Springe direkt zu Inhalt

Spiel mit Bewegungszitaten

Ausdrucksstark. Allessandro Rumie in Studien zu „Pasolini“.

Ausdrucksstark. Allessandro Rumie in Studien zu „Pasolini“.
Bildquelle: Mark Franko

Der amerikanische Tänzer Mark Franko ist Valeska-Gert-Gastprofessor am Institut für Theaterwissenschaft

Von Yvonne Hardt

Drei Tänzerinnen mit Badekappen zeigen ein Spiel zwischen Bewegung und Pose, mal scheint es, als riefen sie das klassische Ballettrepertoire auf: Es werden Assoziationen mit den Ballets Russes oder Balanchines Apollo von 1928 geweckt. Wenige Momente später zeichnen ihre Arme verschnörkelte Linien des Barocks, dann wieder lässt die Langsamkeit eine starke expressive Qualität entstehen, die an den Ausdruckstanz erinnert. Neues und Altes trifft aufeinander, reibt sich, um etwas ganz Eignes entstehen zu lassen.

Die Geschichtlichkeit des Tanzes in zeitgenössischen Inszenierungen sichtbar zu machen, ist das Ziel des amerikanischen Tänzers, Choreografen und Tanzwissenschaftlers Mark Franko, der im Sommersemester 2008 die Valeska-Gert-Gastprofessur für Tanz und Performance am Institut für Theaterwissenschaft innehat. Er stellte nun seine Arbeiten, zu denen auch der beschriebene Videoausschnitt aus seiner Choreografie Sea Chant Over Long Island, July gehört, in der Reihe „Bewegungs-Dialoge“ vor, die den Auftakt der Lehrveranstaltungen des Gastprofessors markiert.

Die durch die Freie Universität Berlin, den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Akademie der Künste getragene Professur ist seit dem Wintersemester 2006/2007 am Institut für Theaterwissenschaft angesiedelt. Sie wird in jedem Semester neu besetzt und ermöglicht es, wie Gabriele Brandstetter zur Einführung der Bewegungs-Dialoge betont, der Tanzwissenschaft ein Profil an der Schnittstelle von Theorie und Praxis zu geben. Für die Auswahl der Künstler ist es deshalb auch wichtig, inwiefern sie Grenzen von Disziplinen und Genres infrage stellen, wie das auch die Namensgeberin der Professur, Valeska Gert (1892–1978), getan hat. Sie gilt als eine der innovativsten Tänzerinnen der historischen Avantgarde, deren Vorliebe es unter anderem war, aus dem Repertoire alltäglicher Bewegungen wie Boxen oder Straßenverkehr ihre Tänze zu schaffen. In ähnlicher Weise steht das Spiel mit den Bewegungszitaten auch im Mittelpunkt der Arbeit von Mark Franko.

Dieser wurde zunächst von Paul Sanasardo in moderner Tanztechnik ausgebildet, bevor er sich das klassische Repertoire aneignete und bereits frühzeitig ein Interesse für die Tanzgeschichte und die Arbeit an der Rekonstruktion durch die Mitarbeit an einer Adaption von Oskar Schlemmers Bauhaus Dances unter der Leitung von Debra McCall gewann. Unterfüttert wurde dieses Interesse durch sein Promotionsprojekt an der Columbia University in New York zum Körper im Renaissance-Tanz. Mit seinem Buch The Dancing Body in Renaissance Choreography von 1986 gehört Mark Franko zu jener ersten Generation von Tanzwissenschaftlern, die einen interdisziplinären und von strukturalistischen und diskursanalytischen Methoden beeinflussten Ansatz in der Betrachtung von Tanz fruchtbar machten. Mit zahlreichen weiteren Studien, die sich zum einen der Erforschung der Tanzmoderne (Dancing Modernims/Performing Politics, 1995; The Work of Dance, 2003) zum anderen dem Barock und seinen Einflüssen auf die Moderne widmen (Dance as Text: Ideologies of the Baroque Body, 1993), ist er zu einer wegweisenden Figur der amerikanischen Tanzwissenschaft geworden.

Die Arbeit mit dem Zitat von historischen Bewegungen ist ein Produkt dieser Wechselbewegung zwischen Theorie und Praxis. Mark Franko wendet sich damit gegen eine Sichtweise auf Tanz und Performance, die vor allem auf das Vergängliche, Einmalige fokussiert oder das, was er den Trend zum „Presentism“ nennt. Wie jedoch Bewegungen zitiert werden können, das bleibt ein zu erforschendes Thema. Die Studenten können diesen Transfer vom Barock zur Gegenwart in zwei Lehrveranstaltungen nachvollziehen und selbst erproben.

Neben der Lehre wird Mark Franko seinen Aufenthalt in Berlin nutzen, um eine neue Choreografie zu erarbeiten, die sich Pier Paulo Pasolini widmet. Franko und seinen Tänzer Alessandro Rumie interessieren dabei nicht so sehr die bekannten Filme Pasolinis, sondern seine zumeist weniger beachteten Theaterstücke und Gedichte. Indem den unerwarteten „barocken“ Qualitäten in Pasolinis Werk nachgespürt wird, zeichnet das Stück zugleich eine neue Biografie des Künstlers in Text und Choreografie nach.

Die Autorin ist Tanzwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Zu sehen ist das Stück „Pasolini“ am 17. Juli 2008 um 20.30 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten. Karten können telefonisch vorbestellt werden unter: 030 / 20057-2000.