat ihn geprägt: „Ich bin ein Achtundsechziger“, sagt Momper, seit 2001 Präsident des Abgeordnetenhauses, und schmunzelt. In Seminaren des Politologie-Professors Georg Kotowski lieferte er sich – inzwischen Mitglied der SPD – Redeschlachten mit konservativ eingestellten Kommilitonen, manchmal ging es beiden Seiten nur darum, rhetorisch die Oberhand zu behalten. Krawall dagegen wurde gewissermaßen in großer Koalition gestoppt: 1968/69 blieb kaum ein Seminar von „fliegenden Störkolonnen“ verschont. „Die haben wir dann rausgeschmissen, deren Theater wollten wir nicht“, sagt Momper. Noch heute spricht er begeistert von renommierten Wissenschaftlern, bei denen er am Otto-Suhr-Institut studiert hat und von denen einige aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt gewesen waren: etwa Ernst Fraenkel und Richard Löwenthal.

Schon früh war Momper ein Anhänger des „Marsches durch die Institutionen“, und er übernahm Parteiämter auf Kreisebene. Berufspolitiker wollte er nie werden – nach dem Diplom 1969 war für ihn auch eine wissenschaftliche Laufbahn denkbar. Er wurde Angestellter im Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Würfel fielen 1973: Der Politologe Peter Lösche wurde an die Universität Göttingen berufen und bot Momper an, Assistent zu werden. „Mir war klar, wenn ich das mache, bin ich weg aus Berlin und aus der Politik“, erinnert sich Momper. Er lehnte ab und wurde 1975 in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt. Vierzehn Jahre später erlebte er als Regierender Bürgermeister von Berlin den Fall der Mauer und gestaltete das Zusammenwachsen der geteilten Stadt; der rote „Momper-Schal“ flimmerte weltweit über die Bildschirme.

Der Freien Universität ist Momper bis heute verbunden. Die Universität habe wieder „Form und Inhalt“ gefunden, und das verwahrloste Bild gehöre der Vergangenheit an, betont er. Momper engagiert sich im Vorstand der Ernst-Reuter-Gesellschaft für die Unterstützung der Freien Universität durch Ehemalige. „Es ist beeindruckend, wo überall die Absolventen tätig sind“, sagt er. „Die westdeutschen Universitäten mögen zwar alle ein paar hundert Jahre älter sein, aber keine von ihnen hat die Gesellschaft so stark geprägt wie die Freie Universität Berlin.“