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Wissen um die Differenz

Gründungsteam des Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin ausgezeichnet

von Ortrun Huber

In der Medizin spielt der sprichwörtlich „kleine“ Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht eine gravierende Rolle – egal, ob es um die Symptome einer Erkrankung oder die Therapie, den Umgang mit den Beschwerden oder die sozialen Auswirkungen auf das Leben des Kranken geht. Noch ist Ärzten, Medizinforschern und auch den Patienten aber viel zu wenig bewusst: Männer sind anders als Frauen – und das hat Folgen für den Verlauf von Krankheiten und die Wirkung von Medikamenten.

Geehrt wird die bisher einzige Einrichtung dieser Art in Deutschland

Hier setzt die Arbeit des Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Charité-Universitätsmedizin Berlin an. Seit 2003 werden dort Geschlechterunterschiede in Gesundheit und Krankheit systematisch untersucht und diese Erkenntnisse den Studierenden im Rahmen der Lehre zugänglich gemacht. Gegründet wurde diese in ihrer Art erste und bislang einzige Einrichtung in Deutschland auf Initiative eines Sextetts aus Wissenschaftlerinnen, Frauenbeauftragten und Dekanen. Nun ehrt die Freie Universität Berlin das interdisziplinäre, fachbereichs- und hochschulübergreifende Engagement dieser Initiativgruppe, das weit über die übliche institutionelle Arbeit hinausging, mit dem Margherita- von-Brentano-Preis 2007.

Zu den sechs Preisträgern zählen der Geburtsmediziner und damalige Dekan der medizinischen Fakultät der Humboldt- Universität, Professor Joachim Dudenhausen, der Pharmakologe Professor Martin Paul, bis 2003 Dekan des Fachbereichs Humanmedizin der Freien Universität, die zentralen Frauenbeauftragten der Freien Universität und der Humboldt- Universität, Mechthild Koreuber und Marianne Kriszio, Professorin Martina Dören, Inhaberin der Stiftungsprofessuren für Frauenforschung und Osteologie, sowie die Kardiologin und Sprecherin des GiM, Professorin Vera Regitz-Zagrosek.

Um die Gründung des Zentrums durchzusetzen, mussten sie durchaus bestehende Widerstände überwinden. „Es herrschte anfangs große Skepsis gegenüber einer genderorientierten Forschung, Lehre und Praxis im Bereich der Medizin, und wir wurden auch mit der Frage konfrontiert, ob das Zentrum wohl genügend Drittmittel einwerben könne“, erinnert sich die Frauenbeauftragte der Freien Universität, Mechthild Koreuber. Die Fusion der medizinischen Fakultäten der Freien Universität und Humboldt- Universität und die damit verbundenen Umstrukturierungen Mitte 2003 boten die Chance, das Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin zu etablieren. An beiden Fakultäten hatte es bereits je eine – wenn auch zeitlich befristete – Professur für Geschlechterforschung in der Medizin gegeben: Die mit Geld des Berliner Chancengleichheitsprogramms eingerichtete, später aber aus eigenen Mitteln – und beträchtlich ergänzt durch das Deutsche Herzzentrum – weiter finanzierte Professur für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herz-Kreislauf- Erkrankungen von Professorin Regitz- Zagrosek an der damaligen medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität. Dazu kam am Universitätsklinikum Benjamin Franklin die Stiftungsprofessur für Frauenforschung und Osteologie im Rahmen des Klinischen Forschungszentrums Frauengesundheit von Professorin Martina Dören. Zudem setzten sich nach und nach eine ganze Reihe von Wissenschaftlern der neu entstehenden Charité im Rahmen ihrer Forschung mit Geschlechterfragen in der Medizin auseinander.

