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Schenken ist soziales Handeln par excellence

Ein Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Friedrich Rost über Sitten und Zwänge rund um dasWeihnachtsgeschenk

Ihr wissenschaftliches Interesse für das Schenken ist recht ungewöhnlich. Seit wann fasziniert Sie das Thema?

Eine Art Schlüsselerlebnis war die Konfirmation meines ältesten Sohnes vor 26 Jahren. Da brach um das Schenken eine Familiendynamik los, die ich so noch nicht erlebt hatte. Seitdem lässt mich das Thema nicht los.

Sie haben 1993 über die „Theorien des Schenkens“ promoviert. Ist das Thema vollständig erforscht?

Nein. Zwar hat sich die empirische Lage verbessert. Doch die Vielfalt des Schenkens ist noch immer nicht theoretisch umfangreich erklärt. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass das Schenken eine uralte Wurzel hat.

Wie weit reicht der Brauch des Schenkens in Deutschland zurück?

Das ist je nach Bevölkerungskreisen unterschiedlich. Der kriegerische Adel etwa hat schon in der Merowingerzeit anderen etwas weggenommen, um es an Gleich- und Höherrangige sowie an die Gefolgschaft zu verschenken. Aber das betrifft ja nur einen Bruchteil der Gesellschaft. In bäuerlichen Kreisen war das Schenken dagegen erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchgängig üblich.

Wieso treten Eltern beim Schenken hinter das Christkind oder den Weihnachtsmann zurück?

Diese Gabenbringer, die von weit her oder ganz oben kommen, sind eine Erfindung des Bürgertums im 19. Jahrhundert für die Bescherung der Kinder zu Weihnachten. Man wollte mit solchen Figuren vielleicht auch das schwindende religiöse Gefühl neu beleben. Das Christkind und der Weihnachtsmann haben allerdings ältere Wurzeln. Das Christkind geht zurück auf den Herren Christ, der bei Luther eine Rolle spielt, wenn auch nicht als engelsgleiche Kinderfigur, sondern als ein Gegenstück zum katholischen Nikolaus. Der Weihnachtsmann geht zurück auf eine Abbildung „Herr Winter“ von Moritz von Schwind aus dem Jahr 1847 und auf Sankt Nikolaus.

Steckt hinter dem Verstecken hinter höheren Mächten auch der Wunsch, sein Geschenk aufzuwerten?

Ja, vielleicht. Das wichtigste Ziel dieser Anonymität war aber, ein – auch ökonomisches – Geheimnis um das ganze Fest zu spinnen und einen gewissen Zauber zu verbreiten. Außerdem ist man damit auch heute noch vor Beschwerden der Beschenkten sicher.

In diesen Tagen sieht man wieder viele Last-Minute-Schenker durch die Geschäfte rennen, um Heiligabend bloß nicht mit leeren Händen dazustehen. Ist diese Geschenkejagd Ausdruck gesellschaftlicher Zwänge?

Natürlich. Schenken ist soziales Handeln par excellence und mit Traditionen und Mythen verknüpft. Mit der Vorstellung von einem beschaulichen und besinnlichen Weihnachtsfest ist es allerdings so eine Sache. Denn im Grunde genommen ist der ganze Festkalender - angefangen vom 1. Advent über den Nikolaustag bis zum dreitägigen Fest mit dem Höhepunkt der Bescherung - eine perfekte Inszenierung, verbunden mit einem Stress, der nur in Erschöpfung enden kann (lacht). Das hat sogar schon Kulturen erfasst, die eigentlich mit dem Fest gar nichts zu tun haben, etwa die japanische.

Die Gesellschaft inszeniert eine Jahresschlussfeier?

Genau, insbesondere für Kinder, die dieser Gesellschaft allerdings ausgehen. Den meisten Kindern ist Weihnachten lieber als der eigene Geburtstag, obwohl sie da ja nicht allein im Mittelpunkt stehen. Schon in der Kindheit verfestigt sich also etwas, das uns den Zwang zum Geschenk auch als Erwachsene mitmachen lässt.

Ist ein kollektiver Aufschrei dagegen undenkbar?

Den gab es in der 68er-Bewegung, die dafür das Wort „Konsumterror“ prägte. Man versuchte, das Schenken als „Überraschung“ auf andere Tage zu verlegen oder sich gar nichts zu schenken. Doch das ist meistens schiefgegangen. Die Tradition war einfach stärker, zumindest wenn man Kinder bekam.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, heißt es. Wo verläuft bei Firmengeschenken, die es ja gerade zu Weihnachten zuhauf gibt, die Grenze zwischen Geschenk und Bestechung?

Es gibt fließende Übergänge. Geschenke unter 30 Euro gelten in der Privatwirtschaft als unbedenklich, nicht aber im öffentlichen Dienst. Klar ist, dass Geber den Beschenkten nicht nur erfreuen möchten, sondern auch für sich einnehmen und binden.

