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Quote machen mit Wissenschaft

TV-Wissenschaft: Die Sendungen im deutschen Fernsehen sind vielfältig. Medienforscher wollen herausfinden, warum es so schwierig ist, Formate zu konzipieren, die europaweit ankommen.

TV-Wissenschaft: Die Sendungen im deutschen Fernsehen sind vielfältig. Medienforscher wollen herausfinden, warum es so schwierig ist, Formate zu konzipieren, die europaweit ankommen.
Bildquelle: ZDF-Bilderdienst, Kerstin Bönsch

Populär und allgegenwärtig: Im deutschen Fernsehen werden mit Wissenschaftsthemen täglich viele Stunden Programm gefüllt

Von Stephan Töpper

Eine meterhohe Welle fegt durch die Straßen New Yorks. Untermalt von unheilvoller Musik, versuchen Menschen vor den Wassermassen zu flüchten. Dazu eine Stimme aus dem Off: „Dies ist die Geschichte eines Monsters, eines Monsters, das über das Meer kommt.“ Freitagabend, 22.15 Uhr, Pro Sieben zeigt „Wissenskrimis der Geschichte“. In dieser Folge von „Galileo Mystery“ gehen Moderator Aiman Abdallah und sein Team der Frage nach, ob Terroristen einen Tsunami auslösen könnten, der bis zur Ostküste der USA reicht, wenn sie mit schweren Waffen einen Teil der kanarischen Insel La Palma abspalten und ins Meer befördern würden.

Im deutschen Fernsehen sind Wissens- und Wissenschaftsformate, in denen Zuschauern die Welt samt möglicher Katastrophen erklärt wird, zahl- und facettenreich. „Das Fernsehen nutzt die Wissenschaft intensiv, um mit ihrer Hilfe Zuschauer an sich zu binden“, sagt Markus Lehmkuhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Lehmkuhl leitet ein internationales Forschungsprojekt, das die Wissenschaftsberichterstattung europäischer Fernsehsender untersucht. Zusammen mit der Universität Helsinki, der Universität Korinth, der Dublin City University und der Akademie der Wissenschaften in Sofia wollen die Medienforscher herausfinden, welche TV- und Radio-Wissenschaftsformate in Europa ausgestrahlt werden und welche Bevölkerungsgruppen diese nutzen. Geklärt werden soll, welche Formate auf ein breites Zuschauerinteresse in ganz Europa stoßen und welche nur in wenigen Ländern populär sind.

Wer die Vielfalt an Wissenschaftssendungen im deutschen Fernsehen erleben möchte, setzt sich am besten an einem normalen Wochentag vor den Fernseher, macht einen Bogen um Gerichtsshows und Reality-Soaps und startet um 14.30 Uhr im MDR. Dann zeigt Lexi-TV „Wissen für alle“. Um 15.00 Uhr entdeckt Planet Wissen im WDR das „Ungewöhnliche im Alltäglichen“.

Nach kurzer Verschnaufpause folgt um 17.45 Uhr „Abenteuer Alltag“ in Kabel eins. Um 18.00 Uhr sendet Vox „Wissenshunger“, dicht im Anschluss um 18.30 Uhr widmet sich „Nano“ in 3sat der Welt der Natur- und Geisteswissenschaften, der Technik und der Medizin, bevor um 19.00 Uhr „Galileo“ auf Pro Sieben loslegt. Langsam ausklingen lassen kann man den Fernseh-Parcours mit „Quarks & Co“ um 21.00 Uhr im WDR. Und wer noch immer nicht genug hat, schaltet kurz nach 23.00 Uhr auf N24 die Sendung „Wissen“ ein.

Die öffentlich-rechtlichen Sender prägen das Wissenschaftsangebot in besonderer Weise. Ohne sie gäbe es wahrscheinlich Magazine wie Nano nicht, deren Redakteure systematisch nach neuen Forschungsergebnissen suchen, diese filtern und analysieren. „Themen für unsere Sendung erhalten wir über zwei Kanäle“, sagt Helmut Riedl, Planungskoordinator bei Nano. „Erstens über Kontakte unserer Redaktionsmitglieder zu Universitäten oder über wissenschaftliche Veröffentlichungen. Der zweite Zugang sind aktuelle Ereignisse, die man unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten beleuchten kann, zum Beispiel ein Erdbeben oder eine Tagung des Weltklimarats.“

Bei Galileo dagegen, täglich im Vorabend von Pro Sieben, werden Alltagsphänomene erklärt – meist ohne aktuellen wissenschaftlichen Bezug. Das funktioniert so: Es ist Sommer, in den Badeseen sind Algen. Fragen wir mal einen Botaniker, ob das eklig, gefährlich oder beides ist. Das ist Wissenschaft als Dienstleistung, damit man besser durch den Tag kommt. Oder als schmuckvolles Beiwerk – ähnlich zweckreich wie eine üppige Obstgarnitur für einen Cocktail.

Für Helmut Riedl von Nano sind Umweltthemen wie Klima und Energie oder auch Medizin zu vielschichtig, als dass man darauf einfache Antworten geben könnte. „Man braucht heute Übersetzer, die Expertenantworten einschätzen und bewerten können. Ein guter Wissenschaftsjournalist braucht eine kritische Distanz, will er den Phänomenen unserer komplexen Welt gerecht werden“.

Auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner bei Wissenschaftssendungen darf man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. „Fast alle Formate haben einen Moderator, hier hören aber auch schon die Gemeinsamkeiten auf“, sagt Wissenschaftler Markus Lehmkuhl. Das ist nicht gerade viel Einheitlichkeit in der Vielfalt.

„Galileo Mystery“ ist mittlerweile zur Hälfte vorbei, die riesige Welle hat New York gefühlte 15 Mal überschwemmt. Das apokalyptische Tsunami-Szenario wird immer wieder in Szene gesetzt. Zwischendurch folgt man den Experten, die wie Detektive auf La Palma von Felsen zu Felsen wandern und das vulkanische Gestein unter die Lupe nehmen. „Mit dramaturgischen Mitteln wird in solchen Sendungen der Eindruck erweckt, die Entschlüsselung von Rätseln finde gerade im Moment statt“, sagt Lehmkuhl.

Besonders in Deutschland boomen Forschungsformate. „Da es Sendungen gibt, die nur zum Teil einen wissenschaftlichen Inhalt haben, ist es schwierig, eine allgemein gültige Definition für Wissenschaftsfernsehen zu finden“, erklärt Lehmkuhl. Die Medienforscher wollen in dem länderübergreifenden Projekt in einem zweiten Schritt herausfinden, was Zuschauer von bestimmten Formaten halten. Damit wollen sie erklären, warum es so schwierig ist, Inhalte zu entwickeln, die überall in Europa auf Resonanz stoßen. Ziel ist es, den Programmverantwortlichen in Deutschland wie in Frankreich, Rumänien und Irland deutlich zu machen, was für die Entwicklung von gesamteuropäischen Formaten notwendig ist.

„Also, für mich klingt das Ganze ziemlich absurd“, streut Galileo-Mystery-Moderator Abdallah irgendwann Zweifel in die Tsunami-Theorie. Dass er recht hat, erfährt der Zuschauer erst zum Ende der Sendung nach ungefähr 60 Minuten. Nur die Natur selbst könne nämlich so eine Welle auslösen. Und die Stimme aus dem Off verbreitet zum Schluss mulmiges Unwohlsein: „Wir leben in einer trügerischen Sicherheit. Das Monster ist nicht zu sehen, aber es ist da, es schläft nur“. Heute noch einmal Glück gehabt.