Frauen leben gesünder und werden in der Regel älter als Männer

Heute verfügt das GiM über rund 70 Mitglieder aus allen Fachgebieten der Charité, davon rund 20 Hochschullehrer aus unterschiedlichen Disziplinen von der Genetik bis zur Psychiatrie. Die Forschungsschwerpunkte reichen von Geschlechtsunterschieden beispielsweise bei Autoimmun-Erkrankungen, Herz- Kreislauf-Erkrankungen oder Transplantationen bis zu Karriereplanung von Ärztinnen. Drei Professuren sind dem Zentrum direkt zugeordnet. Der Ansatz des Zentrums, in möglichst vielen medizinischen Disziplinen die Unterschiede in Entstehung, Verlauf und Therapie von Krankheiten zu erforschen, arbeitet der in der Medizin noch häufig vorherrschenden Meinung entgegen, dass Frauen einfach nur „leichtere Männer“ seien. Dabei reagieren Frauen aufgrund ihrer weiblichen Hormone beispielsweise auf Medikamente völlig anders. Der Grund: Ihr meist geringeres Gewicht, ein anderes Verhältnis von Fett und Muskelmasse sowie Unterschiede im Enzym-System der Leber, das die Wirkstoffe abbaut. Aber auch in anderen Bereichen arbeitet der menschliche Organismus je nach Geschlecht völlig unterschiedlich: Das beginnt im Kopf, wo Männer und Frauen bei gleichen Denkaufgaben unterschiedliche Hirnareale nutzen. Frauen bekommen doppelt so häufig Knie-Arthrose, bei Männern versagen die Nieren rascher.

Und dann ist da die Sache mit dem Herzen: „Herzerkrankungen haben bei Frauen andere Ursachen und Konsequenzen als bei Männern“, sagt die Kardiologin Vera Regitz- Zagrosek. Viele Ärzte sind sich der Unterschiede in der Symptomatik und der notwendigen Behandlung bei Frauen und Männern aber nicht bewusst. „Statt des in den linken Arm ausstrahlenden Brustschmerzes – dem klassischen Symptom des Herzinfarkts beim Mann – leiden Frauen eher an Müdigkeit, Schweißausbrüchen oder Atemnot“, erklärt Regitz-Zagrosek. Die untypischeren Symptome des Herzinfarkts bei Frauen führen aber häufig dazu, dass er zu spät erkannt oder falsch behandelt wird. Die Folge: Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen bei Frauen mit einem Anteil von 52 Prozent die häufigste Todesursache dar.

Frauen leben gesünder und ihre Lebenserwartung ist höher – doch gleichzeitig sind sie im Durchschnitt häufiger krank als Männer. Auch der medizinische Nachwuchs muss diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in seiner späteren Berufspraxis berücksichtigen. Deshalb bietet das GiM seit einem Jahr das Wahlfach „Gender-Medizin“ an. Die zu Beginn angezweifelte Fähigkeit des Zentrums zur Einwerbung von Drittmitteln konnte inzwischen erfolgreich widerlegt werden: In den letzten drei Jahren haben die Wissenschaftlerinnen des Zentrums für Geschlechterforschung an der Charité über drei Millionen Euro akquiriert.

Mehr im Internet:
www.fu-berlin.de/mvb 

Die Philosophin Margherita von Brentano

Der Margherita-von-Brentano- Preis der Freien Universität wird für persönliches Wirken oder hervorragende Projekte in der Frauenförderung oder der Geschlechterforschung vergeben. Mit einem Preisgeld von 11.000 Euro ist er einer der am höchstdotierten Frauenförderpreise Deutschlands. Er wird seit 1995 jährlich vergeben.
Benannt ist die Auszeichnung nach der Philosophin Margherita von Brentano di Tremezzo (1922-1995). Die Tochter des ersten bundesdeutschen Botschafters in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg promovierte 1948 bei Martin Heidegger, der sie 1956 an die Freie Universität empfahl. 1970 wurde sie als erste Frau ins Präsidium der Universität gewählt. Sie habilitierte sich 1971 und wurde ein Jahr später auf eine Professur am Philosophischen Institut der Universität berufen. Als Feministin und Intellektuelle trat Margherita von Brentano gegen die berufliche Diskriminierung von Frauen ein, insbesondere gegen den Ausschluss aus höheren Hierarchieebenen an Universitäten und Forschungsinstituten.
Preisträgerin im Jahr 2006 war die türkisch-kurdische Rechtsanwältin Seyran Ates. Die Absolventin der Freien Universität wurde für ihr Engagement für Migrantinnen sowie ihr Eintreten für Frauenrechte, das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit von Frauen geehrt.