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Die technische Schallmauer durchbrechen

LANGE NACHT DER WISSENSCHAFTEN Unterwegs auf dem Campus Dahlem

Von Oliver Trenkamp

Die Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden gehört zur Welt des Automobils wie Benzin und Öl. Der Startschuss für die Wettfahrt gegen die Stoppuhr wurde vor knapp achtzig Jahren gegeben: Auf der Berliner Avus brachen Tempo-Pioniere wie Fritz von Opel einen Geschwindigkeitsrekord nach dem anderen. Doch heute geht es längst nicht mehr nur um Tempo. Erfinder, Ingenieure und Automobilkonzerne wetteifern darum, wer das sicherste Auto baut, das sparsamste, das kleinste, das luxuriöseste, das schönste …

„Spirit of Berlin“ heißt das Technikwunder. Vier Computer sorgen dafür, dass der Wagenauch ohne Fahrer weiß, wo’s langgeht: Sie koordinieren das Navigationssystem, wertenVideodaten aus und steuern den Laserscanner auf der Motorhaube. Foto: Carsten Wette

An der Freien Universität Berlin arbeiten Wissenschaftler daran, eine „technische Schallmauer“ in Sachen Mobilität zu durchbrechen, wie es Raúl Rojas nennt, Professor für Informatik und Experte für künstliche Intelligenz. Er und sein Team vom Institut für Informatik haben ein Auto entwickelt, das computergesteuert fährt – und ganz ohne Fahrer. Dem weißen Minivan haben die Forscher einen stolzen Namen gegeben. Das Technikwunder heißt „Spirit of Berlin“, angelehnt an das Raketenauto „Spirit of America“, das wiederholt Geschwindigkeitsrekorde aufstellte.

Im Vergleich zu den Hochgeschwindigkeits-Boliden schleicht das Berliner Gefährt zwar über seine Teststrecke an der Freien Universität – gerade mal 25 Stundenkilometer zeigt der Tacho während der Fahrt. Rasend schnell bewegen sich jedoch die Daten und Informationen in den Bordrechnern. Vier IBM-Computer werden es demnächst sein: Einer koordiniert das Navigationssystem, einer wertet die Videokameras auf dem Dach aus, einer steuert den Laserscanner, der vor der Motorhaube angebracht ist. Und der vierte Rechner überwacht die anderen drei. Alle Daten werden vom System kombiniert, sodass der Wagen ein umfassendes Bild von der Umgebung hat und selbstständig entscheiden kann, wo er lang fährt. Im Weg stehende Autos oder andere Hindernisse umfährt „Spirit“ problemlos.

Das Navigationssystem funktioniert ähnlich wie in normalen Autos, es nutzt die 24 GPS-Satelliten, die um die Erde kreisen. Mit einem Unterschied: Das System von „Spirit of Berlin“ kombiniert die Daten mit denen von Beschleunigungs-Sensoren und ist so um einiges exakter. Die Videokameras auf dem Dach sorgen dafür, dass „Spirit“ innerhalb der weißen Linien fährt, die eine Straßenspur begrenzen. Und der Laserscanner sucht permanent nach Hindernissen, mit seinen Daten analysiert das Auto die Umgebung. Rasend schnell schwingt der Laserstrahl dabei hin und her – hundertmal pro Sekunde. Bald soll „Spirit of Berlin“ auch in die Höhe und rundherum „schauen“ können. Das Institut für Intelligente Analyse und Informationssysteme der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt derzeit einen entsprechenden 3D-Laserscanner.

Spezielle Motoren bedienen Gaspedal, Bremse und Lenkrad. Auf dem Fahrersitz sieht es ein bisschen aus wie in einem Raumschiff, so viele Konsolen und Computer sind angebracht. Raúl Rojas: „Technisch ist heute schon vieles möglich, bis Ende des Jahres werden wir 50 Stundenkilometer fahren.“ Im nächsten Jahr sollen die weiteren Entwicklungsschritte geschafft sein, zum Beispiel Ampeln und Verkehrsschilder erkennen. Für die Serienproduktion seien autonom fahrende Autos jedoch noch viel zu teuer, sagt der Informatik-Professor. Und im Straßenverkehr wird es auch aufgrund zahlreicher rechtlicher Hürden noch eine ganze Weile dauern, bis Autos ohne Fahrer zugelassen werden. „Spirit of Berlin“ ist deshalb zunächst ausschließlich als Überwachungsroboter für großflächig abgegrenzte Gebiete entwickelt worden, in Kooperation mit der Berliner Polizei. Der Vizepräsident der Berliner Polizei, Gerd Neubeck, freut sich über die Zusammenarbeit: „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Technologie schon bald auf abgeschlossenen Arealen eingesetzt wird, zum Beispiel auf Flughäfen.

Die Freie Universität hat das Projekt vorangetrieben. Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität, lobt die „gelungene Kooperation“. Er sagt aber auch: „Allerdings ist die Grenze dessen erreicht, was wir leisten können.“ Weitere Sponsoren seien daher herzlich willkommen. Und Raúl Rojas fügt hinzu: „Sie sind sogar unbedingt notwendig, um das Projekt weiterführen zu können.“

Mit „Spirit of Berlin“ trauen sich die Entwickler einiges zu. Sie haben sich für die „Urban Grand Challenge“ im November angemeldet – einem Wettbewerb in Kalifornien, bei dem das beste autonom fahrende Stadt-Auto ermittelt werden soll. Die erste Qualifizierungsrunde hat das Auto schon hinter sich, aber noch sind 52 weitere Teams im Rennen. Die Freie Universität tritt an gegen renommierte US-amerikanische Universitäten. Das Berliner Team hat bei einem solchen Teilnehmerfeld allerdings eher Außenseiter-Chancen. „Die amerikanischen Konkurrenten verfügen über Budgets, die unseres um das zehn- bis zwanzigfache übersteigen“, sagt Fabian Wiesel, ein Doktorand aus Rojas' Team. Von mehreren Millionen Dollar ist hier die Rede – Etathöhen, von denen die Berliner Wissenschaftler derzeit nur träumen können.

„Spirit of Berlin“ wird in einem Vortrag um 19 Uhr im Institut für Informatik vorgestellt. Ort: Takustr. 9 (Zugang auch Arnimallee 6 u. Altensteinstr. 23), Gebäudenr. 17, Infos: www.mi.fu-berlin.de/misc/langenacht/index.html