Das gilt auch im Zwischenmenschlichen.

Natürlich. Es gibt eine ganz alte Regel, nach der keine Gabe umsonst ist. Zumindest Dankbarkeit und Freude werden erwartet. Gesetzlich vorgeschrieben ist das aber nicht (lacht).

Zu Weihnachten ist manches außer Kraft gesetzt. Gibt bei der Auswahl von Geschenken ein zuvor „gesetzter“ Preis den Ausschlag, oder gilt der Grundsatz: Koste es, was es wolle?

Das hängt vom Konsumverhalten ab. Werfrüh im Jahr mit dem Kauf von Weihnachtsgeschenken angefangen hat, weiß oft gar nicht mehr, wie viel er schon ausgegeben hat. Doch nach Ergebnissen der empirischen Schenkforschung sollte zum Schluss eine Hierarchie gewahrt werden: Das teuerste Geschenk sollte an den Lebenspartner gehen – und nicht an die eigene Mutter.

Ist die Höhe der Ausgaben für Weihnachtsgeschenke ein guter Indikator für die wirtschaftliche Situation der Konsumenten?

Hinsichtlich der Gesamtausgaben für Geschenke sicherlich, aber wir wissen ja, dass die Budgets der Familien höchst unterschiedlich sind. Jeder Vernünftige wird sagen, wir können nur das ausgeben, was übrig bleibt, wenn auch die Beiträge zur Riester-Rente eingezahlt sind. Aber gerade in einfachen Familien kommt es vor, dass man nicht möchte, dass etwa die eigenen Kinder zurückstehen müssen und so wird auch auf Kredit gekauft. Die Kaufhäuser und Internethändler haben es leicht, dieses Verhalten zu ermuntern, denn gerade zu Weihnachten besteht bei vielen der Wunsch, mit Geschenken andere zu verwöhnen und damit Ehre einzuheimsen.

Wird man bei der Wahl der Geschenke von eigenen Wünschen geleitet?

Das ist die ursprüngliche Form des Schenkens, etwas von sich zu geben. Das Aussuchen für die zu beschenkende Person ist eine Erfindung des Adels, denn auf diese Weise konnten die eigenen Manufakturen ihre Leistungsfähigkeit zeigen. Bei der älteren Form des Schenkens gab man als Geschenk etwas, das man selbst im Gebrauch hatte und verband damit eine symbolische Kraftübertragung. So war es unter Adligen üblich, erbeutete und über längere Zeit besessene Waffen zu verschenken. Beim Schenken wurde dann die Geschichte des Gegenstandes berichtet, umdessen Wert zu erhöhen. Bei Antiquitäten steigert man auf diese Weise noch heute den Wert.

Bei schrecklichen Geschenken, die man in Gegenwart des Schenkenden auspackt, kann man peinlich berührt sein. Was schreibt die Etikette vor?

Viel Taktgefühl. Hemmungslos heucheln muss man zwar nicht. Aber im ersten Moment sollte die Fassung bewahrt werden. Diese Art des Benehmens müssen Kinder erst lernen. Wenn der Schenkende nicht sagt, man könne notfalls umtauschen, hilft nach der Würdigung des Geschenks vielleicht die höflich formulierte Frage: „Was hast du dir dabei gedacht?“, wobei es auf den Ton ankommt.

Wie hoch liegt die Missfallensquote bei Geschenken?

Ziemlich hoch. Der amerikanische Ökonom Joel Waldfogel hat dazu Personen über den geschätzten Wert empfangener Geschenke befragt und mit dem jeweiligen Kaufpreis verglichen. Es kam heraus, dass der geschätzte Wert im Durchschnitt nur bei 82 Prozent des tatsächlichen Geschenkwerts lag. Waldfogel rechnete daraus hoch, dass jährlich allein in den USA 16 Milliarden Dollar für Geschenke verschwendet würden und dass Geld das einzig sinnvolle Geschenk sei. Das wäre allerdings ein bizarres Weihnachtsfest, wenn wir uns gegenseitig nur Bares oder Schecks überreichten.

Mit welchem Geschenk würde man Ihnen das Fest verderben?

Bei einem Gutschein für Bungee- oder Fallschirmsprünge würde ich auf Umwidmung bestehen.

Das Gespräch führte Carsten Wette


Zur Person

Experte für das Schenken: Friedrich Rost, geboren 1949 in Jugenheim/Bergstraße, durchlief nach dem Abitur 1968 eine Verlagsbuchhändlerlehre beim S. Fischer Verlag und studierte Erziehungswissenschaft, Soziologie und Psychologie an der damaligen Pädagogischen Hochschule Berlin.

Von 1977 bis 1981 war Rost wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin. Seit 1981 ist er am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität tätig. 1993 promovierte er über „Theorien des Schenkens“. Er lehrt als Akademischer Rat, ist Autor und Redakteur von Publikationen, u.a. der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“.